Bürgerinitiative trifft Bürgermeister und CDU-Spitze im Feuerwehrgerätehaus Eckendorf

Gigantisches Gewerbegebietscheint vorerst vom Tisch

Gigantisches Gewerbegebiet
scheint vorerst vom Tisch

Gerd Jung von der Bürgerinitiative „Lebenswerte Grafschaft“ begrüßte unter anderem Bürgermeister Achim Juchem, CDU-Gemeindeverbandschef Michael Schneider und CDU-Fraktionschef Thomas Schaaf zum Informationsabend im Feuerwehrgerätehaus Eckendorf. Jost

Eckendorf. „Das ist ein historischer Abend für die Grafschaft“, freute sich Gerd Jung, Sprecher der gerade in Gründung befindlichen Bürgerinitiative „Lebenswerte Grafschaft“: „Heute wurde Politik mit den Bürgern gemacht und auf den Bürgerwillen Rücksicht genommen“, fasste er das Ergebnis eines gut zweistündigen Informationsabends zusammen. Die Bürger hatten möglicherweise mehr erreicht, als sie zuvor zu hoffen gewagt hatten, denn nach dem intensiven, aber sachlich geführten Meinungsaustausch scheint eine gigantische Gewerbefläche als Erweiterung des Innovationsparks Rheinland, die bis 600 Meter an den Ortsrand von Eckendorf heranreichen würde, erst einmal vom Tisch zu sein.

Im Feuerwehrgerätehaus standen Bürgermeister Achim Juchem, der CDU-Gemeindeverbandsvorsitzende Michael Schneider und der CDU-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat, Thomas Schaaf, etwa 100 Bürgern aus der Oberen Grafschaft Rede und Antwort zu einigen Projekten, die zu einiger Verunsicherung in der Bevölkerung geführt hatten. Die anderen Fraktionen im Rat hatten zuvor bereits ihre Ablehnung dieser Vorhaben signalisiert, hatten aber dennoch zahlreiche Vertreter zu der Veranstaltung entsandt.

Eckendorfer wollen Gemarkung nicht zubetonieren lassen

„Mit dem Eckendorfern wird das alles nicht machbar sein, wir lassen uns unsere Gemarkung nicht zubetonieren“, stellte Jung gleich zu Beginn unmissverständlich klar. Gemeint war eine geplante, mehr als 100 Hektar große Erweiterung des Innovationsparks Rheinland westlich des gerade entstehenden Haribo-Geländes. Diese Vergrößerung setzt sich aus zwei Teilflächen zusammen: einer etwa 30 Hektar großen Erweiterungsfläche in direkter Nachbarschaft zu Haribo, für die es bereits einen Planaufstellungsbeschluss gibt, und direkt im Anschluss hieran eine etwa 80 Hektar große „Gewerbliche Vorrangfläche“. Auf einer Grafik, die Bürgermeister Achim Juchem mitgebracht und an die Zuhörer verteilt hatte, war diese Vorrangfläche rot schraffiert dargestellt.

Allerdings wurde bald klar, dass diese rote Fläche nur eine Art ferner Zukunftsmusik ist, für die es derzeit noch keinerlei konkrete Planungen gebe. Sie sei überhaupt nur deshalb in die Diskussion gekommen, so Juchem, weil derzeit der Regionale Raumordnungsplan Mittelrhein-Westerwald neu aufgestellt werde und die Kommunen dafür bis zum Jahresende 2014 ihre Stellungnahme abgeben mussten. Die Gemeinde Grafschaft habe darüber aus zeitlichem Gründen aber überhaupt noch nicht diskutieren können, denn man hatte andere Probleme zu lösen und Projekten umzusetzen. Sie war aber gezwungen, fristwahrend eine Stellungnahme abzugeben und darin mögliche Änderungswünsche anzuzeigen.

Problemlos wieder

herausnehmbar

So sei eine Art Maximalforderung zusammengefasst worden von Entwicklungsflächen aller Art, die man sich auf mittlere Sicht unter gewissen Umständen vorstellen könnte. Darunter auch diese potenzielle Gewerbefläche. In der endgültigen Stellungnahme sei es dann aber problemlos möglich, diese Fläche wieder kommentarlos herauszunehmen. Doch das müsse letztlich der Gemeinderat entscheiden, der darüber gerade in der Diskussion sei, so Juchem.

„Es handelt sich lediglich um einen Hinweis der Gemeinde an das Land, dass in diesem Bereich Gewerbe möglich sein kann“, erläuterte CDU-Fraktionschefs Thomas Schaaf und ergänzte: „Diese Erweiterungsoption wollten wir uns für alle Fälle sichern.“ Ob die allerdings jemals zum Tragen komme, sei vollkommen dahingestellt.

Einige Jahre lang

die Füße still halten

Das sah Juchem ganz genauso, stellte aber fest, dass seine Meinung bislang leider nicht mehrheitsfähig gewesen sei: „Wenn es nach mir ginge, würden wir einige Jahre lang diese Füße still halten und die Entwicklung abwarten, die sich mit der Ansiedlung von Haribo ergibt.“ Die Gemeindeverwaltung habe derzeit ohnehin schon Arbeit bis zum Abwinken: „Uns reicht es erst mal.“ Es gebe aber auch bei einem Teil des Gemeinderates die Meinung, dass man jetzt schon die Weichen stellen müsse für die weitere Zukunft. Doch da sei man noch mitten in der Diskussion, und niemand könne vorhersagen, wie es am Ende ausgehe.

CDU-Gemeindeverbandsvorsitzender Michael Schneider machte zunächst klar: „Auch ich stehe für Heimat und für eine lebenswerte Grafschaft, aber wir müssen einen Ausgleich über alle Bereiche schaffen, um unsere Dörfer auf Dauer lebendig zu erhalten.“ Dazu gehörten eine sinnvolle Ausstattung mit Dorfgemeinschaftshäusern, modernen Sportanlagen, Freizeitmöglichkeiten sowie Schulen und Kindergärten auf höchstem Niveau. Bezahlen müsse das jedoch die Gemeinde letztlich alles selbst. Und die Finanzkraft einer Gemeinde werde hauptsächlich durch die Gewerbesteuer geprägt. „Ich bin für Arbeitsplätze in der Grafschaft, und wenn es mehrere Tausend sind, dann ist das umso besser“, machte er klar, dass auch neue Gewerbegebiete in der mittel- und langfristigen Überlegung eine Rolle spielen müssten.

Tsunami an neuen Planungen

„Keiner von uns hat etwas gegen Haribo oder grundsätzlich gegen neue Arbeitsplätze - der Tsunami an neuen Planungen rund um unser Dorf hat uns aber schlichtweg überfordert“ hielt dem Gerd Jung entgegen. Franz Josef Schäfer konnte nicht einsehen, dass man jetzt schon für einen eventuellen Bedarf in 20 Jahren eine so große Fläche als Option benötige. „Dann sollte man lieber im Zweifelsfall mit einem Zielabweichungsverfahren versuchen, ein neues Gewerbegebiet durchzubekommen und das ‚Rote Tuch‘ jetzt wieder aus dem Regionalen Raumordnungsplan heraus nehmen“, schlug er vor. Wenn all das verwirklicht würde, wäre ein Drittel der Eckendorfer Gemarkung nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar, so der Vorsitzende des Kreis-Bauern- und Winzerverbandes.

Abgesehen davon werde der Geldsegen, der von Haribo komme, ohnehin ausreichen für die notwendigen Investitionen der Zukunft. Obstbauer Hans-Christoph Rech warnte, bisher sei die Entwicklung der Grafschaft positiv, aber wenn man nicht aufpasse, gehe sie ins Negative über. Durch den zunehmenden Flächenverbrauch würden auch immer mehr landwirtschaftlich Existenzen bedroht. „Die Grafschaft muss eine Landwirtschafts-Gemeinde bleiben“, bestätigte auch Mathias Heeb, Fraktionschefs der Grünen.

Eins und Eins

zusammengerechnet

Ortsvorsteher Johannes Jung hatte darüber hinaus „Eins und Eins zusammengerechnet“ und war zu der Erkenntnis gekommen, dass ein ebenfalls zur Diskussion stehender neuer Autobahnanschluss in Höhe des Rastplatzes „Goldene Meile“ zwischen Eckendorf und Vettelhoven eigentlich nur Sinn mache, wenn die „Gewerbliche Vorrangfläche“ verwirklicht werden. Die könnte darüber hervorragend angebunden werden, ansonsten sei diese Anschlussstelle aber vollkommen sinnlos. Zumal, wie Bürgermeister Juchem hinzufügte, selbst eine so große Gewerbefläche innerhalb von drei Jahren an dieser Stelle randvoll wäre mit Speditionen aller Art, die Nachfrage von dieser Seite sei enorm. „Aber das wollen wir alle nicht“, versicherte er.

Deshalb habe er auch kein Problem damit, die Fläche wieder aus dem Regionalen Raumordnungsplan herauszunehmen, versicherte der Bürgermeister. Der werde ohnehin irgendwann wieder fortgeschrieben, dann könne man diese Fläche immer noch neu einbringen, wenn es denn bis dahin einen Bedarf gebe. Auch er war der Ansicht, dass aus rein finanziellen Gründen nach der Haribo-Ansiedlung eine weitere Ausweisung von Gewerbegebieten eigentlich nicht notwendig sei. Nach seiner Einschätzung werde aber der Gemeinderat ohnehin von diesem Abend ein passendes Stimmungsbild mitnehmen und die Sorgen und Befürchtungen der Bevölkerung gebührend würdigen.

Weiche gestellt für langsames Abrücken

Damit waren die Weichen gestellt für ein langsames Abrücken von dieser Position.“Wir können ohnehin keine Politik gegen die Bürger machen, denn niemand hat ein Interesse an sozialem Unfrieden in der Grafschaft“, gab etwa Michael Schneider zu. Ein beherzter Bürger nahm daraufhin dem etwas verdutzten Michael Schneider per Handschlag das Versprechen ab, keinen Beschluss zu treffen, der den Ängsten und Befürchtungen der Bevölkerung nicht gerecht werde. Als somit klar war, dass die Front der Befürworter des „Roten Tuches“ bröckelt, rang sich auch Schaaf zu dem Versprechen durch: „Sie können sich sicher sein, dass ich in der CDU-Fraktion ihre Anliegen und Befürchtungen wahrheitsgetreu wiedergeben werde.“ Er könne zwar keine Vorhersagen machen, wie sich die Diskussion entwickeln werde, stellte aber auch klar: „Wenn die Fläche rausfällt, wird die Welt nicht untergehen.“ Er jedenfalls sehe diesen Abend als ein Zeichen für eine gut funktionierende Demokratie an und versprach, das eindeutig ablehnende Stimmungsbild in der politischen Diskussion zur Geltung kommen zu lassen.