MS-selbsthilfegruppe ist im Ahrkreis aktiv

Multiple Sklerose, eineKrankheit mit 1000 Gesichtern

Multiple Sklerose, eine
Krankheit mit 1000 Gesichtern

Freundinnen geworden sind Patientin Ulrike Mülligann und Betreuerin Gisela HalfenWM

Multiple Sklerose, eine
Krankheit mit 1000 Gesichtern

Gisela Halfen arbeitet viele Stunden im Monat an den Akten für die Selbsthilfegruppe

Kreis Ahrweiler. Die beiden Frauen sitzen fröhlich am Tisch, unterhalten sich intensiv, später liest eine der anderen eine heitere Geschichte vor. Es gibt Kaffee und Plätzchen, die Stimmung ist locker. Zwei Freundinnen, will man meinen. Das sind sie inzwischen auch, doch sie sind auch Patientin und Betreuerin. Ulrike Mülligann sitzt seit 2001 im Rollstuhl. Sie hat Multiple Sklerose. Gisela Halfen ist die Vorsitzende der MS-Selbsthilfegruppe in der Kreisstadt. Die ehemalige Lehrerin und ihre Patientin wohnen beide auf der Grafschaft, kennengelernt haben sie sich über die Selbsthilfegruppe. Doch es sind schon lange nicht mehr nur Symptome und Schübe der Krankheit, über die die beiden Frauen reden. Sie kennen sich, sie mögen sich. Und sie bauen sich gegenseitig auf, denn auch die Betreuerin ist nicht ganz gesund, sie leidet unter Morbus Basedow, einer Autoimmunerkrankung, wie es auch MS ist. Wenn die 48-jährige Ulrike Mülligann auch nicht selbständig und ohne Hilfe durch Haus und Garten gehen kann, so ist sie doch sehr optimistisch, blickt mit Ehemann Mathias und Tochter Steffi voller Zuversicht in die Zukunft, immer dabei Balin, der quirlige Australian Silk-Terrier.

Die Krankheit

bestimmt das Leben

Die Krankheit dominiert seit 32 Jahren das Leben der gelernten Krankenschwester Ulrike Mülligann, die viel Verständnis und Hilfe von Freunden erfahren hat: „MS bekam ich wie aus heiterem Himmel kurz vor dem Abitur, konnte kaum etwas sehen. Da haben mir die Mitschüler toll geholfen, mir alles abwechselnd vorgelesen, mich überall unterstützt. Natürlich ist es nicht leicht mit einer solchen Krankheit, doch wir haben gelernt, damit umzugehen und entsprechend zu leben.“ Mit spezieller Ernährung, Medikamenten, Ergotherapie und spezieller Gymnastik hält sie die Krankheit halbwegs in Schach. Und wenn Schübe kommen, nimmt sie sofort Cortison, muss auch schon mal eine Zeit im Krankenhaus verbringen. „Sehr hilft mir die psychische Unterstützung durch die Selbsthilfegruppe, wir tauschen uns aus. Ständig gibt es neue Medikamente, neue Therapien, jeder macht so seine eigenen Erfahrungen damit. Es ist gut, wenn man darüber redet und sieht, was für einen eventuell infrage kommt und was nicht. Und es ist gut zu hören und zu erleben, wenn jemand die Symptome im Griff hat und ohne allzu große Probleme sein Leben selbstbestimmt genießt.“ Ulrike Mülligann glaubt, dass der plötzliche Tod ihres Schwagers die Krankheit bei ihr stark beeinflusst hat.

„Erst einmal müssen wir lernen, uns der Krankheit zu stellen“

Gerade solche traumatischen Erlebnisse führen oft zum Ausbruch der Krankheit, weiß auch Gisela Halfen. Ihre beste Freundin war betroffen, gemeinsam gründeten die Frauen die Selbsthilfegruppe. In vielen Weiterbildungen hatten sich die beiden mit MS auseinandergesetzt. Als die Freundin starb, beschäftigte sich die Pädagogin noch intensiver mit der Problematik. Sehr häufig sind die Ursachen ähnlich: Stress, unbearbeitete traumatische Erlebnisse, psychische Belastungen. „Erst einmal müssen wir lernen, uns der Krankheit zu stellen. In unseren Gruppenstunden sprechen wir über unsere Erfahrungen mit MS, tauschen uns über alle Themen aus. Das sind Therapien, neue Medikamente, weltweite Forschungsergebnisse, es gibt Spontanheilungen, es gibt aber auch den Abschied von Mitgliedern, die an MS gestorben sind. Jeder, der will, findet bei uns seinen eigenen Weg. Aber dieser Weg kann auch äußerst kurvenreich sein. Niemand darf und will sich betüddeln lassen, jeder muss sich selbst mit seiner Situation beschäftigen und seine ganz eigenen Entscheidungen treffen. Und dabei helfen wir mit Gesprächen, Ratschlägen, unseren Erfahrungen, mit allgemeinen Tipps und individuellen Ratschlägen“, erklärt Gisela Halfen.

Hilfe durch

Leidensgenossen

Wer die Diagnose Multiple Sklerose zum ersten Mal hört, fällt in ein tiefes Loch. Hier will die Selbsthilfegruppe gleich mit ihren Erfahrungen ansetzen und den Patienten aufbauen. Doch dazu müssen auch Ärzte und Therapeuten entsprechende Ratschläge an die Erkrankten geben, den Weg in die Gruppe der Betroffenen ebnen.

Stets willkommen sind natürlich Familienangehörige und Freunde der Patienten, denn das gesamte Umfeld ist von einem solchen Schicksalsschlag betroffen. Welche Medikamente und Therapien sind gut für mich, wie muss ich mich Behörden oder Krankenkassen gegenüber verhalten, wer pflegt mich bei starken Schüben und welche Hilfsmittel brauche ich?

Der Fragenkatalog ist lang, hier gibt die Gruppe wertvolle Antworten. Oder der Erkrankte kann einfach mal ausführlich seine Probleme aussprechen - wohl wissend, dass die Gesprächspartner alle seine Situation verstehen. „Wir sind sehr offen, natürlich vertraulich“, sagt die Vorsitzende. Die regelmäßigen Treffen finden auch schon mal bei den Mitgliedern zu Hause statt, es gibt Ausflüge und eine Freundschaft der Betroffenen untereinander, der Altersschnitt liegt von Mitte 20 bis knapp 80 Jahre.

Licht am

Ende des Tunnels

Der Stressabbau ist ein zentrales Thema bei der Behandlung von Multipler Sklerose, erklärt die agile Vorsitzende. „MS, auch die Krankheit der 1000 Gesichter genannt, da sie so viele Facetten hat, kann sehr unterschiedlich verlaufen. Die Menschen geraten völlig unverschuldet an sie.

Physiotherapeutische Maßnahmen, Entspannungsübungen wie autogenes Training und Meditation wirken sich sehr positiv aus, MS in den Griff zu bekommen. Bestimmte Medikamente senken angeblich die Schübe um 30 Prozent, doch sie sollen eigentlich nur prophylaktisch eingenommen werden, sind bei chronisch Kranken unwirksam. Hier ist die medizinische Forschung noch zu keiner Heilung gekommen. Wer sich entspannt und sich der Krankheit stellt, wer Stress abbaut und positiv in die Zukunft sieht, der entdeckt auch am Ende des Tunnels das Licht. Ich für meine Person sehe es und glaube daran, meine Krankheit zwar nicht besiegt, aber zumindest gestoppt zu haben.“