Dringender Bedarf im Kreis Ahrweiler: Verein gründete Arbeitsgruppe

Rat und Unterstützung bei Autismus

Rat und Unterstützung bei Autismus

Gemeinsam spielen, das ist eine gute Therapie für autistische Kinder und ihre Eltern. Repro WM

Kreis Ahrweiler. „Der Ansturm auf unsere Informationsveranstaltung in Bad Neuenahr hat alle Erwartungen übertroffen“, erklärte im Gespräch mit "Blick aktuell" Peter Schumacher, der Vorsitzende des Vereins „Leben mit Autismus Bonn und Rhein-Sieg-Kreis“.

Die Selbsthilfegruppe hatte nach Anfragen aus dem Kreis Ahrweiler im Mehrgenerationenhaus eine Informationsveranstaltung durchgeführt. Zahlreiche Betroffene, aber auch Politiker, Lehrer und Ärzte waren gekommen, um bei der Gründung einer Selbsthilfegruppe an der Ahr mitzuhelfen.

Gründung einer

Selbsthilfegruppe

„Die zahlreichen Anfragen aus dem Kreis Ahrweiler und die vielen Besucher haben gezeigt, dass hier ein dringender Bedarf vorliegt“, meinte Schumacher. „Dieser Verantwortung können und wollen wir uns nicht entziehen. Daher werden wir unsere Hilfe ab sofort auch hier anbieten.“

Den Anfang machte die Gründung und professionelle Begleitung einer Selbsthilfegruppe. Dazu hat sich der inzwischen pensionierte Sozialarbeiter Ralf Hoffman bereit erklärt, zusammen mit Andrea Hupperich und Thomas Röder diese Gruppe zu leiten. Hoffmann blickt auf fast vier Jahrzehnte zurück, in denen er für ein städtisches Jugendamt unter anderem im Sozialen Dienst und in der intensiven Betreuung junger Menschen, zum Beispiel an einer Förderschule, tätig war. Das erste Treffen der Selbsthilfegruppe fand bereits statt im Café des Mehrgenerationenhauses in Bad Neuenahr. Interessenten erhalten weitere Informationen beim Verein „Leben mit Autismus“.

Kontaktdaten finden sich auch im Internet unter lebenmitautismus.de. Der Verein wird zudem eine Arbeitsgruppe bilden, die den Bedarf an weiteren Unterstützungsmaßnahmen feststellt. In Frage kommt das gesamte Angebot, das der Verein bereits im Rhein-Sieg-Kreis und in Bonn anbietet. So wird noch im November eine neue Autismus-Ambulanz in Bonn eröffnet, wo der Verein Therapien durchführen wird. Ziel ist es, den Betroffenen und deren Angehörigen Hilfestellung zu einem möglichst selbst bestimmten Leben zu geben.

Mit diesem Hintergrund wurde der Verein 2009 von betroffenen Eltern, Fachleuten und Freunden gegründet. Wie der Vorsitzende ankündigte, wird der Verein seinen Namen ändern und so das zukünftige Engagement im Kreis Ahrweiler und der Eifel deutlich machen.

Autismus, eine

wenig bekannte Krankheit

Judith Braun, Zweite Vorsitzende und betroffene Mutter, hielt ein viel beachtetes Kurzreferat über die Krankheit. „Wenn man über Autismus bei Wikipedia & Co nachschaut, liest man, dass es  sich um eine Wahrnehmungs- und Informationsstörung handelt.

Die Einschränkungen autistischer Menschen sind schwer zu erahnen. Will man verstehen, was es mit einer Wahrnehmungs- und Informationsstörung auf sich hat, muss man sich dem Ort des Geschehens nähern, also dem Gehirn. Die größte Leistung unseres Gehirns besteht nicht darin, so viele Reize durch unsere Sinnesorgane aufzunehmen, sondern sie auf eine verdaubare Größe zu filtern und zu gruppieren.  Normale Gehirne sind perfekte Meister darin, selbst rudimentäre Sinneseindrücke zu gruppieren und in Kategorien-Schubladen zu stecken. Genau da haben Autisten ihre Schwierigkeiten.“

Autistische Gehirne können die milliardenfach auf den Menschen einprasselnden Wahrnehmungen eben nicht einordnen, sie nehmen äußere Reize wie einzelne Puzzleteile wahr, während ein „normaler“ Mensch das ganze Bild sieht. Der Autist sieht im wahrsten Sinne des Wortes, „den Wald vor lauter Bäumen nicht“.

Die fehlerhafte Informationsverarbeitung führt zu einer permanenten Reizüberflutung und Reizunterempfindlichkeit. Vieles, was über Autismus bekannt ist, sei wahr, aber auch das Gegenteil davon. „So wirken manche autistische Menschen wie taub. Und gleichzeitig schmerzt der 'Plopp' eines Toasters in ihren Ohren wie Hölle. Haare kämmen ist wie 1.000 Nadelstiche auf der Kopfhaut, aber wenn sie hinfallen und sich die Knie aufschürfen, zucken sie nicht einmal. Viele mögen keine Berührungen, andere umarmen selbst Fremde ohne Hemmungen. Sie können vielleicht überdurchschnittlich gut rechnen und lesen, aber nicht beim Bäcker um die Ecke Brötchen holen.

Den Wunsch unseres Gehirns, Menschen ohne nachzudenken in Kategorien zu stecken, wird gerade autistischen Menschen überhaupt nicht gerecht. Hierzu zählt auch das falsche Vorurteil, autistische Menschen hätten keine Gefühle. Nur weil sie Gefühlsempfindungen anders wahrnehmen und entsprechend äußern, heißt es nicht, dass sie gefühlskalt sind. Nein, viele autistische Menschen werden von ihren Gefühlen geradezu überwältigt“, erläuterte Edith Braun.

Permanenter Stress

Das autistische Gehirn sei permanent im Stress. Autistische Verhaltensweisen seien „eine normale Reaktion auf eine unnormale Wahrnehmung“. Zur Diagnose gehören neben diesen Verhaltensweisen noch Besonderheiten in Sprache und sozialer Interaktion. Nicht das Herz, das Gehirn sei das Beziehungsorgan. Kaum geboren, giere es nach sozialem Austausch. „Neugeborene imitieren bereits einfache Mundbewegungen. Nur wenige Zeit später hält das Kleinkind das Spielzeug seinen Bezugspersonen vors Gesicht, um deren Reaktionen anzutesten und in sich aufzusaugen. Sehr bald lernt es, dass es nicht nur eine eigene, sondern mehrere  Perspektiven gibt und gegenseitig diese Perspektiven beeinflussbar sind.

Sich in andere hineinzuversetzen, ist die wichtigste Voraussetzung, um Empathie zu entwickeln. Da die nichtautistischen Menschen das Meiste nicht über das gesprochene Wort kommunizieren, sondern Mimik, Gestik und die gesamte Körpersprache das eigentliche Kommunikationsziel viel besser transportieren, lauern hier für autistische Menschen viele Fettnäpfchen und Missverständnisse. Ironie und zweideutige Formulierungen sind weitere Stolperscheine.

Während bei den frühkindlichen Autisten etwa 60 Prozent ganz ohne Sprache bleiben, haben Menschen mit dem Asperger Syndrom immerhin die Möglichkeit, sich mit ihrem Intellekt die mitmenschliche Kommunikation wie eine Fremdsprache anzueignen.

Ein frühes Training ist da sehr sinnvoll. Auch nicht sprechende Autisten können lernen, ihre Bedürfnissen auszudrücken“, führte Braun aus.

Da ein frühes intensives Training der kommunikativen Möglichkeiten so wichtig ist, sollte die (Verdachts-)Diagnose auch so früh wie möglich gestellt werden. Je nach Schweregrad sei eine Testung bereits ab 18 Monaten möglich. Die zweite Vorsitzende des Vereins endete: „Unsere Gesellschaft sollte - ganz im Zeichen des ratifizierten Inklusionsgedankens - diese andere Art der Wahrnehmung akzeptieren und respektieren. Wir sind über sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten, dass heißt, wir haben über sieben Milliarden Sichtweisen auf diese eine Welt, sieben Milliarden (fälschliche) Annahmen, unsere wäre die einzig wahre Sicht auf die Dinge.“