Karl-Friedrich Amendt sprach beim Sinziger Turmgespräch über Stadtrechte und Stadtwerdung

750-Jahres-Jubiläum hätte bereits 2005 gegefeiert werden können

750-Jahres-Jubiläum hätte bereits 2005 gegefeiert werden können

Karl-Friedrich Amendt erörterte Stadtrechte und Stadtwerdung. HG

Sinzig. „Was ist eine Stadt?“ Unter dieser Fragestellung rollte Karl-Friedrich Amendt beim „Turmgespräch im Schloss“ die Stadtwerdung Sinzigs auf. Im Vorgriff auf die 750-Jahr-Feier 2017 hielt der Vorsitzende des Vereins zur Förderung der Denkmalpflege und des Heimatmuseums bereits den zweiten Vortrag, um den Zeitpunkt, ab dem Sinzig als Stadt gelten kann, näher zu bestimmen.

Denn dass Sinzig seit dem Jahr 1267 Stadt sein soll, ist umstritten und, um es vorwegzunehmen, laut Amendts Ausführungen unzutreffend. Zumindest bietet sich der Beitritt zum Rheinischen Städtebund 1255 als früheres und geeigneteres Datum an. Doch kreiste der Referent zuerst ein, was eine Stadt kennzeichnete. Größe allein war es nicht, arbeitsteiliges Gewerbe, Handel, Märkte, Verwaltung und Wehrhaftigkeit kamen hinzu. Obwohl es keine Rechtskontinuität aus römischer Zeit bis ins Mittelalter gab, behielt man bis ins 14. Jahrhundert die Unterscheidung von „Civitas“ (Siedlung mit Stadtrechten) und „Oppidum“ (stadtähnlicher Ort ohne Stadtrechte) bei. Doch in der deutschen Übersetzung heißt es einheitlich „Stadt“: „Damit sind Missverständnisse vorgegeben“, so Amendt.

Freie Städte – Titularstädte

Er grenzte im Wesentlichen freie Städte mit eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit von Titularstädten ab. Erstere akzeptierten, wenn überhaupt, nur Kaiser und König, aber keine adeligen Landesherren über sich. Die freien Städte hatten sich das Stadtrecht „ertrotzt, gekauft oder erstritten“, um wirtschaftlich unabhängig zu sein. Titularstädte bekamen dagegen durch König oder bevollmächtigten Landesherrn den Titel Stadt per Stadtrechtsurkunde verliehen und damit verbunden oft die mittelalterlichen Stadtrechte der „vier M“, Markt-, Mauer-, Maut- und Münzrecht. Es gab die Stadtrechte auch ohne förmliche Stadternennung, wie in Sinzig, das 1310 Marktrecht, 1297 Mauerrecht und 1297 Mautrecht („Ungeld“ zum Bau der Mauer) erhielt. Verglichen mit den freien Städten waren die königlich und landesherrlich verliehenen Stadtrechte „eine Mogelpackung“, wie die Verpfändungen der Städte zeigen.

Sinzig fehlten die Voraussetzungen für eine freie Stadt. Es besaß keine eigene Wirtschafts- und Verteidigungskraft. Über den Eigenbedarf hinaus produzierte es nur Wein, und der floss in des Königs Hofhaltung oder die (Reich)Stifte und Klöster zu Aachen, ebenso die im Handel erhobenen Zölle und Steuern. Für den Handel sprechen die mehrfach urkundlich erwähnten Lombarden und Sinziger Juden, die als überregionale Händler unter dem Schutz des Herrschers standen und deshalb gerne in den Reichsstädten siedelten.

Aufstieg und Fall der Stadt

Als Königspfalz und gelegen an der Aachen-Frankfurter Heerstraße, Pilger-, Händler-, Militärweg, wies Sinzig freilich einige städtische Merkmale noch vor der Verleihung der Stadtrechte auf. Doch 1206 wurde die Burg Landskron gebaut. Barbarossas Sohn, König Philipp von Schwaben, hielt im Januar 1207 einen letzten Hoftag in „Sinzeche“ ab. Ab dann wurde die Verwaltung der hiesigen Reichsgüter auf die Burg Landskron verlegt, gewiss einhergehend mit erheblichen Konsequenzen für die Sinziger Bevölkerung.

Die große, 1241 geweihte Pfarrkirche mochte das Selbstbewusstsein der Bewohner gestärkt haben. Aber die größte Bedeutung erlangte Sinzig, als es zur Zeit des rivalisierenden Doppelkönigtums, „veranlasst oder unterstützt“ durch die Reichsburgen Landskron und Hammerstein, am 1. April 1255 dem „Rheinischen Städtebund“ beitrat. Das Recht, diesem militärischen Schutz- und Trutzbündnis mit eigener Kriegsflotte auf dem Rhein anzugehören, nahmen sich bis dahin nur freie Städte heraus. Das Jahr 1267, in dem eine Urkunde die Sinziger Bewohner „Oppidanos“ nennt und auf das sich das Stadtfest 2017 gründet, markiert indes einen gehörigen Statusverlust als Stadt: 1267 eroberte der brüskierte Kölner Erzbischof als Landesherr Sinzig. Denn „seine“ Sinziger Schutz-Juden waren 1265 in einem Pogrom durch die übrige Bevölkerung ermordet worden.

Für das Publikum nachvollziehbar, betonte Amendt daher: „Spätestens 1255 hatte Sinzig Stadtrechte! Sinzig hätte das 750. Stadt-Jubiläum folglich schon 2005 feiern können – leider ist man erst hinterher schlauer.“ Der Denkmalvereinsvorsitzende empfahl, das 800-Jahr-Jubiläum der Stadtwerdung am 1. April 2055 zu feiern, sofern bis dahin keine formale Stadtwerdungsurkunde vorliege.

Der stellvertretende Vorsitzende Matthias Röcke dankte Amendt für die detaillierte Geschichtsstunde zu Sinzigs Stadtentwicklung, nicht ohne das traditionelle Weinpräsent zu überreichen, das allen Turmgespräch-Rednern sicher ist.