Leserbrief

Bürgerbeteiligung – Theorie und Praxis

Vallendar. Mittwoch, 13. Juli, 19 Uhr auf dem Wüstenhof. Peter Hahn, Leiter der Regionalgruppe Koblenz im Verein integrierte Mediation e.V. hatte unter anderem einige Mandatsträger im Stadtrat von Vallendar und im Verbandsgemeinderat eingeladen.

Selbst kein Mandatsträger, war ich insbesondere auf die Präsentation von Frau Dr. Stefanie Pieck, Rechtsanwältin und Mediatorin aus dem Raum Köln, gespannt. Darum ging es: Eine Kleinstadt bei Köln – so Frau Dr. Pieck - hat ein teils denkmalgeschütztes Rathaus, das offenbar nicht mehr den Anforderungen der Bürger, unter anderem wegen der fehlenden Barrierefreiheit, entspricht. Dieses Projekt wird bereits seit Jahren kontrovers im Rat und in der Bürgerschaft diskutiert. Ein Neu- oder Umbau steht an. Der Rat der Stadt hat aus verschiedenen Vorschlägen renommierter Architekturbüros drei machbare Versionen ausgewählt.

Um den größtmöglichen Konsens zu erzielen, hatte der Rat seine Bürger nun aufgerufen, demokratisch zu entscheiden, welche der drei Varianten realisiert werden sollte.

Der Aufruf sinngemäß: „Der Rat der Stadt hat beschlossen, das Rathaus bis auf den denkmalgeschützten Teil abzureißen und durch einen Anbau zu ergänzen. Aus den drei besten vorausgewählten Projektplänen renommierter Architekturbüros sind Sie, verehrte Bürger, aufgerufen, Ihre Wahl zu treffen.“

Dann stellte Frau Dr. Pieck die Frage an die Runde: Wie glauben Sie, ist das Ergebnis ausgefallen?

Richtig! Statt Zufriedenheit über das Angebot „Bürgerbeteiligung bei einer wichtigen kommunalen Entscheidung“ erneuter Frust und mehrheitliche Ablehnung.

Den psychologischen Fehler auszumachen, fiel den etwa 15 Anwälten Mediatoren und Beratern im Pavillon des Wüstenhofs nicht schwer. „Der Rat der Stadt hat beschlossen,...“ war der Kasus knacktus. Offenbar hatte man Angst, nach dem Beschluss des Gremiums die Grundsatzfrage „Soll überhaupt saniert werden?“ noch einmal zur Diskussion zu stellen.

Was können wir daraus lernen?

Die Bürgerbeteiligung bei wichtigen kommunalen Entscheidungen ist ein hervorragendes Instrument, um…

1) das Ideenpotenzial der Bürger zu nutzen;

2) Entscheidungen in kurzer Zeit und kostengünstig herbeizuführen;

3) die Bürgerzufriedenheit und damit das Image der Kommune wesentlich zu fördern.

Bürgerbeteiligungen setzen

ergebnisoffene Fragen voraus

Meine Gedanken nach dieser hochinteressanten Veranstaltung schweiften ab. Ich sah die Kongresshalle Vallendar vor mir, zählte schon die Euros, die ich als Vallendarer Bürger künftig mehr zum Ausgleich des Jahresdefizits beisteuern muss.

Ach nein, da gibt es ja das Angebot von Herrn Schär, der mit seinem „Wolkenkratzer“-Hotel für die Defizitvermeidung Sorge tragen möchte. Vielleicht ist es für Vallendar ja noch nicht zu spät, PRO und CONTRA zum Projekt „Schär-Hotel“ allgemeinverständlich zu kommunizieren und anschließend die Bürger mittels einer ergebnisoffenen Frage um ihr Votum zu bitten. Mit diesem demokratischen Überzeugungsprozess würden die Stadtväter (m + w) sicher zum gegenseitigen Verständnis beitragen und Vertrauen zurückgewinnen. Die Gedanken schweiften weiter zum BREXIT-Referendum in Großbritannien, zum Flugplatz Hahn, zu… Es gibt genug offene Baustellen für ehrliche Bürgerbeteiligung. Aber nur darüber reden, bringt nichts. Schon Erich Kästner sagte treffend „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“. Und zum Tun gehört zunächst einmal, das Projekt, für das eine Kommune die Zustimmung der Bürger gewinnen will, in allgemeinverständlicher (!) Form und mit allen Vor- und Nachteilen zu kommunizieren. Mit meinen Gedanken war ich plötzlich in einem der zahllosen Rathäuser. Ich hörte Parteisprecher, die ihre Kollegen der jeweils anderen Fraktion aufforderten, PRO und CONTRA ihrer Vorschläge und Anträge zu argumentieren. Ich hörte, wie der gesamte Rat ganz sachlich über die vorgebrachten Argumente diskutierte. Ich erlebte ehrliche Demokratie im Rathaus. „Mediatoren in die Rathäuser!“ stand bei der letzten Stadtrat-Wahl als Motto auf den Wahlplakaten der Unabhängigen Liste Vallendar (ULV), der ich auch angehören darf. Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif für einen solchen Umbruch im Demokratieverständnis. Aber irgendwann wird dieser Umbruch kommen, da bin ich mir sicher.

Vielleicht besuchen dann auch Amtsträger aus Stadtrat und Verbandsgemeinderat sowie interessierte Bürger die Tagungen des Vereins Integrierte Mediation e.V. Und – so bleibt zu hoffen – wird uns allen das Mediationsverfahren als WIN+WIN-Alternative zu Partei-Machtkämpfen in parlamentarischen Gremien einerseits und zur gerichtlichen Auseinandersetzung andererseits mehr und mehr bewusst.

Bernd Mühlberger, Mediator