Premiere im Schlosstheater

Chamäleons führen bewegendes Musical „Hair“ auf

Fakten von einst und Fiktion von morgen verschmelzen auf der Bühne

12.09.2016 - 10:34

Neuwied. Vergangenen Donnerstag feierte das Musical „Hair“ im Neuwieder Schlosstheater Premiere. Vieles war an diesem Abend anders als sonst. Die Etikette konnte gleich an der Garderobe abgegeben werden.  Einen Dresscode gab es nicht. „Wenn ein Handy klingelt, wird es auf der Bühne geraucht. Ansonsten macht einfach was ihr wollt“, begrüßte der bekannte Schauspieler, Sänger und Musical Artist Sascha Krebs die Premierengäste. „Hair“ ist eine Herausforderung für das Neuwieder Stammpublikum und eine Einladung an eine andere Zielgruppe.  „Es ist der Versuch, junge Leute ins Theater zu bewegen“, erklärt Oberbürgermeister Nikolaus Roth rund zweieinhalb Stunden später bei der Premierenfeier. „Scheiße, war das geil“, bestätigte ein junger Erwachsener in Reihe vier das Gelingen des Experiments, als der Applaus und die Standing Ovations nicht enden wollen. Die Begeisterung dieses Zuschauers entspricht dem Tenor des Stücks. Rau und rüde die Umgangssprache. Frivol, lasziv der Tatendrang der Hippies. Da bekommt das Publikum auch mal den blanken Hintern von Berger (Sascha Krebs) zu sehen. Im Stück selbst wird mindestens so viel geküsst wie gesprochen. Andererseits laufen schwer bewaffnete Soldaten durch die Gänge. Mutig, angesichts von Terroranschlägen in dieser Zeit.  Nach dem Schlussakt erschienen Regisseur Oliver Grabus und die choreografische Leiterin Claudia Lichtwardt auf der Bühne, um sich bei der Landesbühne und dessen Theaterintendanten und Hausherrn Walter Ullrich zu bedanken. Und zwar für den Mut „so etwas auf die Bühne zu bringen“, so Oliver Grabus. Selten, vielleicht nie zuvor wurde im Schlosstheater so ein großer Aufwand betrieben.  Dafür reichte die hauseigene Licht-, Film-  und Tontechnik nicht und musste von extern installiert werden. Das auffallendste bei „Hair“ sind aber die Sänger und Schauspieler. Bekannte Songs wie „Aquarius“ oder „Let the Sunshine“ reißen mit. Viele andere Lieder beschreiben in deutscher Sprache das damalige Lebensgefühl, bestehend aus einfach „anders sein“ und sexueller Befreiung. Nie zuvor standen so viele Darsteller auf der Bühne im Schlosstheater. Es dürfte schwierig werden, die Kosten auch nur annähernd einzuspielen. Und das, obwohl der überwiegende Teil der Darsteller gar kein Geld verdient. „Hair“ ist wieder ein Meisterstück aus dem Hause Chamäleon. Der Neuwieder Theater- und Kulturverein bringt „Hair“ auf die Bühne und setzt die professionellen Schauspieler in Szene. Darunter Sascha Krebs (Berger), Tina Ajala (Shella), Mario Mariano (Hud), Mariyama Ebel (Dionne), Maximilian Millen (Woof & Margaret Mead) und natürlich Sascha Stead. Er verkörpert Claude, der zwischen Hippie-Community und bürgerlich-spießigen Familie hin und her gerissen ist. „Hair“ startet Ende der 1960er Jahre seinen Siegeszug vom Broadway aus. Es ist die Zeit, in der Amerika Krieg führt und in den USA noch die Wehrpflicht besteht. „Du wirst töten, vergewaltigen und selbst sterben“, versuchen die Freunde Claude zum Verweigern zu bewegen. Regisseur Oliver Grabus lässt das Geschehen vom 16. März 1968 nicht außen vor, als US-Soldaten ein vietnamesisches Dorf überfallen und Frauen vergewaltigen. Aber weil junge Deutsche wenig von amerikanischer Geschichte wissen, überträgt Oliver Grabus das Stück phasenweise in die heutige Zeit. Eins hat sich in 50 Jahren nämlich nicht geändert: Der Wunsch nach Frieden und Freiheit.  Fakten und Fiktion verschmelzen in Claudes Halluzinationen. Soldaten hindern und töten Flüchtlinge in ihren Schlauchbooten. Europa schottet sich ab, will keine Schwarzen. Über die Leinwand flimmern Bilder von Flüchtlingskindern am EU Stacheldraht. Dieser Teil ist der aufregendste des Stückes mit Bezug zur Gegenwart. Konträr zum ersten Teil, bei dem sich die Darsteller vornehmlich bekifft und liebend auf dem Boden räkeln. Nach der Pause wird es sozialkritisch, aufrüttelnd, verstörend, nachdenklich machend.  Für die Darsteller sind diese kurzen, in schneller Folge wechselnden, Szenen höchster Anspruch. Eng wird’s auf der Bühne, noch enger hinter den Kulissen. Der Zuschauer ist beindruckt. „In den letzten Wochen haben wir täglich mit den Profis geprobt“, berichtet Oliver Grabus. Natürlich abends, weil seine Leute zur Schule, zur Uni oder zur Arbeit müssen.  Vor vier Wochen machten sich die Profis zum ersten Mal mit der Bühne und den Kulissen vertraut. Texte und Lieder hatten sie schon einstudiert. Für die Chamäleons begann die Arbeit schon vor über einem Jahr. Seitdem wurde zweimal wöchentlich geprobt. Dem Titel „Hair“ wurden einige authentisch gerecht, gingen seit einem Jahr nicht mehr zum Frisör und tragen jetzt Raster. Sämtliche Rollen der Amateure sind dreifach besetzt, manche spielen unterschiedliche Personen. Das ist wichtig, denn die Laiendarsteller können nicht immer und zu jeder Aufführung. Dies ist auch das wirtschaftliche Wagnis. Das Neuwieder „Hair“ kann nicht auf große Tournee gehen, obwohl es das Potential dazu hätte.  Wer das Musical also sehen möchte, muss sich beeilen. Die Vorstellungen laufen nur bis Anfang Oktober. FF

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