Kirstin Höfer veröffentlicht „Chefsachen. Rico, ein Leben als Schattenhund im Tierheim“

„Mein Herz klopft mir fast raus vor Glück“

„Mein Herz klopft mir fast raus vor Glück“

Vor dem für Rico gespendeten Teich, mit Heim-Hund „Pelle“ im Arm, spricht Kirstin Höfer über ihr amüsantes, lehrreiches und berührendes Rico-Buch. BSB

„Mein Herz klopft mir fast raus vor Glück“

Das Autorenhonorar ihres Erstlingswerkes spendet Kirstin Höfer dem Tierschutzverein Koblenz.

Koblenz-Rübenach. Nein, als Hundeflüsterin sieht sie sich selbst nicht. Sie ist halt ein Hundetyp, wie sie sagt. Kirstin Höfer, Jahrgang 1964, arbeitet seit 35 Jahren für den Tierschutz. Lange Jahre war sie Tierheimleiterin in Darmstadt. Seit 2008 leitet sie das dem Deutschen Tierschutzbund angeschlossene Tierheim Koblenz.

Als Hundetyp haben es ihr besonders die „schweren Jungs und Mädchen“ angetan, die als bissig und unvermittelbar geltenden „Schattenhunde“, die ihr Leben in Tierheimen verbringen müssen, weil sie von den Menschen problematisch gemacht wurden. In jedem Tierheim sei mindestens ein Schattenhund untergebracht, ist Höfer überzeugt.

Rico war ein solcher Hund. Der Riesenschnauzer-Rottweiler-Mix kam bereits mit elf Monaten ins Tierheim, weil Herrchen gestorben war und Frauchen nicht mit ihm zurechtkam. Er war sieben Jahre alt, als Höfer die Leitung des Koblenzer Heimes übernahm. Für ihn und seine Leidensgenossen bricht sie mit ihrem 348 Seiten starken, mit Fotos angereicherten Buch „Chefsachen. Rico, ein Leben als Schattenhund im Tierheim“ eine Lanze. Es ist eine Zusammenstellung der „Sandmännchen-Geschichten“, die Höfer ab November 2013 zwei Jahre lang über „Facebook“ postete. Alles wahre Tierheim-Geschichten, aber aus der Sicht des Hundes. Das kann sie, weil sie „hündisch“ versteht, eine Sprache, die über das Bauchgefühl funktioniert - die einfachste Fremdsprache der Welt, wie sie sagt. Rico war ihre Inspiration, sie sein Ghostwriter. „Sie“, wie Rico sie nannte, brauchte nur aufzuschreiben, was ihr der Hund in abendlichen Zwiegesprächen mit den Augen „zusimste“. Da saßen die beiden in seiner „Butze“, der Hundebox im Tierheim, und ließen den Tag Revue passieren.

Rico - der Chef im Tierheim

Bevor Rico im Buch das Wort erhält, beschreibt die Autorin den Hund und seine Lebenssituation. Rico war Chef im Tierheim. Stark, klug und vorausschauend fühlte er sich für alles verantwortlich, aber Menschen, die sich nicht an seine Regeln hielten, ihm keinen Respekt zollten, mochte er nicht. Zu den vier Freunden, die er hatte, zählte „Lutz“, der mit ihm am Wochenende Ausflüge im Auto unternahm. Und „Onkel Strauß“, der ihn in all den Jahren fünfmal die Woche ausführte, und dem Rico trotzdem einmal seine „Zähne in den Arm franste“, wie er es in seinem Straßenhunde-Jargon ausdrückt. Aus Ricos Sicht musste das sein, hatte sein Freund doch seine deutlich geknurrte Warnung außer Acht gelassen. Eine, die er, wie er klar signalisierte, anfangs gar nicht mochte, war Kirstin Höfer, die Neue im Tierheim. Sie respektierte seine Entscheidung, brachte ihm nur Futter oder leinte ihn an, um ihn in den Auslauf zu führen. Doch eines Tages entschied er sich, sie als „Freund für immer“ in sein Hundeherz zu schließen, das glücklich war in der Routine dieses Tierheims, wo ihm die Sicherheit gegeben wurde, die er brauchte. In den lustigen, nachdenklichen, poetischen oder traurigen Geschichten – oft sind sie alles zusammen, lernt der Leser Ricos Vorlieben für Kartons, Kekse und Schweineohren kennen, erfährt, wen er warum nicht mag, dass er viel Zeit mit Nachdenken verbringt und furchtbar gerne Enten und Kaninchen guckt oder Auto fährt. Ihren Kontrollzwang findet er unerträglich und ihr „Gelaber“ lässt er oft einfach an sich vorbeiplätschern. Doch wenn sich einmal alles zum Besten gefügt hat, dann grinsen sich beide an. Dann simst er ihr zu: „Mein Herz klopft mir fast raus vor Glück!“ Zum Beispiel über die vielen Spenden, die eintrafen, wenn er und sie besprochen hatten, an was es fehlt, damit sich Rico und seine Mitbewohner erst im alten, später dann im neu gebauten Tierheim wohlfühlen konnten. Gibt es eine sympathischere Art, um Spenden zu bitten, als die missliche Lage aus der Sicht des Hundes darzustellen? Der schöne Teich hinter dem Tierheim, den eine Tierfreundin aus der Schweiz spendete, sei ganz alleine ihm zu verdanken, weiß Höfer. Ricos Facebook-Freundeskreis wuchs auf 600 Personen an - Freunde, die auch in der realen Tierheim-Welt Unterstützung leisteten, wenn sie gebraucht wurde. So bezahlten seine Fans, die Freude und Leid mit Hund und Tierheim teilten, viele der teuren tierärztlichen Behandlungen, die Rico wegen einer chronischen Ohrenentzündung über sich ergehen lassen musste. Der große schwarze Hund und sein Blog machten das Tierheim weit über die Koblenzer Grenzen hinaus bekannt. Offenbar konnten sich die Leser mit dem Hund identifizierten, erklärt Höfer den Erfolg.

Ein tierischer Vermittler

Rico hatte viel zu geben. Vor allem Kirstin Höfer: „Er war mein wichtigster Lehrer, wurde mein engster Vertrauter und mein wichtigster Kollege“. In der Phase, als es im Tierheim den großen Krach zwischen Vorstand des Trägervereins „Tierschutzverein Koblenz und Umgebung e.V.“ und Tierheimleitung gab, der in Vorstandsneuwahlen gipfelte, ließ die Autorin Rico zwischen den Zeilen das sagen, was sie, stets zwischen Vorstand und Personal jonglierend, bewegte. Deshalb stand Rico im November 2015 vier Wochen lang unter „Deppenschutz“, seine Sandmännchen-Geschichten durften nicht veröffentlicht werden. Obwohl es doch so viel zu sagen gab. Im Buch hat Höfers Schwester Heike an dieser Stelle das erklärende Wort zu verwaltungsrechtlichen Strukturen und denen der menschlichen Natur. Die mit viel Streit und Vorwürfen einhergehende Zeit sei ihr sehr nah gegangen, sagt Kirstin Höfer. Da war die Zeit mit dem vierbeinigen Freund Balsam für die Seele. Der Tag nach den Wahlen, als klar war, dass der Verein von einem neuen Vorstand geleitet wird und Höfer weiter Tierheimleiterin sein würde, war der letzte Tag in Ricos elfjährigem Leben.

Sein allerletztes Sandmännchen erzählt er nach einer Woche des Abschiednehmens von Orten und Menschen am 13. Dezember 2015: „Hallo Leute, hallo Freunde, wenn Ihr das lest, bin ich schon tot. Ich war der Hund von jedem von Euch. Danke, dass ich das sein durfte. Für immer gute Nacht sagt Euer Rico“. In Ricos Testament am Ende des Buches schreibt Höfer, dass es irgendwann einen neuen Sandmännchen-Verfasser geben wird. Vielleicht wird es Ricos Raufkumpel, der rote Terrier „Struppi“, sagt sie. Zusammen mit Ricos gutem Geist, der über dem Tierheim wohnt, seitdem seine Asche über dem Gelände verstreut wurde, hofft sie, dass Tierheim- und Rico-Freunde bis dahin die Treue halten. Denn „es gibt noch viele Ricos, die Eure Hilfe brauchen“. Ricos Buch wurde von Höfers Schwester, Heike Boam, zusammengestellt und im Selfpublishing-Verlag „Tredition“ herausgegeben. 900 Bücher konnten bisher verkauft werden. Das Autorenhonorar fließt - wie sollte es anders sein? - komplett in den Tierschutz, kommt also dem Tierheim Koblenz zugute.