4. Mundartwettbewerb der Sparkassenstiftung „Zukunft Kreis Ahrweiler“

Stachelbeeren zur Erzählstunde

Stachelbeeren zur Erzählstunde

Irene Thöing hatteden richtigen Ton für die „Krätzje von menge Oma“ gefunden.HG

Ahrkreis. Sie hat viele Interessen, ein großes Herz und zweifellos eine unbändige Neugier auf das Leben und die Menschen. Irene Thöing, die seit 14 Jahren in Bachem lebt, aber vor 66 Jahren in Heimersheim geboren wurde, ist im Dorf und mit „Heimische Platt“ groß geworden. Am Entscheidungsabend des 4. Mundartwettbewerbs der Sparkassenstiftung „Zukunft Kreis Ahrweiler“ in Wehr stand sie zum ersten Mal mit der lokal gefärbten Sprache auf einer Bühne. Schnell wusste sie die Menschen im Saal und ebenso die Jury zu überzeugen, die ihren Beitrag mit dem 2. Preis auszeichnete. Die „Krätzje von menge Oma“ handelten von der Witwe Geier, die ungeniert ihre dritten Zähne bei den Nachbarn suchte, lange Apfelschalen schälte, sie den Kindern um den Hals hängte und stolz auf ihre Taschentücher-Sammlung war. Viele Exemplare stammten vom Kaffee, der früher in Heimersheim per Post zu „Mays Ann“ von der Schmiede kam. Halb-Pfund-Packungen gab es in Damentaschentücher, ein ganzes Pfund in Herrentaschentücher eingenäht.

Wie der Schnabel

gewachsen war

Zurück zu Thöings Oma. Die Enkel liebten sie. Gerne hörten sie die Geschichten aus der Heimersheimer Teichgasse, wo die Großmutter mit elf Geschwistern aufgewachsen war. Dann stand vor Enkelin Irene, während sie auf dem Sofa in der Stube lauschte, schon mal ein Einmachglas mit Stachelbeeren, eigens eingeweckt für das Mädchen, das sie so gerne aß. Wer zu der Zeit im Dorf Hochdeutsch sprach, „wurde belächelt und für hochnäsig gehalten!“, erinnert sie sich. Und weiter: „In der Schule wurde es dann auch für mich schwierig und ich musste meine erste ‚Fremdsprache‘ lernen. Zu Hause durfte ich mit meiner Oma reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist. All die Geschichten, die sie mir von früher erzählte - ob sie sich zugetragen hatten oder nicht - waren ein Teil meiner Kindheit.“ Das traf auch für eine weitere Mundart zu, das Bitburger Platt der Mutter, „was ich auch hervorragend verstand, aber bei Weitem nicht so gut sprechen konnte“.

Ein Stück Kultur vorenthalten

Im Deutschland der 1960er Jahre kam der Dialekt allgemein in Verruf. Damals glaubte man, dass Kinder möglichst ausschließlich auf Hochdeutsch erzogen werden sollten. Dialekte wurden mit einem niedrigen Sozialstatus verbunden. Inzwischen haben Studien gezeigt, dass zusätzlich gesprochener Dialekt die Sprachbegabung sogar fördert. Doch auch Irene Thöing weiß noch: „Wer Platt sprach, galt als Dorftrottel. Plötzlich waren die Bewohner vom Land verpönt.“ Dennoch konnte sie ihre Heimat nicht ganz verleugnen. „Ich bin viel in Deutschland herum gekommen und immer wurde mein Dialekt erkannt. Mag auch sein, dass Millowitsch durch seine Präsenz im aufkommenden Fernsehalter daran schuld war!“ Ihr Mann - die beiden heirateten 1973 - stammt aus Remagen: „Seine Sprache ist ein reines Hochdeutsch und er stand mitunter ganz hilflos da, wenn ich mich mit meinen Eltern oder Brüdern unterhielt. Anfangs musste ich übersetzen. Als wir dann aber von Remagen nach Heimersheim zogen, war er des Platts mächtig und verstand alles. Nur reden kann er es nicht.“ Da geht es den Kindern des Ehepaars nicht anders: „Unsere beiden Mädchen habe ich dann vom Platt fern gehalten. Sie bekamen es nur zu hören, wenn ich mich mit guten Freunden unterhielt. Heute tut es ihnen leid, dass sie es nicht sprechen können und ich bin traurig, dass ich ihnen ein Stück Kultur vorenthalten habe.“

Das musst Du aufschreiben

Doch eine Tradition hat die Wettbewerbssiegerin fortgeführt, ihren Kindern vorzulesen und ihnen Geschichten von früher zu erzählen, „so, wie ich sie von meiner Oma gehört habe“. „Mama, das musst Du alles aufschreiben“, haben die Töchter sie ermuntert. Inzwischen ist Irene Thöing selbst Oma und möchte, „dass vieles auch bei meinen Enkeln weiterlebt“. Deshalb hält sie Begebenheiten von früher, gestern und heute fest.

Doch fiel ihr auf, dass beim Schreiben einiges an Gefühl und Ausdruckskraft verloren geht. „Das hat sich schlagartig geändert, als ich die Geschichten so geschrieben habe, wie ich sie erzählt bekam und erzähle: in Platt!“ Die Frau, die nach der Volksschule eine Lehre als Haushaltshilfe auf Nonnenwerth machte, statt eine weiterführende Schule zu besuchen, was sie bevorzugt hätte, dem Vater allerdings „rausgeschmissenes Geld“ schien, hat, seit sie denken kann, Freude am Schreiben und Formulieren. Sie verfasst ebenso gerne Briefe wie Zeitungsberichte für den Verein Kellerkinder Heimersheim 1975. Als dessen 2. Schriftführerin ist sie für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Sie hielt dem Verein sogar die Treue, „als wir vor fast 14 Jahren nach Bachem gezogen sind. Nie im Leben hätte ich daran geglaubt, einmal Heimersheim, zu verlassen. Aber bereut habe ich es nicht!“

Fango, Familie und Freunde

Das frühere Mädchen aus der Öilejass, der Heimersheimer Eulenstraße, die jetzt Mauritiusstraße heißt, ging nach der Lehre „auf Wanderschaft“. Zu Beginn der Ehe arbeitete sie im Büro, gab die Stelle nach sieben Jahren der Kinder wegen auf und kümmerte sich 14 Jahre mit ganzem Einsatz um die Familie. Erneut im Berufsleben, verwöhnte sie im Kurhaus die Kurgäste mit Fangopackungen. Die verschiedenen Charaktere faszinierten sie und sie mochte die „netten Gespräche“ mit den Kurgästen. Als im Kurhaus umstrukturiert wurde, suchte sie sich bis zur Rente eine andere Beschäftigung. „Den höchsten Stellenwert in meinem Leben haben unsere Familie und unsere Freunde, auf die wir uns immer verlassen können!“ sagt Irene Thöing aus voller Überzeugung. Daneben ist Zeit für etliche Geschichten, die es wert sind erzählt und notiert zu werden. „Dass ich beim Wettbewerb gleich in die engere Auswahl kam und zudem noch den zweiten Platz belegt habe, hat mich sehr erfreut! Der größte Dank geht an meine Oma, die mir so viel Stoff dafür geliefert hat!“