Esther Bejarano und Microphone Mafia im Rahmen der Interkulturellen Woche in Koblenz

Überlebende von Auschwitz klärt auf: Rappend die Jugend erreichen

31.10.2016 - 14:16

Koblenz. Mit über neunzig Jahren ist Esther Bejarano, eine der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz, weder zu alt, um unermüdlich als Zeitzeugin Aufklärungsarbeit über den Holocaust zu betreiben noch zu alt, um auf der Bühne zu stehen und gemeinsam mit Rappern Musik gegen Rechtsextremismus und gegen das Vergessen vorzutragen. Auf Einladung des DGB Stadtverbandes Koblenz gastierte die Trägerin des Großen Bundesverdienstkreuzes jetzt im Rahmen der Interkulturellen Wochen mit dem Projekt „Bejarano meets Microphone Mafia“ im Theater Koblenz. An ihrer Seite standen Sohn Yoram (Bass) und Kutlu Yurtseven von „der Mafia“. Nach Begrüßung der Gäste und Vorstellung der Kooperationspartner der Veranstaltung durch Serkan Genc, Vorsitzender des Koblenzer Beirates für Migration und Integration, verlas die Koblenzer Kulturdezernentin Dr. Margit Theis-Scholz Eckpunkte der Biografie Bejaranos. Das „menschenverachtende System der Nationalsozialisten“ raubte der 1924 in Saarlouis geborenen Deutsch-Jüdin die Jugend, wie sie es selber formuliert. Sie war knapp 15 Jahre alt, als ihre Eltern von den Nazis ermordet wurden. 1941 wurde sie selbst in ein Zwangsarbeitslager überführt und im April 1943 nach Auschwitz deportiert. Sie hat überlebt und lebt seit 1960 in Hamburg. Ihr Leben, so Theis-Scholz, sei geprägt von einer musikalischen Karriere, ihr Lebenslauf habe die Musik zu ihrer Lebensleidenschaft werden lassen. Schon als Mädchen lernte Esther Loewy, wie sie damals hieß, das Klavierspielen. Die Mitgliedschaft im Mädchenorchester von Auschwitz rettete ihr Leben und Anfang der 1980er-Jahre gründete sie mit Tochter und Sohn die Musikgruppe „Coincidence“, deren Repertoire aus jüdischen und antifaschistischen Liedern und Liedern aus dem Ghetto bestand. Im Jahr 2009 wurde dann gemeinsam mit der 1989 gegründeten Kölner Hip-Hop Band „Microphone Mafia“ das Album „Per la Vita“ veröffentlicht. Drei Religionen, drei Kulturen und drei Generationen sind jetzt musikalisch unterwegs. Bejarano steht, gelegentlich sitzt sie auch, bei Hunderten von Konzerten auf der Bühne. Mit dieser Form der Gedenk- und Aufklärungsarbeit will sie vor allem die Jugend erreichen. Zusätzliche Auftritte vor Schulklassen betrachtet sie als ihre „persönliche späte Rache an den Nazis“.


Die Sicht als Gefangene im Konzentrationslager


Theis-Scholz lobte Bejarano als eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die sich mit Engagement und Tatkraft gegen die gesellschaftlichen Strömungen einsetze, die sie als inakzeptabel bezeichnet. „Frau Bejarano, Sie sind ein Vorbild – von Ihnen können wir alle lernen!“. Dass das zutrifft, davon konnte sich das Publikum anschließend überzeugen. Im ersten Teil des Auftritts saß die kleine Person mit dem Spitznamen „Krümel“ an einem Tisch auf der Theaterbühne und las aus ihren „Erinnerungen“. „Auschwitz. Wir kamen in ein Sammellager“, begann sie und ließ das Publikum nachfolgend in einer bedrückenden Atmosphäre teilhaben an dem, was sie als Nummer „41948“ in den Jahren 1943 bis 1945 erlebte. Von der Aufnahme im Konzentrationslager über die erbarmungslose Behandlung durch die SS-Schergen, die zu leistende, harte Arbeit bis zur Unterbringung und Versorgung schilderte sie das Grauenhafte aus ihrer Sicht als Gefangene. Eine polnische Musiklehrerin war ihr Glück, denn sie suchte für das neu zu gründende Mädchenorchester von Auschwitz eine Akkordeonspielerin. Obwohl Esther das Instrument noch nie gespielt hatte, gelang ihr mit dem Vorspiel von „Du hast Glück bei den Frau’n, Belamie“ die Aufnahme in das Orchester. Zwei weitere Male konnte sie mit Glück und der Fähigkeit, ein Musikinstrument zu spielen der Gefahr der Ermordung im Lager entgehen. Das Glück, arisches Blut in den Adern zu haben - ihre Großmutter väterlicherseits war Christin - verhalf ihr ein halbes Jahr später als sogenanntem Mischling dazu, in das Frauenstraflager Ravensbrück überstellt zu werden. Dort wurde sie wenig später als Zwangsarbeiterin bei der Firma Siemens beschäftigt. Im Januar 1945 erklärte man sie zur Arierin. Die damit verbundenen Vorteile nutzte sie, blieb aber im Herzen weiter Jüdin, wie sie klarstellt. Ende April 1945 wurde sie zusammen mit anderen Häftlingen unter Aufsicht der „SS-Schergen“ auf einen „Todesmarsch“ zum KZ Malchow geschickt. Kranke und Schwache wurden auf dem Weg gnadenlos erschossen.


Flucht in die Freiheit


„5 Minuten vor 12“ gelang es ihr, zusammen mit sechs anderen jungen Frauen zu fliehen. „Wir verließen die Kolonne“, nennt es Bejarano. Als sie endlich auf amerikanische Soldaten trafen, waren sie in Sicherheit. Während überall auf den Straßen das Kriegsende gefeiert wurde, spielte sie für die Amis Akkordeon. Als ein Bild Hitlers auf dem Marktplatz von Lübz in Flammen aufging, sei das ihre Befreiung von Hitler und dem Faschismus und somit ihre zweite Geburt gewesen. So endete der Teil „Lesung“ und der Teil „Musik“, durch den Yurtseven führte, begann. Bejarano sang die melodiösen Liedrefrains und las Textpassagen zwischen den Raps Yurtsevens vor. In den Sprachen Jiddisch, Französisch, Englisch, Italienisch, Deutsch und Kölsch sangen sie gegen Krieg, Hass und Gewalt an und entfalteten ein Banner „Nie wieder Krieg“. Das Lied „Sage nie, Du gehst den letzten Weg“, das als Hymne des jüdischen Widerstands gilt, feierte das Publikum ebenso wie Brechts „Ballade von der Judenhure Marie Sanders“ oder das Höhner-Lied „Wann jeiht d’r Himmel widder op“. Yurtseven gab mit seinen Erinnerungen und Anekdoten den Zuhörern Gelegenheit, die Band und ihre Zusammenarbeit mit Bejarano kennenzulernen sowie ihr gemeinsames Engagement gegen Terror und Rassismus zu verstehen. Mit dem Lied „Avanti Popolo“, das Lieblingslied von Nissim Bejarano, Esthers verstorbenem Ehemann, begann für das Ensemble das gemeinsame musikalische Abenteuer. Mit dem von stehendem Applaus begleiteten Zugabe-Lied „Bella Ciao“ endete es für diesen Abend in Koblenz. Als Vertreter des gastgebenden DGB bedankte sich Sebastian Hebeisen, Vorsitzender des Stadtverbandes Koblenz, mit einer von der IG Bau gefertigten und den „Schwur von Buchenwald“ eingearbeiteten Collage bei Bejarano für das Konzert. Der Strom der Gäste, der nach der Veranstaltung auf die Bühne kam, um sich Esther Bejaranos Buch „Erinnerungen“ von der Autorin signieren zu lassen, schien nicht enden zu wollen.

BSB

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