92-Jähriger führt seit einem halben Jahrhundert Touristen durch Andernach

Wenn Heimatliebe, Wissen und Durchhaltevermögen zusammenfinden

23.06.2017 - 09:10

Andernach. „Dies war die ehemalige kurkölnische Burg, gehörten wir doch weltlich zum Kurfürstentum Köln, geistlich zu Trier …“, quillt es aus ihm heraus, als wir ihn im Andernacher Schlossgarten bitten, mal eine kleine Hörprobe seines stadthistorischen Wissens zu geben. Pünktlich war er zuvor mit seinem Fahrrad, fast schon sein Markenzeichen, zum vereinbarten Interview-Termin erschienen. „Persönliche Publicity mag ich eigentlich nicht“, sagt er, bevor er sich ein Lächeln zu unseren Fotos abringen lässt. Joseph Braun, 92, der langgediente, erste, älteste und kürzlich offiziell verabschiedete Gästeführer der Bäckerjungenstadt zeigte sich im Gespräch mit „Blick aktuell“ auf einer Parkbank aufgeschlossen und ausgesprochen vital.


Lebensstationen


Viele Andernacherinnen und Andernacher kennen „de Brauns Joseph“, doch nur wenigen sind seine Lebensstationen bekannt. 1925 erblickte Joseph in Bad Honnef das Licht der Welt. Den Sohn eines Honnefers und einer Andernacherin zog es mit seinen Eltern aber schon in den ersten Lebensmonaten in die Bachstraße (heute: Ubierstraße) der alten Römerstadt auf der linken Rheinseite. Die Grundlage zur Realisierung seines späteren Berufswunsches „Farmer“ schuf Joseph Braun nach seiner Militärzeit mit einem Landwirtschaftsstudium in Bad Kreuznach. Dort erwarb er die staatliche Anerkennung als Landwirt (Agraringenieur), wirkte danach für die Landwirtschaftsschule Ingelheim als Versuchs- und Beratungstechniker. „Wir waren dort in der Markthalle untergebracht“, schwärmt er, „das Marktgeschehen zwischen Erzeugern und Händlern konnte ich da hautnah erleben.“ Mit der Ablegung einer Verwaltungsprüfung und dem Wechsel zum Arbeitsamt Mayen trug der Andernacher dem Umstand Rechnung, dass für ihn eine Weiterentwicklung in Ingelheim nicht möglich war. Ende der 1950er-Jahre ließ ihn dann schließlich eine weitere Weichenstellung, der Besuch der Koblenzer Lehrerakademie, beruflich ankommen. An den Andernacher Volks- bzw. Grundschulen St. Thomas, St. Peter und St. Stephan unterrichtete Lehrer Braun bis zu seinem Ruhestand im Jahr 1989. Mit seiner Frau Marianne (+2007) lebte er seit 1954 in der Frankenstraße, wo der Vater von drei Kindern und Opa von sechs Enkeln noch heute wohnt.


Die Entwicklungen der Stadtführung entscheidend mitgeprägt


Vor einigen Wochen wurde Joseph Braun, als Gäste- bzw. Stadtführer, offiziell im Kreise der der 14 Kolleginnen und Kollegen des Vereins der Andernacher Gästeführer verabschiedet. Kristina Neitzert, Leiterin Tourismus und Stadtmarketing (Andernach.net), weiß es zu schätzen, wie sich der an Lebensjahren reiche Senior für die Außenwirkung seiner geliebten Stadt eingebracht hat: „Über so viele Jahrzehnte mit Begeisterung bei der Sache zu sein, verdient unsere ganz besondere Würdigung. Herr Braun hat ein unvergleichliches Wissen zur Andernacher Historie, den Bauwerken und insbesondere den Kirchen und es ist ihm immer gelungen mit diesem Wissen und auf seine besondere, humorvolle Art unsere Gäste zu begeistern. Er hat die Entwicklung der Stadtführungen von ihrer Anfangszeit bis hin zur erfolgreichsten Zeit der letzten Jahre ganz entscheidend mitgeprägt. Wir wünschen ihm alles Gute, vor allem eine weiterhin gute Gesundheit und freuen uns, wenn er uns und den Verein der Andernacher Gästeführer auch weiterhin mit seinem Wissen unterstützt.“

Nach 51 Jahren im Dienste des städtischen Tourismus, sollte für Joseph Braun jedoch kein endgültiger Schlussstrich gezogen sein. „Den dicken Schlüsselbund für den Zutritt zu den Wahrzeichen habe ich noch. Und wenn Bedarf ist, springe ich hier und da mal ein“, versichert er lächelnd.


Wer begeistert ist, kann Begeisterung wecken


An Geschichte sei er schon immer interessiert gewesen. Bereits als Kind habe ihn der in der Nachbarschaft wohnende, ehemalige Lehrer und Stadt-Archivar Stephan Weidenbach gefördert. Der Hobby-Historiker, nach dem heute in Andernach auch eine Straße benannt ist, brachte Joseph die regionale Geschichte und die deutschen Sagen näher. Sicherlich ist Weidenbach auch ein Stück dafür mitverantwortlich, das Joseph Braun, 1966, als Junglehrer, von seinem Rektor gebeten wurde, das Kollegium kompetent zu den steinernen Zeitzeugen der Altstadt zu führen. Und, wie es der „Zufall“ wollte, bemerkte dies der damalige Leiter des Verkehrsamtes, Karl-Heinz-Wölbert. Dieser engagierte Braun kurzentschlossen als ersten nebenberuflichen Stadtführer Andernachs. Nur Tage später ging dem Pionier dann der erste Auftrag zu: „Sonntag, 10.30 Uhr, Bahnhof Andernach – SONDERZUG“. Gut gegangen! „Einen Stichwortzettel brauchte und brauche ich nicht, ich konnte und kann zu jedem Wahrzeichen etwas erzählen.“

Wir fragen, was eigentlich ein 92-Jähriger mit einer Besuchergruppe am 56 Meter hohen Runden Turm macht. „Die Wendeltreppe gehe ich noch hoch bis zum Wehrgang“, antwortet der ehemalige Schwimmsportler und auch heute noch leidenschaftliche Radfahrer. Hat sich das Wesen der Besuchergruppen im Laufe der Jahrzehnte verändert? „Jede Zeit hat ihre Zeitgenossen. Es ist normal, dass sich der Geschmack und das Empfinden verändern. Ich schau mir die jeweiligen Gruppen an und weiß dann, welche Platte ich auflege“. Eine Aussage wie „Früher war alles besser“ vernehmen wir von dem touristischen Urgestein und Andernacher Original nicht. Er sei für alles empfänglich, sagt er.


Sein Rezept: Sich täglich fordern


Joseph Braun, der schon seit jungen Jahren der Haltung, Vermehrung und Züchtung von Honigbienen verbunden ist, sieht die Imkerei, die er in seinem geliebten Garten pflegt, als sein ausgeprägtes Hobby an. Doch auch die Musik hat es ihm angetan. Seit Ende der 1950er Jahre bereichert er den Albertus-Magnus-Chor mit seiner Tenorstimme und auch der Kirchenchor der Pfarrgemeinde St. Peter zählt auf ihn.

Verrät uns Joseph Braun sein persönliches Rezept fürs Älterwerden? Wie bleibt man so gesund und fit? „Man sollte sich täglich zwei- bis dreimal körperlich und geistig fordern“, vermittelt er uns seine Erkenntnis. Und die Gene? „Meine Mutter wurde 102 Jahre alt.“

Wir fragen nicht, welchen Wunsch er sich gerne noch erfüllen möchte, aber wir erfahren es:

„Ich würde nochmal gerne über den Rhein schwimmen“, strahlt er und schiebt nach, dass er sich kürzlich dem DLRG-Ortsverein für eine Stromrettungsübung als rettungsbedürftige Person angeboten hat.

Offenbar findet ein chinesisches Sprichwort in Joseph Braun seine Bestätigung: „Es zählt nicht, wie alt du bist, sondern wie du alt bist.“

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