Veranstaltungsreihe „Koblenz-Lyrik“

Ulla Hahn bringt Lyrik zum Klingen

Die Autorin stellte ihren Gedichtband „Wi(e)derworte“ im Kurfürstlichen Schloss vor

06.12.2012 - 15:30

Koblenz. Die Lyrik scheint in Koblenz ihren festen Platz und ihre Liebhaber gefunden zu haben. Der Gartensaal war mit rund 150 Gästen bis auf den letzten Platz besetzt. Alle wollten Ulla Hahns Gedichte hören. Die 1946 im Sauerland geborene Autorin ist eine der erfolgreichsten und produktivsten Lyrikerinnen Deutschlands. Für die Lesung im Schloss gewinnen konnte sie der „Freundeskreis der Universität Koblenz-Landau in Koblenz e.V.“. Den Freundeskreis-Vorsitzenden, Hans-Jörg Assenmacher, freute besonders, dass auch eine Reihe von Studenten unter den Zuhörern waren, die somit den Bogen von dem Campus der Universität zu der Stadt Koblenz spannten. Mit Lyrik als erstem geeigneten Schritt wollen Freundeskreis und Stiftung der Universität den Kontakt zum akademischen Geist weiten und pflegen, sagte Stiftungsvorsitzender und Mitinitiator von „Koblenz-Lyrik“, Dr. h. c. mult. Karl-Jürgen Wilbert.


Musikalisches Entrée


Das musikalische Entrée für Ulla Hahns Lesung bot ein neunköpfiges gemischtes Vokalensemble der Universitätsmusik unter Mitwirkung und Leitung von Universitätsmusikdirektor Ron-Dirk Entleutner. Dafür bedankte sich die Lyrikerin ausdrücklich, habe sie selbst doch einmal formuliert, dass das Ziel der Dichtung der Gesang sei. Vor das Lesen stellte sie erst einmal das Missionieren. Dazu musste ihr 1983 verfasstes Gedicht „Katzenmahlzeit“ herhalten. Es hatte seinerzeit offenbar zahlreiche Leserbriefe provoziert, wonach das Gedicht gar nicht verstanden, auswendig gelernt und als Abzählreim gebraucht wurde, es als eine Verherrlichung des italienischen Faschismus gründlich falsch verstanden oder als Ausdruck der Egozentrik der Autorin ausgelegt wurde. Hahn empfahl ihre Grundüberzeugung besonders den anwesenden Studenten, bei einem Gedicht niemals zu fragen, was der Dichter damit sagen wolle, sondern immer nur: „Was sagt es mir?“ Allen Gedichten solle man zudem eine zweite Chance geben, auch wenn sie beim ersten Lesen nicht gefielen. Noch einmal trug sie ihre „Katzenmahlzeit“, nun beinahe singend vor - auf das ein anderes, entspannteres Licht auf das Gedicht mit den „Hahn-eigenen“ Wortschöpfungen fiele, das mit „Dolce Duce Du“ endet.

Nach so viel dichterischer Weisheit erklärte die Lyrikerin, wie sie zu „Wi(e)derworte“ fand.

Aus dem Abstand von Jahrzehnten betrachtet, habe sie die Texte ihres ersten Gedichtbandes „Herz über Kopf“ aus dem Jahr 1981 so empfunden, als seien sie von einer jüngeren Schwester geschrieben. Dieses Gefühl habe sie in dem in vier Kapitel gegliederten Gedichtband als eine Art poetischen Dialog aufgenommen. Dem „alten“ Gedicht gibt sie auf der gegenüberliegenden Seite ihre heutige Antwort.


Liebesgedichte


Ihre Lesung begann Hahn mit Liebesgedichten, die bei ihr schon immer einen hohen Stellenwert hatten. Im alten „Anständiges Sonett“ forderte sie noch „Küss mich, wo’s gut tut“, 30 Jahre später will sie als Wi(e)derwort in „Ein ständiges Sonett“ immer noch danach die „stolzen Müdigkeiten genießen“. Ja, Ulla Hahn ist gerne eindeutig-zweideutig in ihren Liebesgedichten. Beim Lesen formte sie die einzelnen Worte zu einem Kunstwerk, führte durch Betonungen und Pausen die Gedichte zum Wohlklang. Ulla Hahns Lyrik hat ihr nicht nur zahlreiche Auszeichnungen eingebracht, sondern sogar Einzug in die Klassenzimmer und damit auch das Internet gefunden. Das 1981 verfasste Gedicht „Bildlich gesprochen“ sei wohl eine vortreffliche Demonstration für den Gebrauch des Konjunktivs, scherzte die Autorin. Gedicht-Visualisierungen auf der Internet Video-Plattform „You Tube“ sind ein deutliches Zeichen, wie sehr auch die Jugend ihre Lyrik schätzt. Das Wi(e)derwort „Wörtlich genommen“ böte dagegen keinerlei grammatikalische Ausbeute mehr. Doch Hahns Verbschöpfungen wie „Du sehnsuchst mich, ich kehlkopf Dich“ könnten als Hausaufgabe schon Sinn machen.


Thema Vergänglichkeit


Über das große lyrische Thema Vergänglichkeit, die der Jugend, auch ihrer eigenen, die der Liebe, der Gefühle und die der Erinnerungen las Ulla Hahn ihre nachdenklich stimmenden, mal liebevoll, mal augenzwinkernd formulierten poetischen Gedanken. Wie gut sich die Autorin darauf versteht, Lyrik für feine Ohren mit sanfter Ironie zu würzen, wird deutlich in „Ars Poetica“, ihr Gedicht mit dem unbedingt zu beachtenden Zeilenbruch aus den frühen 80ern.


„Nach Jahr und Tag“


Weiter blätterte sie in den Buchseiten, sagte dabei mehr zu sich selbst. „Ist alles zu viel, wird zu lang“ oder „Nein, wir fangen etwas leichter an“, bis sie wieder ein Gedicht eingefangen hatte. Aus der vierten und letzten Abteilung „gesellschaftliche Themen“ wählte Hahn neben anderen „Nach Jahr und Tag“ aus. Das Gedicht thematisiert aus zynischem Blickwinkel heraus den Holocaust, beispielsweise in der Formulierung des vom wärmenden Feuer aufsteigenden Rauches, bis eine Kerze erlischt. In sehr brutalen Bildern dagegen stürmte ihr anklagendes Gedicht „Für“ über die Beschneidung und Verstümmelung afrikanischer Mädchen auf den Zuhörer ein. Der Schmerz der Betroffenen wurde fast spürbar.

Zum Ende der Lesung konnte trotz des brisanten, immer aktuellen Themas schmunzelnd ein wenig aufgeatmet werden.

In „Endspiel oder so“ winkt Jesus noch einmal „good-bye“, bevor er sich in einer von Menschenhand zerstörten Erde von den Resten des Matterhorns stürzt. Als Zugabe las die Autorin Publikumswünsche. Autorisierte Meinungen zu den Gedichten durfte jedoch niemand erwarten. Verschmitzt sagte Ulla Hahn „Die kriegen sie nicht“ zu einer offenbar erklärungssuchenden Studentin, denn mit einer logischen Begründung könne jede Interpretation ihre Rechtfertigung finden. Auch Dr. Helga Arend vom Institut für Germanistik der Universität in Koblenz und Mitinitiatorin der Veranstaltungsreihe bat noch um eine Zugabe.

Mit „Heller Wahnsinn“ verabschiedete sich dann Ulla Hahn. Assenmacher bedankte sich bei der Autorin für den poetisch-klingenden Abend: „Mit einer Melodie im Ohr gehen wir heute alle nach Hause“.

BSB

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