Freilichtbühne Schuld
„Pippi besteht alle Abenteuer“
Nachwuchsensemble präsentierte die umjubelte Premiere des Klassikers von Astrid Lindgren
Schuld. Erster Eindruck, nachdem man im überdachten Zuschauerraum der Freilichtbühne Platz genommen hat: Da haben die fleißigen Bühnenbildner ganze Arbeit geleistet. Auf der Waldlichtung ist eine hübsche schwedische Kleinstadt entstanden, links die Schule („Skola“), dann eine Häuserzeile, in der Mitte ein Drahtkäfig als Gefängnis der anschließenden Piratenburg, rechts die Villa Kunterbunt, in der die Titelheldin Pippi Langstrumpf lebt. Astrid Lindgren, die Schöpferin des starken Mädchens, das nie das tut, was es soll, hätte ihre Freude daran gehabt. Helle Freude hatten die Besucher allerdings auch gleich, denn die Geschichte von „Pippi in Taka-Tuka-Land“ nimmt zu Beginn mächtig Fahrt auf. Frau Prysselius rückt in Begleitung der beiden Polizisten Kling und Klang an, um die anarchistische kleine Göre, die ganz allein in dem schmucken Holzhaus wohnt, ins Kinderheim zu stecken. Doch die beiden Ordnungshüter, stilecht auf „Polis“-Fahrrädern unterwegs und die mit einem Regenschirm bewaffnete Erzieherin schaffen es natürlich nicht, den Wirbelwind Pippi einzufangen. Die Eröffnungssequenz hat beinahe Slapstick-Charakter und sorgt für einen Auftakt voller Tempo und Humor. Dass Esther Goldenstein durch ihre enorme Präsenz hier auch darstellerisch das erste dicke Ausrufezeichen setzt, versteht sich schon fast von selbst, denn sie gehört seit Jahren zu den tragenden Säulen der Laienspielschar.
Glücksgriff mit dem Nachwuchs
Dass die Freilichtbühne sich aber auch auf ihren Nachwuchs verlassen kann, beweist das Jahr 2013 wieder einmal eindrucksvoll. 1998 stand Pippi Langstrumpf schon einmal auf dem Spielplan - Katrin Hengsberg verkörperte die Hauptrolle. Sie ist mittlerweile für Presse und Werbung zuständig und steht im Kiosk. An ihre Stelle ist Isa Oldenburg gerückt, die damals als Baby im Kinderwagen ihrer Mutter schon mitspielte. Es ist ihre erste Hauptrolle, was man kaum glauben mag, weil sie eine enorme Sicherheit ausstrahlt, kombiniert mit einer nahezu berstenden Spielfreude. Ein Glücksgriff, eine Bilderbuch-Pippi, deren schmale Schultern die schwere Last der Titelfigur scheinbar mühelos tragen. Ihr zur Seite stehen mit Milena Becher (vor drei Jahren als „Wickie“ zu bestaunen) und Nils Schmitz (ebenfalls in seiner ersten großen Rolle) zwei weitere Jugendliche als Annika und Tommy. Die Drei bekommen Besuch vom Hausierer Konrad (Udo Stratmann), der die Bühne als Podium für eine Werbeveranstaltung für seinen „KSK“ alias Konrads Spezial Kleister nutzt, ein amüsanter Seitenhieb auf einen langjährigen Sponsor. Doch Konrad hat auch eine Flaschenpost von Pippis Vater dabei, der seine Tochter bittet, ihn aus dem Gefängnis der Piraten zu befreien. Also beschließen die Kinder, nach Taka-Tuka-Land zu reisen. Zunächst mit dem fliegenden Bett, das spektakulär quer über die Waldlichtung schwebt. Später wird es zum Boot umfunktioniert, mit Paddel und Segel erreichen sie schließlich die Pirateninsel, um Papa Langstrumpf aus dem Kerker zu holen. Doch die Seeräuber unter Führung von Kapitän Blutsvente (schmuck: Frank Burbach) und Messerjocke (trottelig: Heiko Linnerz) haben natürlich etwas dagegen. Wie es den Dreien am Ende gelingt, den in der Haft bei Brot und Wasser erschlankten Hans-Willi Bläser zu befreien, wird nicht verraten. Am Ende schießen die Piraten sogar noch mit schweren Kanonengeschützen auf die Flüchtenden, aber vergeblich, Pippi besteht eben alle Abenteuer - mit einer gehörigen Portion Mut, Glück und Unbeschwertheit. Nach zweieinviertel Stunden kommen Pippi, Vater Efraim, Annika und Tommy wohlbehalten an der Villa Kunterbunt an, wo alles seinen Anfang nahm und die Geschichte nimmt ein gutes, umjubeltes Ende. Regisseur Raik Knorscheidt hat die lange Riege der Mitwirkenden, die angeführt von der sympathischen und überragenden Hauptdarstellerin gewohnt engagiert bei der Sache sind, zur Höchstleistung gebracht. Neben den bereits erwähnten Bühnenbauern muss man den Verantwortlichen für Kostüme und Maske ein Sonderlob spenden, auch die Pyrotechnik sorgt im wahrsten Sinne des Wortes für Knalleffekte.
Fazit: Unbedingt anschauen. Und zwar nicht wie Pippis verstorbene Mutter durch ein kleines Loch im Himmel, sondern live und in Farbe in Schuld, wo seit nunmehr 65 Jahren Theater der Extraklasse geboten wird. Bis 11. August reitet Pippi auf dem „Kleinen Onkel“ auf die Waldbühne, Vorstellungen sind immer Samstagabend (20.30 Uhr) und Sonntagnachmittag (15.30 Uhr) sowie an zwei Freitagen (2. und 9. August) um 19.30 Uhr. Es stehen zwar 600 überdachte Plätze zur Verfügung, aber Karten sollte man sich trotzdem rasch sichern unter Tel. (0 26 95) 3 18.