Gisela Ries hat dem Leben der jüdischen Familie Fassbender nachgespürt

„Und bin ich auch ein Israelit…“

„Und bin ich auch ein Israelit…“

Die Familie Fassbender: Aufgenommen an der Remagener Rheinpromenade sind zu sehen (v.l.n.r.): Gerd Fassbender, seine Schwester Inge, die Eltern John und Elsa Fassbender, Sofie Katzenstein (geborene Fassbender), Julius Fassbender mit Ehefrau Susanne und David Katzenstein (Sofies Ehemann). Repro HG

„Und bin ich auch ein Israelit…“

Gisela Ries legt ihre neue Veröffentlichung vor. Links neben ihr erscheinen auf dem Transparent zur bevorstehenden Ausstellung Sophie und Jonas Levy. HG

Remagen. Ursprünglich wollte Gisela Ries Familienforschung betreiben. Dabei aber stieß sie wiederholt auf den jüdischen Lederwarenhändler Moritz Fassbender. Er begegnete ihr beispielsweise auf Fotos, umgeben von Turnern oder Feuerwehrleuten. Schließlich lenkte sie ihr Interesse ganz bewusst auf seine Person. Gezieltes Nachfragen rief bei Remagener und Erpeler Bürgern Erinnerungen wach an einen wohlhabenden, großzügigen, sozial eingestellten Mann.

Sammlung von Informationen

Insgesamt drei Jahre hat die Psychologische Psychotherapeutin aus Bonn bei Zeitzeugen und Nachfahren der Familie Fassbender, bei Stadtarchivar Kurt Kleemann, in Literatur, Zeitungen und Archiven Informationen gesammelt und durch Rudolf Menacher Anregungen, Ergänzungen und Ermunterung erfahren. Motivierend für ihre Nachforschungen wirkte wohl auch die Tatsache, dass der jüdische Geschäftsmann auf der Gästeliste der Primizfeier ihres Onkels Hermann Ries stand. Sie selbst war aufgewachsen im großmütterlichen Haus, in dessen Nähe sich früher die Remagener Synagoge befand. Doch darüber war in der Familie „nie ein Wort gefallen“, was sie zusätzlich neugierig machte.

Bereits 2007 veröffentlichte Ries im Selbstverlag die Broschüre „Und bin ich auch ein Israelit… Geschichte der Familie Moritz Fassbender aus Remagen“. Diese hat sie nun, überarbeitet und wesentlich ergänzt, neu herausgebracht. Das rund 50-seitige bebilderte Büchlein stellte sie jüngst im neuen Evangelischen Gemeindehaus bei der Friedenskirche dem Projektkreis „Juden in Remagen“ vor. Dieser bereitet die Ausstellung „Mitbürger unter Vorbehalt - Remagener Juden zwischen Anerkennung und Vernichtung“ vor, die am 10. Oktober im Künstlerforum eröffnet wird und zu der es ein anspruchsvolles Begleitprogramm gibt.

Vor dem traurigen Hintergrund, dass nach den Verbrechen des Nationalsozialismus von den Remagener Juden nichts blieb außer Grabsteinen, dem Synagogenstern und einem Hocker, erklärte Ausstellungsorganisatorin Agnes Menacher: „Wenigstens eine jüdische Familie ist jetzt gut dokumentiert“. Sie dankte Gisela Ries für die intensive Beschäftigung mit der Geschichte der Familie Fassbender.

Progrome im Ahrkreis

Auch im Ahrkreis hat es frühe Pogrome gegeben, so in den Jahren 1265 und 1287 in Sinzig. Doch von der Kontinuität einer rund 2500 Jahre währenden Judenfeindlichkeit, die besonders Teil europäischer Geschichte ist und sich in Benachteiligung über Verfolgung bis Massenmord äußerte, bleibt Moritz Fassbenders Vita offenbar lange unberührt. Ries stellt den 1849 in Remagen geborenen und in der Silvesternacht 1933/34 verstorbenen assimilierten Bürger, der in seinem Großhandel Hauptstraße 60 (heute Marktstraße) etliche Remagener und Erpeler beschäftigte, als „tragende Säule gesellschaftlichen Lebens vor“. Er war Vorbeter in der Synagoge, förderte im Verein Chebroh Kadish das Handwerk unter den Juden, er stattete arme katholische Kinder am Ort mit Kleidung und Schuhen zur Erstkommunion aus, unterstützte den Turnverein, die Feuerwehr und war Mitglied im Verkehrs- und Verschönerungsverein.

Städtisches Großereignis

Die goldene Hochzeit von Moritz und Emma Fassbender im Juni 1929 wurde zum zweitägigen städtischen Großereignis, über das die Rhein- und Ahrzeitung gleich zwei Mal begeistert berichtete. Sie umfasste Sang und Klang, Fackelzug der Nachbarschaft und Vereine, Feier in der prächtig dekorierten Synagoge und eine „Kommersfeier“ im Hotel Anker mit Darbietungen der Vereine. Bürgermeister und katholische Geistlichkeit gratulierten. Schriftlich tat das auch Reichspräsident von Hindenburg. Die Stadt ehrte das Jubelpaar, indem sie zum Fest die Synagoge neu streichen ließ. Selbst ein Dreivierteljahr nach der Machtergreifung fielen das Begräbnis Moritz Fassbenders und der Zeitungsnachruf auf ihn sehr würdig aus.

Umso drastischer der Kontrast zu den allgemein gegen Juden gerichteten Sondergesetze und Schikanen, wie Berufsverbote, Schulverbot für die Kinder, der Zwang den gelben Stern zu tragen, Zwangsenteignung, schließlich die systematische Vernichtung. Hinsichtlich der „Judenfrage“ stellte Ratsherr Mölling in der Remagener Ratsversammlung vom 19. November 1938 „unter lebhafter Zustimmung aller Ratsherren fest, dass ein Bemitleiden der rassenfremden Schädlinge am deutschen Volkskörper nicht am Platze sei“. Neun Jahre zuvor hatte über die Goldhochzeit der Fassbenders noch in der Zeitung gestanden, „Wir aber stellen fest, dass die Remagener Bürgerschaft mit berechtigtem Stolz auf die Veranstaltung zurückblicken kann, hat sie doch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass hier ein inniges Verbundensein blüht“.

Hatte sich unter dem „innigen Verbundensein“ mit einem Vorzeigebürger erster Güte in den Köpfen der Menschen ein Vorbehalt gegen die andersgläubige Minderheit gehalten? Ein Vorbehalt, der in Remagen und anderswo trotz friedlichem Miteinander von Christen und Juden, einer vermeintlichen Normalität im Umgang oder sogar vereinzelter Hochachtung gegenüber Ausnahmepersönlichkeiten wie Moritz Fassbender irrational und hartnäckig Bestand hatte? Ohnmächtig sieht sich der Leser von „Bin ich auch Israelit…“ jedenfalls der Frage ausgeliefert, wie die Gräueltaten des Nationalsozialismus in Deutschland und von Deutschland aus im besetzten Ausland geschehen konnten, ohne Widerstand der breiten Bevölkerung.

Einschneidende Eingriffe

Die vier erwachsenen Kinder der Fassbenders und deren Kinder erlitten einschneidende Eingriffe oder den Weg in den Tod: Sohn Julius, promovierter Jurist, emigrierte 1940 mit seiner Frau nach Uruguay, wo er nie heimisch wurde. Die Tochter Sofie folgte mit ihrem Mann der gemeinsamen Tochter Lieselotte 1939 nach Tel Aviv, wo sie sehr isoliert lebte. 1950, nachdem ihr Mann in Tel Aviv gestorben war, kehrte sie nach Deutschland zurück und lebte in Trier. Moritz und Emma Fassbenders Sohn John, Geschäftsnachfolger des Vaters in Remagen und seine Frau Else wurden, wie ihre Kinder Gerd und Inge deportiert und im polnischen Krasniczyn ermordet. Tochter Clara wurde in Auschwitz ermordet.

Das Büchlein, das durch zahlreiche Auszüge aus Dokumenten, Briefe der Fassbender-Familie und die Erinnerungen von Claus Fassbender in Uruguay, Enkel des Moritz Fassbender, besticht, gibt es im Remagener Buchhandel und über Agnes Menacher unter Tel. (0 26 42) 34 06.