Die aktuelle Buchbesprechung

„Am Zauberfluss“

Ulrich Meyer-Doerpinghaus hat ein wunderbares Buch über rheinromantische Szenen geschrieben

10.12.2015 - 12:13

Oberwinter. Welch überraschender Einstieg für ein Buch zur Rheinromantik: Statt einen der damals schwärmerisch erglühten Zeitgenossen vorzuschicken, macht Ulrich Meyer-Doerpinghaus mit Georg Forster den Anfang. Ausgerechnet, denn der Naturforscher und Publizist kann 1790 auf seiner Rheinreise zwischen Bingen und Koblenz der Gegend so gar nichts abgewinnen. Er beklagt „die Nacktheit des verengten Rheinufers unterhalb Bingens“, nörgelt auch am „Gemäuer verfallener Ritterfesten“ herum, das seiner Meinung nach „den so unentbehrlichen Kontrast der Formen“ vermissen lässt.

Jahrhunderte lang schon war der Rhein einer der wichtigsten Handelswege in Mitteleuropa. Aber als Landschaft besonderer Ausstrahlung und Anziehungskraft in Wert gesetzt wurde speziell der Mittelrhein zwischen Mainz und Köln erst Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Kurz nach 1800 „erfand“ der Philosoph Friedrich Schlegel „die deutsche Spielart der Rheinromantik“. Clemens Brentano ersann die Loreley, Heinrich Heine besang sie in seinem Lied „Ich weiß nicht was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin“. Bald zogen Reiseführer Scharen von Touristen auf den Strom und an die Rheinufer mit ihren geschichtsträchtigen Orten, Mythen, Burgen, pittoresken Passagen. Das ist bekannt, auch die nationale Überhöhung des deutschen Rheins während der französischen Rheinlandbesetzung und dass sich danach als neuer Landesherr die preußische Königsfamilie für die Burgen am Fluss begeisterte, sie aufbaute und umgestaltete, wie Schloss Stolzenfels und ihre Interessen vor Augen führte.


Gesucht, gesehnt und gewagt


Hat die Welt also auf ein weiteres Buch zur Rheinromantik gewartet? Die Welt vielleicht nicht, aber alle, die vom Phänomen weiterhin fasziniert sind, vor allem, wenn es so gut geschrieben ist wie „Am Zauberfluss: Szenen aus der rheinischen Romantik“. Meyer-Doerpinghaus empfindet, die heute in Ausstellungen und Büchern umkreiste Rheinromantik sei zur „kulturellen Ikone“ geronnen, die Romantik insgesamt missverständlich als von „Melancholie geprägt“ aufgefasst worden. Er indes konstatiert: „Nie wurde mehr gesucht und gesehnt, mehr gespielt und gewagt als in der Romantik.“ Die Rheinromantiker hätten das Rheintal zu ihrer Landschaft gemacht, „weil es ihnen so unübersichtlich, widersprüchlich und zerklüftet erschien wie die menschliche Seele.“ In seiner Nähe, am „Zauberfluss“, erhofften sie einen Zugewinn in ihrem Ringen um Selbsterkenntnis, Weltverständnis, tiefere Verbundenheit mit der Geschichte, um die Geheimnisse des Lebens und die Entfesselung ihrer kreativen Potenzials.

Nach der Einleitung lässt Meyer-Doerpinghaus in sechs Kapiteln die Beziehung zwischen Landschaft und Kunstschaffen sowie der Kunstschaffenden untereinander aufscheinen. Er gibt der Rheinromantik ein Gesicht, nein nicht eines, sondern viele Gesichter von Männern und Frauen, Künstlern und Geistesgrößen, die das Zeitalter der Romantik mitgeprägt, in ihm gelebt, geliebt und gelitten haben. Dazu springt der Autor nach Paris zum Gelehrten Friedrich Schlegel, der dort hinzog, um seine finanzielle Misere zu beheben. Zuvor hatte er in Jena mit Lebensgefährtin Dorothea Veit, Bruder August Wilhelm, dessen Frau Caroline, dem Philosophen Friedrich Schelling sowie den Schriftstellern Ludwig Tieck und Novalis „das Projekt der Romantik ersonnen“. „Die Skepsis gegenüber der Vernunft“ war dabei bedeutsam und „die Suche nach dem ursprünglichen Chaos der Natur“.


Ein kunstsinniges Trio


Im Jahr 1803 kam mit der Postkutsche von Köln weiß gepuderter Besuch bei Schlegel an: Johann Baptist Bertram und die Brüder Sulpiz und Melchior Boisserée, die später übrigens die aufgehobene Benediktiner-Propstei auf dem Apollinarisberg kaufen sollten, suchten um Privatvorlesungen nach. Mehr noch wollten die kunstsinnigen jungen Männer den intellektuellen Gastgeber für ihr Anliegen gewinnen, die mittelalterliche Kunst Kölns, welche die Franzosen während der Besatzungszeit in Mengen in den Louvre schafften und die der Zeitgeist gering schätzte, zu retten. Schlegel bestätigte sie in einer höheren Einschätzung, mit der er konträr zu Goethes klassizistischem Kunstideal stand. Dem Trio wiederum gelang es, seinen Lehrer mit Spekulationen über eine Festanstellung in die Rheinstadt zu locken. Im Frühjahr 1804 übersiedelt Schlegel mit seiner noch in Paris geheirateten Dorothea und ist betört vom kulturellen Reichtum Kölns, erlebt aber auch eine sich stark verändernde Stadt. Bald wird er eine Rheinreise unternehmen, die ihn sagen lässt, „Für mich sind nur die Gegenden schön, welche man gewöhnlich rauh und wild nennt“. Darin offenbare sich „das Göttliche in der Natur“.


Ungleiche Freundinnen


Köln bleibt auch im zweiten Kapitel über Annette von Droste-Hülshoff und Sybille Mertens-Schaaffhausen zeitweilig Ort des Geschehens. Weniger bewanderte Zeitgenossen als der Autor wissen zwar von der Dichtkunst „der Droste“, ihren Krankheiten und ihrer Schwermut. Doch mit den frohen Monaten „des Adelsfräuleins aus dem Münsterland“ in der Domstadt werden wohl viele Leser zum ersten Mal konfrontiert. 1825 lernte die 28-Jährige Aufregendes wie großes neues Dampfschiff kennen, auch Lustiges wie den Karneval beim Maskenball im Gürzenich. Sie blühte beim lebhaften gesellschaftlichen Umgang auf, traf den Literatur- und Kunstgeschichteprofessor August Wilhelm Schlegel (den Bruder Friedrichs), einen Magnetopathen, einen Kupferstecher, die Brüder Boisserée und Sybille Mertens-Schaaffhausen. Mit ihr, der heißblütigen „Rheingräfin“, freundet sich die klar denkende Annette an und geht eine innige Beziehung ein, die sie viel Nerven, Herzblut und Geduld kosten wird. Und ihre Haltung zum zentralen Thema? Bewusst pflegte sie „eine andere Perspektive als die Romantiker, die so gerne großes Pathos in ihre Darstellungen legten“. Das größte rheinromantische Projekt, den Kölner Dom, beanstandet sie „als Vermischung von Religion und nationaler Romantik“.


Dichter und Retter des Rolandsbogens


Ende 1839 erwählte der farbig formulierende Dichter Ferdinand Freiligrath nach einer Wanderung Unkel als Wohnort. Er schwärmt von der Lage: „Drachenfels, Nonnenwerth, Rolandseck bilden ein prächtiges point de vue“, weshalb zahlreiche Maler genau diese Blickachse erkoren. Freiligrath will auch den Rhein als „Quelle der Begeisterung“ zu nutzen. Statt zu dichten genießt er jedoch einstweilen lieber „Weibergunst und Freundesliebe“, wandert mit Gästen, oft zum Weinberg des Freundes Karl Simrock oberhalb Bad Honnefs, zwecks geistvollen Austauschs und zünftigen Zechens. Wer kennt noch die Verse des ehemals Berühmten? Unvergessen aber ist, dass er sich enthusiastisch für den Wiederaufbau des eingestürzten Rolandsbogens einsetzte, ein Wahrzeichen der Rheinromantik erster Güte. Für Freiligrath passte die Romantik bald nicht mehr in die Zeit, er selbst wandelte sich am Vorabend der deutschen Revolution zum politischen Dichter.


Die Figuren wandern durchs Buch


Ulrich Meyer Doerpinghaus erzählt, berichtet, flicht seine unaufdringliche Analyse mit ein. Er bringt Zeit- und zugleich pralle Lebensgeschichte zur Anschauung. Zitate aus Primärquellen, wie Tagebücher und Reisebeschreibungen, liefern den Zungenschlag der Zeit dazu. Man taucht ein, ohne Gefahr zu laufen sich darin zu verlieren, da der Autor klug Regie führt. So lassen sich alle Kapitel wie abgeschlossene Geschichten lesen. Reizvoll ist allerdings, dass sie zugleich durchlässig gestaltet sind und die Figuren durchs ganze Buch wandern. Da treffen etwa der romantische Musiker Franz Liszt und seine Geliebte Marie Gräfin d’Agoult, denen ein eigener Absatz gewidmet ist, zu Beginn ihrer vierjährigen Reise, während der Marie drei Kinder gebärt, den Dichter Freiligrath. Überhaupt die aufregenden Liebesgeschichten und ihre traurigen Ausgänge. Liszt, „der herrliche Gottbegnadete“, wie die Eigentümerin des Gasthofes im ehemaligen Kloster Nonnenwerth apostrophiert, verherrlicht die Liebe, ist aber unfähig zur Reflektion, als Probleme auftauchen. Auf der Insel im Rhein schuf er zum ersten Mal Kompositionen, die sich auf deutschsprachige Stoffe beriefen. Die Begegnung dort mit Marie nach zweijähriger Trennung bringt keine Versöhnung.

Die an Leidenschaft, Triumpfen und Niederlagen reichen Leben der Künstler und Geistesgrößen, die natürlich das Musikerehepaar Clara und Robert Schumann in Düsseldorf einschließen, berühren. Abenteuerlich gestaltete sich auch der Lebensweg Gottfried und Johanna Kinkels, die gegen Widerstände heirateten und in Bonn den romantischen Dichterkreis Maikäferbund gründeten. Der Protestant verlor durch die Ehe mit der geschiedenen Katholikin seine Professorenstelle und sein Predigereinkommen. Kinkel, der wortstark die revolutionäre Bewegung in Bonn anführte, kam in Haft wegen seiner Beteiligung am Siegburger Zeughaussturm im Mai 1849, wurde aber befreit. Danach lebte die Familie in London im Exil. Die vielseitig musisch begabte Johanna rieb sich auf in der Fürsorge der Kinder. Nach allem, was es durchgestanden hatte, entfremdete sich das Paar. Johanna stürzte aus dem Fester, starb und am Grab standen Ferdinand und Ida Freiligrath, die in London Freunde der Kinkels geworden waren.

Schon während des Lesens wird einem klar, dass man dieses Buch wieder und wieder zur Hand nehmen wird, um einen Gedanken aufzugreifen, einem Zusammenhang nachzuspüren oder sich den ganzen Genuss am Zauberfluss nochmals zu gönnen.


Infos zum Buch


Ulrich Meyer-Doerpinghaus: Am Zauberfluss, Szenen aus der rheinischen Romantik,

Reihe zu Klampen Essay, 2015, 269 Seiten.


Der Autor


Ulrich Meyer-Doerpinghaus wurde 1967 geboren, lebt in Oberwinter mit Blick auf den Rhein und ist Kommunikationsleiter der Hochschulrektorenkonferenz in Bonn. Nach dem Studium der Geschichte, Katholischen Theologie und Sozialwissenschaften in Münster und Louvain-la-Neuve (Belgien) war er Doktorand am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen und wurde 1996 promoviert. Für seine Dissertation „Soziales Handeln im Zeichen des Hauses. Zur Ökonomik in der Spätantike und im früheren Mittelalter“ erhielt er die Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft. Er war Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Visiting Scholar an der Harvard University und Projektmanager bei der Westdeutschen Landesbank.


Lesungen


Nach Lesungen in Sinzig und Oberwinter gibt es im neuen Jahr 2016 weitere Termine für Buchvorstellungen durch den Autor Ulrich Meyer-Doerpinghaus:

Am 7. Januar, um 19.30 Uhr,

Siebengebirgsmuseum

Königswinter

Am 6. April, um 18.30 Uhr,

Meys Fabrik/Stadtbibliothek

Hennef

Am 19. April, um 18.00 Uhr,

Zentralbibliothek Düsseldorf

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