Erstes Urteil gegen Angeklagte nach Misshandlungen in der Kindertagesstätte Antweiler gefallen

Ehemalige Erzieherin zu Geldstrafe verurteilt

Ehemalige Erzieherin zu Geldstrafe verurteilt

Claudia W. (1.v.l.) wurde vor dem Landgericht Koblenz zu einer Geldstrafe zu insgesamt 9000 Euro wegen Freiheitsberaubung und Nötigung in mehreren Fällen verurteilt. Das Verfahren gegen die zweite Angeklagte Gisela N. (1.v.r.) wurde nach einem Hilfsbeweisantrag abgetrennt und soll im Oktober fortgesetzt werden. Fotos: CF

Ehemalige Erzieherin zu Geldstrafe verurteilt

Die Misshandlungsfälle in der Kita Antweiler hatten bundesweit für Aufsehen gesorgt und großes Medieninteresse hervorgerufen.

Koblenz/Antweiler. Über 5 Jahre nach den mutmaßlichen Misshandlungsvorwürfen an der Kita „Regenbogen“ in Antweiler im Kreis Ahrweiler wurde am vergangenen Mittwoch, 5. September, ein erstes Urteil vor dem Landgericht Koblenz gefällt. Die Hauptangeklagte Claudia W. wurde hierbei zu einer Geldstrafe von insgesamt 9000 Euro (150 Tagessätze á 60 Euro) verurteilt.

Rückblick

Ende 2013 waren die ersten Vorwürfe von Misshandlungen in der Kindertagesstätte öffentlich bekannt geworden. Die Kriminalpolizei hatte bereits seit Ende November 2013 im Auftrag der Staatsanwaltschaft Koblenz in dem Fall ermittelt. Zwei Jahre später hat die Staatsanwaltschaft Koblenz schließlich Anklage gegen vier frühere Erzieherinnen der Dorf-Kita erhoben. Der Vorwurf damals: In 15 Fällen sollen Kinder, die ihre Mahlzeiten nicht oder nur zum Teil gegessen oder wieder ausspuckt haben, entweder in für das jeweilige Kindesalter viel zu kleine Hochstühle gequetscht, an einen Stuhl gefesselt, in abgedunkelte Räume gesperrt, geschlagen oder durch sonstige körperliche Gewalt gezwungen worden sein, das ausgespuckte Essen erneut in den Mund zu nehmen und herunterzuschlucken. In acht Fällen sollen Kinder, die während der Mahlzeiten nicht ruhig auf ihrem Stuhl saßen oder sich zu laut verhielten, an ihren Stuhl gefesselt, in zu kleine Hochstühle gequetscht oder ihnen der Mund zugeklebt worden sein.

Am 8. Mai 2018 begann der Prozessauftakt vor dem Landgericht in Koblenz. Im Laufe des Verfahrens mussten zwei, der ursprünglich vier Angeklagten aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden.

Anklage wegen Freiheitsberaubung und Nötigung

Großes Medieninteresse und ein bis zum letzten Platz gefüllter Zuschauerraum des Sitzungssaals 108 zum letzten angesetzten Verhandlungstag war nur ein Indikator für die hohe Brisanz des Verfahrens. Staatsanwältin Daniela Knoop-Kosin hatte in ihrem ersten Plädoyer zusammenfassend festgestellt, dass das zugegeben sehr lang andauernde Verfahren keinen Zweifel an den archaischen und vollkommen überholten Erziehungsmethoden zur damaligen Zeit in der Kita Antweiler ließe.

Die Erzieherin Claudia W. und die ehemalige Kita-Leitung Gisela N. wurden wegen Freiheitsberaubung sowie Beihilfe zur Nötigung durch unterlassen in mehreren Fällen angeklagt. Die Staatsanwaltschaft hatte Geldstrafen für beide Angeklagte gefordert.

Verfahren wurden abgetrennt

Die Verteidigerin von Gisela N. stellte in ihrem Schlussplädoyer einen Hilfsbeweisantrag, dem das Gericht stattgegeben hatte. Ein psychiatrisches Sachverständigengutachten belegt demnach, dass die frühere Leitung der Kindertagesstätte aufgrund einer depressiven Erkrankung (schwere Depression) in Aufmerksamkeit, Konzentration und Wahrnehmung beeinträchtigt gewesen sei. Laut ihrer Verteidigerin sei Gisela N. in regelmäßiger psychiatrischer und psychologischer Behandlung gewesen, habe sich deswegen auch in einer stationären Rehamaßnahme befunden und war zeitweise sogar arbeitsunfähig. Demnach könne man ihr nicht den Vorwurf machen, wenn sie von etwaigen Vorfällen nichts bemerkt habe.

Der Vorsitzende Richter Ralf Bock hatte daher das Verfahren gegen die Angeklagte Gisela N. abgetrennt und angekündigt, dass man erneut in die Beweisaufnahme eintreten werde. Ein erstes Urteil könnte frühestens im Oktober oder November gesprochen werden.

Keine Gewissheit: Vieles ruht weiter im Dunkeln

Viele Eltern der betroffenen Kinder haben darauf gewartet, endlich die Wahrheit zu erfahren, was sich wirklich hinter den Mauern der Kita „Regenbogen“ abgespielt hat. Irina Enting, Nebenklägerin und betroffene Mutter sagte gegenüber BLICK aktuell: „Die Kinder haben deutlich mehr erlebt, was vor Gericht verhandelt wurde. Es sind jetzt nur die Dinge zu Wort gekommen, die durch Erwachsene bezeugt werden können. Meinen Kindern ist deutlich mehr passiert. Meine Tochter wurde nicht nur zwangsgefüttert, sondern sie hat ihren Aussagen nach auch Schläge erfahren oder beobachtet wie andere Kinder einen „Klaps“ bekommen haben. Sie hat in gewissen Situationen Panikattacken gezeigt (...), das waren so merkwürdige Reaktionen, als sie noch so klein war. Da war was im Argen! Ich habe keine Aussage von Erwachsenen, die mir sagen, was genau passiert ist, ich kann das nur mutmaßen.“

Komplott gegen Erzieherin?

Von Reue oder einem Geständnis ließ die Hauptangeklagte Claudia W. oder ihr Verteidiger Ernst Angsten nichts erkennen. Vor der Urteilsverkündung hatte die Verteidigung von einem Komplott gegen die Mandantin geredet. Die Vorfälle hätten nie stattgefunden. Durch suggestive Fragen von Beamten und Eltern an die Kinder würden viele Anklagepunkte demnach beruhen. Verteidiger Angsten äußerte zudem große Bedenken an den teils „melodramatischen“ Schilderungen mancher Zeugen, die mehr als zweifelhaft wären. Daher forderte diese den Freispruch für Claudia W.

Ein Verfahren mit großen Hürden

Zur Urteilsverkündung hatte Richter Ralf Bock angemerkt, dass ein solches Verfahren immer emotional aufwühlend sei, wenn Kinder beteiligt sind oder gar in den Gerichtssaal gezerrt werden müssen. Und auch die Vorwürfe für diejenigen, die sich damit konfrontiert sehen, seien nicht unerheblich. Die Problematik im Prozess „Kita Antweiler“ bestand darin, dass der Großteil der angeklagten Taten alleine auf die Aussagen von kleinen Kindern beruhten. Für die betroffenen Kinder liegen die Vorfälle ein ganzes Leben lang zurück. Zudem sei ein Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass dabei die Grenze zwischen wirklich erlebtem und nur geglaubtem kaum mehr nachvollziehbar sei. Das Erinnerungsvermögen bei Kleinkindern ist nicht so ausgeprägt und durch äußere Faktoren leicht zu beeinflussen. Staatsanwaltschaft und Gericht waren übereinstimmend der Meinung, dass all dies jedoch nicht bedeute, dass diese Vorfälle nicht stattgefunden haben. Es ließe sich nur nicht im Einzelfall nachweisen, ob das was die Kinder geschildert haben, wirklich erlebt wurde.

Das hat das Gericht letztlich dazu bewegt nur die Aussagen des Hausmeisters sowie einer Küchenhilfe zu gewichten, die Aussagen der Kinder blieben völlig außen vor.

Urteil gesprochen - Verteidigung kündigt Revision an

Die ehemalige Erzieherin Claudia W. wurde letztlich vom Gericht wegen Freiheitsberaubung in einem Fall, sowie vier Fällen von Nötigung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen á 60 Euro verurteilt und kam damit den Forderungen der Staatsanwaltschaft nach. Eine Freiheitsstrafe kam nicht in Betracht, da die Übergriffe nicht gravierend genug waren, die Angeklagte noch nicht vorbestraft ist und die Fälle lange zurückliegen. Zudem wurden Claudia W. die Kosten des Verfahrens mit den nicht unerheblichen Auslagen für zahlreiche Gutachten auferlegt. Der Verteidiger der Hauptangeklagten hat bereits angekündigt, Revision gegen das Urteil einzulegen.

Strenges Regiment zu Tisch

Die ehemalige Erzieherin soll im Einzelnen ein Kind mit Paketband an ein Stuhl gefesselt und dieses in einem Nebenraum geschoben haben. Desweiteren sieht es das Gericht als erwiesen an, das Claudia W. in vier weiteren Fällen mehrere Kinder durch zusammendrücken der Wangen und teils durch einflößen von Flüssigkeit zum Essen gezwungen habe. Ein Junge habe in einem Fall gewürgt und sein Essen ausgespuckt. Dieser wurde von Claudia W. dazu genötigt mit dem Erbrochenen in der Hand weiter aufzuessen, während ihn die anderen Kinder dabei beobachteten.

Der vorsitzende Richter stellte zum Ende hin fest, die Probleme haben sich ausschließlich auf die Küche und die Essenssituation beschränkt und betrafen längst nicht alle Kinder. Zum Zeitpunkt der Misshandlungsfälle habe die Hauptangeklagte „die Kita in Griff“ gehabt und lebhafte Kinder oder jene die Probleme beim Essen gehabt haben entsprechend dazu gebracht, ihr Essen vollständig aufzuessen. Dieses Vorgehen sei mit der Erziehung und dem erzieherischen Ansatz nicht in Einklang zu bringen. Claudia W. habe die Grenze, da sie körperlich geworden ist, deutlich überschritten.

Erst nach den Vorfällen sei eine entsprechende Arbeitsanweisung hinsichtlich der Essenskultur in der Kita geschaffen worden.CF