„Wir sind Kirche vor Ort Rhein-Ahr“ hatte die Redakteurin von „Religion und Gesellschaft“ des Deutschlandfunks eingeladen

Christiane Florin analysierte die Situation der römisch-katholischen Kirche

Sinzig. „Sind Sie noch in der katholischen Kirche?“ lautete die erste Frage eines Zuhörers nach dem Vortrag von Christiane Florin „Konfession: Zerrissen-katholisch. Kämpfen oder gehen?“ Die Gruppierung „Wir sind Kirche vor Ort Rhein-Ahr“ hatte die Redakteurin von „Religion und Gesellschaft“ des Deutschlandfunks in den Saal des Pfarrheimes St. Peter, Sinzig, eingeladen.

Mit scharfem Blick und schonungsloser Offenheit analysierte sie die aktuelle Situation der römisch-katholischen Kirche.

Bei ihrem ersten Themenkomplex „Frauen in der Kirche“ prangerte sie die Diskriminierung der „gefährlichen, Angst einflößenden“ Frauen an, die wegen ihres Geschlechtes nicht alle Ämter innehaben dürfen und belegte mit Beispielen die massiven Verstöße gegen die Menschenrechte und die Geschlechtergerechtigkeit. Der Papst könnte diesen Zustand sofort beenden, aber er tut es nicht.

Als Zweites beschrieb sie die Situation der Gläubigen, die in einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft leben, jedoch mit ausschließlicher Legitimation von oben in der Kirche konfrontiert sind. 359.000 Menschen sind bereits ausgetreten, 20 Mio. sind rätselhafterweise noch da. Sie unterscheidet drei verschiedene Gruppen von „Bleibern“: „Nutzwertschafe“ mit Erwartungen an Kosten und Nutzen, abwesende „Phantomschafe“ ohne Erwartungen, die die Existenz der Kirche gut finden, Bischöfe mit „rechtsgebürstetem Fell“, die an der „reinen Lehre“ und der Tradition festhalten und die Schafe „vor sich hertreiben“, die „linksgebürsteten“ Schafe, die nur scheinbar einen Ausbruch vorbereiten und vom Papst und den Bischöfen Änderungen erwarten. Sie stellen traurig fest, dass die Ergebnisse der Würzburger Synode 1974 mit den gleichen Themen wie heute in Vergessenheit geraten und im Vatikan verschwunden sind, ebenso erneuernde, unbequeme Inhalte des 2. Vat. Konzils.

Das dritte Schwerpunktthema war der sexuelle Missbrauch. Nach dem Studium aller Missbrauchsgutachten und Gesprächen mit Betroffenen glaubt Christiane Florin den „Herren“ nicht mehr, die jahrelang im System leben und nichts gewusst haben wollen. Sie hat menschliche Kälte, Unmenschlichkeit, Täterschutz und -fürsorge von Verantwortlichen erlebt mit einem Netz von Mitwissern und schweigenden Gemeinden. Betroffene müssen sich rechtfertigen, weil man dem „Herrn Pfarrer“ glaubt. Mit vielen Beispielen belegte sie das Verstoßen gegen elementare ethische Prinzipien bei Missbrauch und Vertuschung. Noch lange nicht alle verstehen dies so.

C. Florin forderte, dass alle ihrer Verantwortung nachkommen und unabhängige Aufklärung verlangen, die Gutachten lesen, unbequeme Fragen stellen wie: Was ist für Sie als Betroffene/r gerecht, warum wurde nicht geholfen, wer hat den Lügen geglaubt, wer hat etwas gewusst, wer hat vertuscht? „Wer sich wie ein geduldiges und braves Schaf verhält, wird zum Komplizen, es bedient und stützt das System und hält es am Leben.“

„Gehen oder bleiben?“ war ein weiteres Thema. Da sie aufgrund ihres umfassenden Wissens die rk Kirche nicht mehr finanziell unterstützen konnte, war Christiane Florin drei Tage vorher aus der Kirche ausgetreten, es war für sie kein Tag der Befreiung und Freude. Man kann auch außerhalb der Kirche Gutes und Veränderung bewirken; wenn es „dysfunktional“ wird, muss man sich woanders engagieren. Mitglieder der Kirche können nicht sagen: „Wir sind unabhängig von denen da oben“, sie sind ein Teil dieses Systems. Aber Kröten zu schlucken, sei nicht hilfreich, sondern C. Florin rät dazu, die Anlässe zu veröffentlichen, denn Öffentlichkeit wird gefürchtet. Einsicht kann nicht vorausgesetzt werden, auch Macht wird nicht abgegeben, und die Pfarrer jammern über ihre Belastung, anstatt sich von Laien etwas abnehmen zu lassen.

Der Blick auf Jesus und die „Sache Jesu“ in Gemeinschaft zu leben und weiterzugeben, sind Hauptgründe zu bleiben. Missstände aufzudecken und dagegen anzugehen und für Gerechtigkeit zu kämpfen, ist ein Auftrag an die Bleibenden. Dies geht in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter, die man dort finden kann, besser, als sich alleine abzumühen.

Gefordert wird von den Reformgruppen in der Kirche ein Machtverzicht durch Selbstverpflichtung und Selbstbescheidung als Appell an den „Guten Hirten“, der Bedeutung des Wortes „Pastor“. Als Staatsbürger*in möchte man Rechtssicherheit, keine Gnade des Amtsinhabers.

Alle waren sich einig, Informationen erhalten zu haben, die empören, nachdenklich stimmen und zum Widerstand gegen Unrechtes motivieren.