Ein Spiel aus Holz, hinter dem viel mehr steht, als das Verkaufsziel

Das „Dahinter“ bewegt Ludwig Gerhards

Das „Dahinter“ bewegt Ludwig Gerhards

Für den einst nur mathematisch denkenden Gerhards eine Erkenntnis, die nicht nur im Spiel gilt: Es lässt sich nicht berechnen.

Das „Dahinter“ bewegt Ludwig Gerhards

In der Spielemanufaktur von Ludwig Gerhards wirdaus heimischen Hölzern Spielfreude gemacht. Fotos: GBA

Das „Dahinter“ bewegt Ludwig Gerhards

Eine Figur, die erst recht spät ins Spiel kamund nun eine tragende Rolle spielt: Der Pfarrer.

Ransbach-Baumbach. „Menschen hören nicht auf zu spielen, weil sie alt werden. Sie werden alt, weil sie aufhören zu spielen.“ Ein tiefgründiges Motto hat der Unternehmer Ludwig Gerhards für seinen aktuellen Spiele-Katalog ausgewählt – fast schon philosophisch. BLICK aktuell hat den außergewöhnlichen Mann besucht und mit ihm über seinen aktuellen Überraschungs-Erfolg auf dem Spielemarkt, „Lass die Kirche im Dorf“, gesprochen. Ludwig Gerhards gewährt dabei Einblicke in sein Verständnis der Welt, wie es sich im Laufe seines Lebens verändert hat und welchen Einfluss es auf seine Arbeit hat.

„Die Menschen glauben an das, was sie sehen. Was ich sehe, das ist.“ Als studierter Diplomingenieur des Maschinenbaus sei er selbst eine lange Lebensphase allein daran orientiert gewesen, was man sehen kann. „Das ist der Zeitgeist“, beobachtet er. Und neben hausgemachten Problemen sei daraus auch die Krise der beiden großen christlichen Kirchen zu erklären. „Lass die Kirche im Dorf“ – mit dem Wunsch, ein Spiel unter diesem Titel zu entwickeln, richtete sich ein evangelischer Verlag an das mittelständische Kleinunternehmen. 1981 hat Gerhards die Firma nach seinem Studium von seinem Vater Clemens Gerhards übernommen. Ein Traditionsunternehmen, das schon seit 1931 besteht.

Für Zusammenhalt –

im Spiel und im Leben

„Der Titel des Spiels legt die ganze Problematik unserer Zeit dar“, ist sich der ehemalige Schüler des Gymnasiums Kloster Marienstatt sicher. „Das steht nicht nur für Kirche, sondern für Heimat, für Zusammenhalt.“ Der Zusammenhalt sei auch ein ganz wichtiges Spielziel. Im Spiel, wie auch im realen Leben. Der Zusammenhalt der Kirche und der umliegenden Häuser. „Der Titel macht sicher neugierig – auch diejenigen, die keine absoluten Spielefreaks sind.“ Nur so kann sich Gerhards den riesigen Erfolg des Spiels erklären, der sich allerdings erst im dritten Produktionsjahr einstellte.

„In den ersten beiden Jahren haben wir ungefähr 350 Spiele hergestellt, in den nächsten beiden Jahren haben wir das Zehnfache, fast 3.500 Spiele ausgeliefert.“ Für Gerhards eine wahnsinnig große Stückzahl. „Von den meisten unserer Spiele verkaufen wir jährlich zwischen 50 und 500 Stück“, gibt er bereitwillig über seinen Geschäftserfolg Auskunft. Zwei Drittel des Umsatzes machen die Spiele aus. Zu 99.5 Prozent bekomme er positive Rückmeldungen. „Dabei spielt auch das Material eine gewisse Rolle. Wir verarbeiten Massivholz, vorwiegend Buche aus heimischen Wäldern.“

Ein Spiel wie

kein anderes – von Anfang an

Die Entstehung des Spiels ist für Gerhards eine äußerst interessante Geschichte. „Normalerweise bekommen wir Spielevorschläge von Spiele-Autoren, mit denen wir zusammenarbeiten.“ Diese lieferten dann einen Titel und einen Namen. In diesem Fall sei es aber umgekehrt gewesen: Der Spiele-Autor hatte insgesamt wenig Vorgaben. Dementsprechend ernüchternd seien auch die ersten Entwürfe gewesen. „Da wurden aus Scheiben-Holzklötzchen Türme gebaut, die einen Kirchturm darstellen sollten. Eigentlich nahm das Thema positiv Fahrt auf, als ich kleine Häuschen machte in zwei Holzfarben. Es war ein Zweipersonenspiel. Einen Kirchturm und ein Kirchenschiff.“ Diese beiden Teile schickte Gerhards seinem Hausspieleautor Dieter Stein nach München. „Da kam auch bald ein ganz positiver Vorschlag zurück“, erinnert sich Gerhards an die Entstehungsgeschichte vor drei Jahren. Die neue Spielidee war nun: Alles soll harmonisch aufeinander ausgerichtet sein, so wie die Kirche in einem Dorf im Zentrum, und das Ensemble der Häuser drumherum. Zu Beginn sind der Kirchturm und Kirchenschiff in eine Ecke, das heißt ins Abseits gesetzt. Wie zunehmend auch im realen Leben.

„Es geht darum, die Häuschen und das Kirchenschiff so zusammenzubringen, dass alle Teile rechtwinklig miteinander verbunden sind“, beschreibt Gerhards das Spielziel in seiner exakten mathematischen Sprache. Wie man zu dieser symmetrischen, harmonischen Gestaltung des Dorfensembles gelange, ist nicht vorausberechenbar. „Das ist völlig offen“, gibt Gerhards zu. Zum Ziel gelangt man durch Spielen, durch Probieren. So auch während der Erfindung des Spiels. „Die Regeln wurden von Woche zu Woche verbessert.“ Als das Regelwerk fertig ausgeklügelt schien, kamen Gerhards Mitarbeiterinnen auf eine Idee, die das Spiel krönen sollte: Es muss auch ein Pfarrer mitspielen! „Dann haben wir erst einmal gesucht, ob es standardmäßig eine Figur gibt, die so aussieht wie ein Pfarrer. Und wir fanden tatsächlich eine Figur in Schwarz mit breitkrempigem Hut, die wie ein Monsignore aussieht.“ Dann wurde noch etwas Wichtiges dazu erfunden: „‘Pfarrer, hilf!‘, so heißt ein ganz pfiffiger Spielzug“, erklärt Gerhards. Wenn ein Spieler in einer ausweglosen Situation ist, kann er den Pfarrer zu Hilfe rufen. „Das Gemeine dabei ist: Man kann sich – wie im richtigen Leben – selber in diese ausweglose Situation bringen.“ Wie gut, dass der Pfarrer im Spiel dann aus der Patsche helfen kann. Kann er das auch im richtigen Leben?

Das „Dahinter“

Gerhards erinnert sich an seine Zeit im Klostergymnasium in Marienstatt, speziell an seinen alten Griechischlehrer. Der habe immer zu seinen Schülern gesagt: „Mensch Leute, habt ihr denn keine Antenne für das Dahinter?“ Das sei das Problem auch heute, findet Gerhards. „Damals war ich so mathematisch orientiert. Mathe und Physik, das war mein Ding. Für mich war klar: Was ich sehe, das ist für mich der Maßstab!“ Der Anstoß, ein bisschen weiter zu denken, kam für ihn erst sehr viel später. „Das heißt die Saat, die unser Griechischlehrer gesät hat, ist irgendwann bei mir noch aufgegangen“, blickt Gerhards dankbar auf seinen Lehrer zurück.

Und er erinnert sich an noch etwas Wesentliches: In der griechischen Philosophie gebe es ein ganz prägnantes Gleichnis, das Höhlengleichnis. „Das ist ganz simpel. Es ist eine Höhle, in dessen Eingang eine hohe Mauer ist. An der Höhlendecke sieht man, dass dort ein Feuer brennt. Man sieht auch Schatten. Es bewegt sich was. Man sieht, dass da etwa ist, aber man sieht nicht, was es ist.“ Für Gerhards ein Indiz: „Menschen haben eigentlich schon immer das Dahinter gesucht.“

Ludwig Gerhards, ein erfolgreicher Unternehmer, mit nachdenklichem Hintergrund. Bald will er sein Unternehmen in jüngere Hände geben. Am Tag nach dem Interview ruft er noch einmal an. „Vielleicht findet sich ja durch den Bericht ein potentieller Nachfolger?“ Vielleicht. Es ist im Spiel wie im richtigen Leben: manchmal geht die Saat erst ganz spät auf. Und am Ende steht dann ein harmonisches Ensemble. Wenn nötig auch durch einen pfiffigen Spielzug.