Brexit beeinflusst nicht nur die Menschen jenseits des Ärmelkanals, auch in der Region gibt es Betroffene

„Die Freiheit, die ich hatte, ist weg!“

„Die Freiheit, die ich hatte, ist weg!“

Die Queen hat momentan stürmische Zeiten zu überstehen. Fotos: kbl

„Die Freiheit, die ich hatte, ist weg!“

In weiser Voraussicht hat Gary Blackburn schon einmal das Nummernschild eines seiner Doppeldecker-Busse angepasst.

„Die Freiheit, die ich hatte, ist weg!“

Die Sammelleidenschaft des Briten ist noch lang nicht am Ende. Britische Besonderheiten geben Gary Blackburn ein bisschen Heimatgefühl.

Linz-Kretzhaus. Die Bilder des Brexit-Countdowns vor Downing Street No. 10 gingen um die ganze Welt. Auf die Hauswand des Wohnsitzes des Premierministers von Großbritannien, seit dem Rücktritt von Theresa May der des Brexiteers Boris Johnson, wurden die Sekunden rückwärts gezählt, auf der Straße davor wurde von Brexit-Anhängern frenetisch gefeiert. EU-Fahnen wurden verbrannt, die Freude der Befürworter über den historischen Schritt schien unendlich.

Der wohl berühmteste Brite und Neu-Deutsche der Region, Gary Blackburn aus Kretzhaus bei Linz am Rhein, musste derweil schwere Stunden durchstehen … und tut es noch. Der Erfinder des skurril-britischen Mini-Freizeitparks „Little Britain“, der im vergangenen Jahr schließen musste verfolgte die Vorgänge mit gemischten Gefühlen. Als am Freitagabend 23 Uhr britischer und 0 Uhr europäischer Zeit das Vereinigte Königreich aus der EU austrat, war er erleichtert, einerseits. Die jahrelange Hängepartie über das Für und Wider des „Brexit“, die immer wieder hohe Wellen schlug und auf beiden Seiten des Ärmelkanals für Irritation, Unbehagen und teils hämisches Gelächter sorgte, war endlich vorbei. Die Unsicherheit andererseits blieb. „Als ich vor 35 Jahren nach Deutschland kam, brauchte ich nur eine Arbeit und bekam eine Arbeitserlaubnis für ein Jahr. Später dann für fünf Jahre und dann unbegrenzt. Das wird für meine Angestellten und Kinder nicht mehr so einfach sein“, fasste er traurig im Gespräch mit BLICK aktuell am Samstag zusammen. „Wir haben gestern alle gemeinsam hier im Wohnzimmer den Countdown verfolgt. Es ist gut, dass es vorbei ist, aber es ist auch ein Gefühl, als habe man ein Bein oder einen Arm verloren.“

Für den Inhaber des Baumdienstes Siebengebirge stellt grade die Planungsunsicherheit ein großes Problem dar. „Ich kann im Moment keine Pläne für das nächste Jahr machen. Ich kann meinen Mitarbeitern auch nicht sagen, wie lange sie für mich arbeiten können –etwa die Hälfte von ihnen kommt aus England. Sie arbeiten teilweise seit zwanzig Jahren für mich und kommen immer wieder hier rüber – das wird wahrscheinlich ab 2021 so einfach nicht mehr möglich sein“, schilderte er seine Situation. Erschwerend komme hinzu, dass viele seiner Stammkunden grade diese englischen Facharbeiter wünschen – denn nur dort gibt es die Ausbildung zum sogenannten „tree surgeon“, sinngemäß einem „Baumchirurgen“. Tree Surgeons sind in der Lage, in großen Höhen sicher und fachgerecht Bäume zu beschneiden oder uralte Naturdenkmäler am Leben zu erhalten. Eine ähnliche Fachausbildung gibt es in Deutschland oder dem Rest von Europa nicht, entsprechend kann Gary Blackburn außer auf die von ihm selbst geschulten Kräfte nur auf Landsleute jenseits des Kanals zurückgreifen. Grade bei besonderen Herausforderungen wie großen Stürmen oder langen Dürreperioden war das ungeheuer wichtig. „Einige meiner Arbeiter wollten ihre Familien nach Deutschland holen, auch das wird jetzt erst einmal nicht gehen. Sie wissen ja selbst nicht, ob ich sie im nächsten Jahr noch beschäftigen kann“, resümierte er.

Der rührige Brite schrieb sogar einen Brief an Boris Johnson selbst, in dem er ihm seine Situation schilderte. „Ich habe ihn um Hilfe gebeten – denn ich brauche eine Lösung. Alle meine englischen Mitarbeiter haben Familien. Ich habe ihm vorgeschlagen, die Verhandlungen hier in Deutschland zu führen – dies wäre ein guter Platz, mitten in Europa.“ Leider erhielt er bislang keine Antwort. Gary Blackburn befürchtet allerdings ohnehin, dass in den nächsten Jahren erhebliche Schwierigkeiten auf ihn zukommen werden. „Sobald Visa benötigt werden, um im jeweils anderen Land zu arbeiten, wird es schwierig werden. Ich kann nicht drei Monate darauf warten, dass ich Unterstützung von englischen Tree Surgeons bekomme, wenn hier ein Sturm gewütet hat.“ Seine Hauptsorge ist, dass der United Kingdom am Ende nicht viel besser dastehen wird, als Länder der sog. 3. Welt: „Es wird alles viel, viel schwieriger werden. Meine Tochter wollte mit ihrer besten Freundin in England nach dem Abitur studieren gehen – ob das noch so einfach gehen wird? Die Freiheit, die ich hatte, ist weg. Auch das Einkaufen über die Grenzen hinweg, das Reisen, Transporte … alles wird so viel aufwendiger werden“, fasste er seine Befürchtungen zusammen: „Mein Schwager ist britischer Bauer … für ihn ist die Zukunft nun noch unsicherer geworden. Bislang hat in schlechten Jahren die EU immer unterstützt – was jetzt kommt, weiß er nicht.“ Viele seiner Landsleute seien dankbar für Chancen und Hilfen während der letzten Jahrzehnte und traurig über diesen Schritt.

Gary Blackburn selbst hatte die Entscheidung zum Austritt aus der EU 2016 damit beantwortet, dass er auf seinem Grundstück an der L253 eine Art Mini-Freizeitpark voller englischer Erinnerungsstücke und Eigenartigkeiten einrichtete. Die skurrile Mischung aus lebensgroßem Friedenspanzer, einer Teerunde mit der Queen, Mr. Bean`s Auto inklusive seines Teddys, einer riesigen Hasenfigur aus Alice im Wunderland, der mitten in einer freilebenden Kaninchenfamilie saß und vielen anderen kleinen und großen Figuren war etwas ganz Besonderes. Mit seinem „Little Britain“ hatte Gary Blackburn ein Stück England in den Westerwald holen wollen – mit Erfolg. Wanderer, Familien, Kindergärten und Altersheime nutzten gern die Gelegenheit, sich einmal in einen Doppeldecker-Bus für ein Picknick zu setzen oder bei Regen schnell mal bei der Queen unterzustellen. „Ich hatte einen Ort schaffen wollen, an dem sich Deutsche und Engländer weiter begegnen, reden und Spaß miteinander haben“, erinnerte er sich. Leider hatte er die in Deutschland notwendigen Vorschriften nicht beachtet und auch vergessen, Bauanträge zu stellen, bevor er loslegte … und so musste er „Little Britain“ im Sommer letzten Jahres schließen, in der Hoffnung, es wieder öffnen zu können, wenn er die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen hatte. „Ich bin in Verhandlung mit Gemeinderat und Kreisverwaltung und habe ein gutes Gefühl. Es wäre so schön, wenn wir dieses oder nächstes Jahr wieder aufmachen könnten.“ Auch für alle anderen kleinen und großen Fans des Vereinten Königreichs wäre es eine schöne Sache, ein bisschen „Great Britain“ vor der Haustür zu haben, wenn es bald schwieriger wird, auf die Insel zu reisen. Der Ausgang der Verhandlungen ist noch offen – die Queen, Mr. Bean und Dr. Who stehen bei Blackburns Zuhause aber immer noch bereit und hoffen auf einen erneuten Einsatz. 

KBL

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