Wie auswärtige Helfer die Situation nach der Flutkatastrophe im Ahrtal erlebten

Flut: Humor der Ahrtaler beeindruckte Helfer

Flut: Humor der Ahrtaler beeindruckte Helfer

Klaus Betke mit seiner Tochter Lisa. Foto: privat

Kreis Ahrweiler. Bei der Flutkatastrophe im Juli 2021 kamen viele Helfer aus dem gesamten Bundesgebiet, um zu helfen. BLICK aktuell hat mit Klaus Betke gesprochen, der mit seiner Tochter und Freunden aus Horn-Bad Meinberg im Kreis Lippe ins Ahrtal kam.

BLICK aktuell: Was war der Impuls und der Antrieb, fast 300 km Anreise auf sich zu nehmen, Zeit und Geld zu investieren und ins (wahrscheinlich) Unbekannte zu fahren, um zu helfen?

Klaus Betke: Da ich mit meiner Familie selber ein Haus mit Grundstück besitze, die Arbeit drum herum kenne und mit meinen Eltern und Schwiegereltern viel Energie, Zeit und Geld investiert habe um ein schönes Zuhause zu bekommen, habe ich nach den ersten Bildern gedacht, was wäre, wenn sowas hier, bei mir, passiert?

Ich habe mich gefragt, wie ich mich in einem solchen Katastrophenfall fühlen würde, wenn komplett alles innerhalb von Minuten zerstört ist und an wen ich mich wenden könnte, um weiter zu machen.

Als 2002 die Flut an der Oder und dem Umland war, hatte es die Familie eines damaligen Arbeitskollegen schwer getroffen. Da aber unsere Tochter wenige Wochen vorher zur Welt gekommen ist wollte ich meine Familie auch nicht alleine lassen. Wir konnten aber im Familienkreis damals schon Spenden sammeln, die wir dann meinem Kollegen und guten Freund mitgegeben haben.

BLICK aktuell: Warum das Flutgebiet Ahrtal?

Klaus Betke: Meine Eltern haben vor über 60 Jahren ihre Hochzeitsreise an die Ahr gemacht, also gab es noch eine Verbindung zum Ahrtal.

Kurz vor meiner zweiten Fahrt ins Ahrtal habe ich von Freunden im Falkenburgverein erfahren, dass der Begründer des Kreises Lippe, Bernhard II zur Lippe mit Heilwig von Are-Hochstaden im 12. Jahrhundert verheiratet war.

Ein Sohn von Bernhard und Heilwig hat die Planungen zum Bau der Falkenburg bei Detmold umgesetzt und so haben die beiden in gewisser Weise den Grundstein für den heutigen Kreis Lippe, meine Heimat, gelegt.

Jetzt, da unsere Tochter erwachsen ist, sie genau wie ich auch die Berichte verfolgt hat, hatten wir beide direkt nach der Flut schon das Bedürfnis zu helfen. Die Fragen waren: was brauchen wir, wie können wir helfen, was brauchen die Menschen vor Ort .... usw.

In einen Post am Dienstag nach der Flut in den Horner Facebook Gruppen fragte Carsten Freitag aus dem Nachbarort Leopoldstal, ob jemand mitkommt. Er ist jetzt schon einige Male unterwegs in die Flutgebiete gewesen, dringend benötigte Materialien liefern, tagsüber helfen und am Abend wieder zurück, um dann am nächsten Morgen wieder mit neuen Spenden / Hilfsgütern und seinem Transporter loszufahren. Ein Full-Time-Job mit wenigen Stunden Schlaf und hoher körperlicher Anstrengung.

Zu der Zeit hatten wir Urlaub, konnten aber Corona bedingt nicht wegfahren, also sagten unsere Tochter und ich spontan zu, meine Frau wäre auch gerne mitgefahren, nur haben wir einen Hund, um den sich jemand hätte kümmern müssen.

Blauäugig ins Ungewisse

BLICK aktuell: Wie waren die ersten Eindrücke vor Ort?

Klaus Betke: Die Bemerkung „ins Ungewisse zu fahren“ ist ein gutes Stichwort. Da sind meine Tochter und ich eher recht blauäugig mitgefahren.

Je näher wir dem Ziel kamen, umso mehr hatte ich Angst vor meiner eigenen Courage. Viele Fragen gingen mir durch den Kopf:

Wie sieht es am Ziel wirklich aus, wo komme ich unter, was ist wenn mir oder auch meiner Tochter was passiert, Verpflegung und und und?

Bis Höhe Remagen waren wir eigentlich noch recht gut drauf, wir haben noch über den Film „Die Brücke von Remagen“ gesprochen, und gewitzelt: „...dann fehlt nur noch der Panzer...“ Wenige Kilometer weiter stand dann wirklich ein schweres Bergegerät der Bundeswehr. Auf dem Flugplatz Neuenahr Ahrweiler standen wie riesige Libellen einige Hubschrauber und warteten auf den nächsten Einsatz oder starten und landen gerade. Wenige Minuten später auf der Autobahn: Unmengen an Rettungsdiensten, THW, DRK, Feuerwehr etc. an und auf den wenigen freien Parkplätzen. Nach der Abfahrt von der Autobahn kamen uns schon schlammverschmierte PKW mit Kennzeichen aus ganz Deutschland entgegen. Vor der ersten Ortschaft auf einer Brücke sehen wir unter uns eine fast völlig zerstörte Straße, wir fahren weiter. Über Ehlingen und Heimersheim fahren wir über Kreis, Land und Dorfstraßen Richtung Bad Neuenahr, unserem Ziel. Überall waren vor allem auch junge Menschen, von oben bis unten voller Schlamm, mit Eimern, Schaufeln und Karren unterwegs.

Schaufenster und Wohnhäuser stark beschädigt, überall Staub und Dreck, aber auch sehr viele, die mit anpackten. Die Stimmung wird immer demütiger, unsere Gespräche verstummen, das Radio ist aus. Je näher wir unserem Ziel kommen, sieht es immer schlimmer aus, Berge an Schutt und Schlamm, Autowracks und Möbel, eben teilweise das ganze Leben der Betroffenen steht zerstört und verdreckt vor den beschädigten Häusern. Wir kommen am ebenfalls betroffenen Hotel an, Carsten begrüßt die Leute und den Hotelier, den er von den letzten Fahrten her noch kennt.

In wenigen Minuten ist das Material an Spenden, Eimern, Schaufel und Lebensmitteln ausgeladen und erstmal an einer Versorgungsstelle um die Ecke verteilt bzw. für den Einsatz bereitgestellt.

Carsten, meine Tochter Lisa und ich schnappen uns jeder ein paar Eimer, jeder eine Schaufel und dann ziehen wir los zu einem Haus, an dem Carsten tags zuvor schon den Keller leer geräumt hat.

„In welche Mülltonne

kommt das... ?“

Naiv wie ich „Bengel vom Lande“ halt bin, habe ich die Ärmel hochgekrempelt und los. Den ersten Schwung an Müll auf den Arm und raus mit dem Müll.

Ich bin mit dem Müll rausgekommen und habe mich eher selber gefragt: „In welche Mülltonne kommt das... ?“

Ein wenig dümmliches Gesicht muss ich wohl gemacht haben, als ich mich umgeschaut habe. Alles hat sich zu mir umgedreht, gefühlt war kein Stromerzeuger, kein Martinshorn, kein LKW und kein anderes Geräusch zu hören.

Ein Gastronom aus dem Nebengebäude meinte nur zu mir: „Schmeiß auf die Straße, das holt gleich der Bagger“, und hat lachend weiter geschippt.

Okay, denke ich, das ist auch eine Lösung, anders geht es ja nicht. Im Erdgeschoss reißen wir Fußbodenbeläge raus, räumen die Reste der zerstörten Einrichtung raus und werfen die einfach an die Reste des Straßenrands, Bürgersteige fehlen teilweise komplett.

Wir denken auch nicht weiter nach, der erste Keller und das erste Haus ist soweit leer, also weiter und eine nächste Gruppe gesucht, gefragt wo wir helfen können und weitergemacht.

Aus einem Carport in einem Hinterhof werden gerade PKW geborgen, das THW hat erstmal provisorisch das Dach gesichert und räumt nun ihr Material zusammen. Bei den schweren Sachen packe ich mit an.

Da ich in meiner Arbeitskleidung und Firmenlogo da unterwegs war, spricht mich der Helfer des THW an.

THW: „Die bist bei einer Autokranfirma in Paderborn?“

Ich: „Ja, bei Hofmann“

THW: „Richtung Dernau steht ein gelber Kran von Franz Bracht, kennst du die?“

Ich: „Ja klar, das ist mein Chef, wir arbeiten zusammen, wir gehören zusammen.“

THW: „Der baut gerade mit meinen Kollegen eine Brücke auf und hat gestern schon einiges weggeräumt.“

Tage später erfahre ich noch von meinem Kollegen, dass dieser zur selben Zeit ebenfalls im Ahrtal zu eben diesem Bracht-Kran unterwegs war. Er hat Material und Kraftstoffe geliefert.

Ein anderer Kollege ist mit Spenden und Material ebenfalls unterwegs gewesen und alle sind wir uns wenige Tage nach diesem Einsatz einig, dass wir alle nochmal zum Helfen hinfahren, ob nun im Auftrag der Firma oder privat.

Der Humor wie man ihn aus dem Rheinland kennt, ist mir in den ersten Stunden im Ahrtal an Tag 6 nach der Flut überall aufgefallen. Ich habe bei den mittlerweile „nur“ 4 Fahrten zu den kurzen Einsätzen bzw. Spendenfahrten nur einmal ein böses Wort gehört.

Egal mit wem ich gesprochen habe, egal ob Helfer oder Betroffene, alle hatten trotz der Katastrophe und der Schäden den Umständen entsprechend gute Laune.

Freundlichkeit und

Dankbarkeit herrschten vor

Jeder ist froh, einen kleinen Beitrag zu leisten, damit es möglichst schnell wieder „halbwegs normal“ in den betroffenen Gebieten wird.

Selbst Betroffene die wirklich Schlimmes erlebt haben und die über die Geschehnisse mit mir gesprochen haben, sind immer freundlich und vor allem dankbar.

Das Lächeln in den Gesichtern, die Freude in den Augen, die Gesten und auch die Dankbarkeit der Betroffenen hat mich nach einigen Stunden in stickigen nassen Wohnungen dazu bewegt immer wieder zu helfen.

Auch wenn es bei jeder Fahrt nur ein paar Tage sind, so telefoniere und maile ich mit meinen neuen Freunden im Tal und auch wir freiwilligen und privaten Helfer stehen und gegenseitig beratend zur Seite, wenn wir mal nicht persönlich helfen können. SPS