Chorleiter Bardo Becker sorgt sich um die Zukunft des Chorwesens

„Ich habe den Eindruck,dass einiges verloren geht“

„Ich habe den Eindruck,
dass einiges verloren geht“

Bardo Becker bei einem seinem Einsätze als Chorleiter. Foto: Anton Simons/AW-Wiki

Kreis Ahrweiler. Viele Vereine in der Region habe handfeste Sorgen. Gerade den althergebrachten Gruppen fehlt der Nachwuchs. Besonders geraten die Männergesangvereine und Chöre in die Spirale dieses Negativtrends. Bei einigen der Vereine im Gebiet des Kreises Ahrweiler fehlen engagierte Mitsänger, die bestenfalls das Rentenalter noch nicht erreicht haben. Dass eine Rekrutierung kein leichtes Unterfangen ist, zeigen die bisherigen erfolglosen Versuche mancher Vereine. Die Fusion zweier MGVs ist dabei noch eine diplomatische Lösung. Schaut man jedoch in andere Städte, hält die Realität schnell Einzug. Vereine werden aufgelöst, weil sich kein Partner zum Fusionieren findet, die Mitgliederzahlen zu schwach sind oder wichtige Vorstandsposten nicht besetzt werden können. Das Problem entstand nicht über Nacht: Seit Jahren versuchen viele Gesangvereine und Chöre neue Sänger für altes und neues Liedgut zu begeistern. Dies jedoch mit überschaubarem Erfolg. Punktuell bestätigen Ausnahmen die Regel; auch heute existieren vitale Vereine im Ahrkreis. Doch betrachtet man die Statistiken genauer, ist ein genereller Abwärtstrend zu verzeichnen. „Man hätte sich um Nachwuchs sorgen müssen, als es den Vereinen noch gut ging“, sagt Bardo Becker, der die Chöre in Bachem, Bad Bodendorf, Kirchdaun und einigen weiteren Orten im Ahrkreis leitet. Die angesprochene Hochzeit der Chöre war laut Becker in den 1980er und 1990er Jahren. Damals füllten Chöre mit rund einhundert Stimmen ganze Festhallen. Diese Zeit sei längst Geschichte. Und gerade damals hätte man auf die Zukunftsfähigkeit achten müssen. „Junge Leute hatten seinerzeit aber gar keine Chance“, sagt Becker. Nach seiner Darstellung wurden ambitionierte Sängerinnen und Sänger mancherorts geradezu „rausgeekelt“.

Bardo Becker wurde in Mainz geboren, lebt aber in Niederzissen. Der Musiker absolvierte ein Kirchenmusikstudium, besuchte Meisterkurse im Orgelspiel und Gesangskurse bei Rudolf Desch, einen großen Komponisten zahlreicher Vokalwerke. Außerdem erhielt er die Auszeichnung „Chordirektor FDC“ des Fachverbandes der Chorleiter in Köln. Ins Brohltal zog es Becker und seine Frau durch eine Anstellung als Kantor. Dennoch entschied er sich nach einiger Zeit für eine freie Tätigkeit als Chorleiter.

Einsicht, Geduld

und Horizonterweiterung

Becker beobachtet die derzeit Entwicklung bei Gesangvereinen und Chören mit einiger Sorge. Heute habe das kollektive Singen nicht mehr den Stellenwert wie früher, sagt er. „Im 19. Jahrhundert war der gemeinsame Gesang ein richtiges gesellschaftliches Phänomen“, sagt Becker. Dieses Trend sei aber seit einigen Jahren abgeebbt. Die Pflicht, auch im Jahre 2020 wieder Begeisterung beim Publikum und bei Sängerinnen und Sängern zu schüren, obliege jedoch dem Chorleiter. „Man muss mit viel Einsicht und Geduld an die Sache herangehen“, erläutert er sein Vorgehen bei der Chorleitung. „Außerdem muss der Leiter den Horizont der Sänger Schritt für Schritt erweitern“, fügt Becker hinzu. Deshalb sollte man sich auch an eher unbekanntere und durchaus moderne Stücke trauen. Als Beispiel nennt Becker die Werke des Komponisten Friedrich Neumann.

Mit Gesang zur

Existenzsicherung

Ein großes Problem sei die grundsätzlich falsche Herangehensweise an die Problematik. „Es wird zuviel danach gefragt, was das Publikum hören möchte,“ fasst der Chorleiter zusammen. Viel wichtiger sei jedoch die Frage: Was wollen wir eigentlich singen? Diese Fehleinschätzung führe zu einer bunten Vermischung des Gesangsrepertoires, was, laut Becker, mit traditionellem Chorgesang nichts mehr zu tun habe. „Mittlerweile werden Schlager und Musicalstücke vorgetragen, weil man vermutet, dass das Publikum das unbedingt hören möchte“, fasst Becker zusammen. Dabei vergesse man, dass es auch Stücke im klassischen Chorrepertoire gebe, die durchaus ein breiteres Publikum ansprechen. „Die Qualität des Chores muss dafür aber stimmen und man muss einen feinen Sinn dafür haben, was man den Sängern zumuten kann“, sagt Becker. Chorarbeit sei eben nicht nur der Weg des geringsten Widerstandes. So fordert Becker auch etwas mehr Mut von seinen Sängerinnen und Sängern. Jeder Chor und Gesangverein sollte sich deshalb fragen, ob er zum Gefallen oder des bloßen Existierens wegen weitermacht. Gerade deshalb lasse Becker das Gefühl nicht los, dass derzeit „einiges verloren gehe“.

Es ist noch Hoffnung da

Der Zeitgeist trage sein Übriges zum Nachwuchsmangel bei.. „Jüngere Leute haben heute nur wenig Beziehung zum traditionellen Liedgut“, vermutet Bardo Becker. „Viele Menschen haben neben ihrem Beruf oder den familiären Verantwortungen heute viel weniger Freizeit als früher“, sagt er. Dennoch ist für Chorleiter Bardo Becker im Sangeswesen nicht alles verloren: „Ich habe durchaus Hoffnung für die Zukunft“, sagt er abschließend.