Kabarett bei der Kleinkunstbühne Mons Tabor e.V.

Mathias Tretter begeisterte an zwei Abenden am Gelbach

Mathias Tretter begeisterte an zwei Abenden am Gelbach

Für Kabarett der Spitzenklasse reisten Gäste gar aus München und Berlin an.Fotos: Uli Schmidt

Mathias Tretter begeisterte an zwei Abenden am Gelbach

Mathias Tretter begeisterte mit scharfen Analysen unserer Zeit.

Montabaur-Ettersdorf. Was läuft kulturell im Westerwald, wenn sogar Gäste aus München und Berlin (mit dem ICE) anreisen? Zum Beispiel „Kabarett am Gelbach“ in Montabaur-Ettersdorf. Zumindest wenn Mathias Tretter dort zwei Tage gastiert und dies die letzten beiden Vorstellungen seines Programmes „Pop“ sind. Der in Leipzig lebende Kabarettist spielte zweimal vor ausverkauftem Haus und begeisterte die Wäller Kabarettfans ebenso wie die Gäste aus den Metropolen.

Für die Kleinkunstbühne Mons Tabor dankte bei der Begrüßung Uli Schmidt zunächst den Sponsoren Holzbau Kappler mit Sitz im Gelbachtal und der Spada Bank für deren Engagement. Dies gilt auch für die Stadt Montabaur und die Ettersdorfer Dorfgemeinschaft als Kooperationspartner. „Das passt hier vor Ort alles optimal zusammen, weshalb wir gemeinsam am 30./31. Januar 2021 zum nächsten Kabarett am Gelbach mit Stefan Waghubinger einladen“, so der Vorsitzende der Kleinkunstbühne. Dem konnten Stadtbürgermeisterin Gabi Wieland und der Ettersdorfer Ortsvorsteher Karl Ortseifen nur zustimmen.

Kabarettistischer Balanceakt

Dann sezierte Mathias Tretter volle zwei Stunden den allgegenwärtigen Populismus und unsere zunehmend digitalisierte Welt mit ihren sprachlichen Verrenkungen. Tretter meistert dabei den Balanceakt auf dem kabarettistischen Drahtseil, ist sich einerseits nicht zu schade für alberne Pointen und liefert andererseits intelligente Analysen, ohne das Publikum von oben herab zu behandeln oder gar für dumm zu verkaufen. „Pop“ feuert auf leichte (Trump, Rassisten) und im Kabarett nur selten stattfindende (Google, Facebook) Ziele gleichermaßen. Und während Tretter von Politik, Kindeserziehung, seiner Ehe, Religion, dem Internet und Terrorismus erzählt, kommt er immer wieder auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, der alle Unsinnigkeiten miteinander zu verbinden scheint, zurück: die Sprache.

„Es heißt immer der Jude, der Afghane, der Syrer. Was regt ihr euch eigentlich so auf, wenn aus jedem Land nur einer gekommen ist?“, fragt Tretter und führt damit die hetzerische Rechtsaußen-Rhetorik ad absurdum. „Sobald solche Leute eine Tastatur vor sich haben, geht die innere Erika Steinbach mit ihnen durch. Aber wenn Rechte schreiben, führt das nicht automatisch zu Rechtschreibung.“ Ein Höhepunkt von „Pop“ waren am Gelbach Tretters hanebüchene Verschwörungstheorien, mit denen er das absurde Bild einer IS-Weltherrschaft vor Augen führt, das krude Weltbild der Identitären entlarvt, den Kopf schüttelt über das Internet der Dinge („E-Mails auf den Duschkopf, Frühstück aus dem 3D-Drucker“), die Entwicklung vom Bildungs- über den Wut- zum Hetzbürger aufzeigt und zuweilen staunend vor der Realität seines kleinen Sohnes steht: „Die Kindergärten sind heute wie das Cottbuser Tor: Da kriegst du alles!“

Mit der Brechstange der Polemik

Als Mittvierziger fühlt er sich in Sachen Zukunft längst reif für ein Plätzchen hinterm Mond: „Wir sind die Vergangenheit. Die Visionäre sind nicht in der Politik - sondern an der Macht.“ Als Chefs der Monopolisten Amazon, Google, Facebook & Co. Für Tretter sind das die Diktatoren unserer Zeit.

Mit der Brechstange der Polemik arbeitet sich Tretter akribisch an einer Welt ab, die zunehmend von Bits und Bytes bestimmt wird. Neue Technologien verändern, wie wir miteinander kommunizieren, wem wir vertrauen und unser Verständnis von Demokratie.

„Pop“ trägt dem Rechnung und zerlegt auf dem mitunter dünnen Eis politisch inkorrekter Vergleiche derart schonungslos Mechanismen statt Menschen, wie man es im deutschen Kabarett nur selten sieht. Tretter zwingt sein Publikum, die Augen zu öffnen, Verhaltensmuster zu überdenken, die Realität sowie Machtverhältnisse zu hinterfragen und fordert gleichzeitig mehr Gelassenheit und Freude. „Wer sich vor dem Terror in die Hose macht, soll Pampers tragen und nicht nach neuen Gesetzen schreien.“

Was sonst passieren könnte, zeigt zum Abschluss der Tretter'sche Blick in die Glaskugel: „Wir schreiben das Jahr 2122. Die ganze Erde wird von einem Großkonzern beherrscht. Google hat 2081 Würzburg abgerissen, weil es Platz für Server brauchte.“ Dank modernster Technologie müssen die Menschen nicht mehr arbeiten und sind untersterblich. „Der Sinn des Lebens ist jedoch der Tod. Ohne den wird alles langweilig. Aber auch den haben sie uns genommen ...“