Gastbeitrag von Annette Rexrodt von Fircks, Bestsellerautorin und Stiftungsgründerin der RvF-Stiftung

Mit Kindern über Krebs sprechen – aber wie?

Mit Kindern über Krebs sprechen – aber wie?

Annette Rexrodt von Fircks gründete eine Stiftung für krebskranke Mütter und ihre Kinder. Foto: Carmen Lechtenbrink

Mit Kindern über Krebs sprechen – aber wie?

Kinder, egal welcher Altersstufe, haben sehr feine Antennen. Sie spüren sofort die Unruhe ihrer Mütter und Väter, sie hören Dinge aus Gesprächen heraus oder interpretieren die veränderte Gestik ihrer Eltern. Werden Kinder nicht über einschneidende Ereignisse, wie zum Beispiel eine Krebserkrankung, informiert, können aus diesem „Nichtwissen“ heraus die wildesten Fantasien und Ängste entstehen.

Für den direkt betroffenen Elternteil bestimmen zunächst einmal Fragen wie: „Werde ich überhaupt wieder gesund?“, „Muss ich sterben?“, „Was sage ich Freunden und Nachbarn?“ den Alltag. Zudem müssen eigene Gefühle wie Wut, Trauer und Verzweiflung verarbeitet werden. Kinder, vor allem wenn sie nicht richtig informiert werden, entwickeln einerseits Ängste und haben andererseits ebenfalls viele Fragen: „Wird Mama oder Papa wieder gesund?“, „Kann ich das auch kriegen?“, „Ist Krebs ansteckend?“ et cetera. Vor allem die Mutter-Kind-Beziehung basiert grundsätzlich auf einem sehr engen Vertrauensverhältnis, das durch Geheimhaltung oder gar Lügen extrem belastet werden kann. Hinzu kommt, dass der vormals klar strukturierte Alltag der Kinder schnell aus den Fugen gerät, da beispielsweise die Mutter bestimmte Aufgaben nicht mehr übernehmen kann oder länger im Krankenhaus sein muss.

Ein erstes Gespräch mit den eigenen Kindern sollte deshalb nicht zu lange aufgeschoben werden, denn häufig werden Veränderungen durch die Krankheit sehr schnell spürbar und spätestens dann sichtbar, wenn die Haare ausfallen. Hier gilt es für die Eltern, einen guten Mittelweg zu finden, den eigenen Kindern nichts zu verheimlichen, ohne sie jedoch ihrer Kindheit zu berauben, bzw. sie nicht zu stark zu belasten. Eine altersgerechte Kommunikation zum richtigen Zeitpunkt ist hier relevant: angemessen informieren, ohne das Kind mit Details zu überfordern. Wichtig ist, dem Kind Raum für Fragen zu lassen und sich Zeit für gemeinsame Aktivitäten zu nehmen. Häufig jedoch werden Eltern in der akuten Krankheitsphase verständlicherweise von der Unsicherheit beherrscht, ihr Kind durch aufklärende Gespräche, in der sowieso schon schwierigen Situation, noch zusätzlich zu belasten. Studien belegen jedoch eindeutig, dass für Kinder das Unausgesprochene, das nicht authentische „Vorleben“ der Eltern zu schweren Entwicklungskrisen führen kann, unter anderem die COSIP Studie; die Evaluation des Reha-Projekts „gemeinsam gesund werden“ der Rexrodt von Fircks Stiftung.

„Wann“ und „Wie“ ein solches Gespräch stattfindet, ist letztendlich eine ganz individuelle Entscheidung. Jede Familie muss hier ihren eigenen Weg finden, denn was für die einen durchaus umsetzbar ist, funktioniert möglicherweise bei einer anderen Familie überhaupt nicht und jedes Kind ist anders. Darüber hinaus kann konstatiert werden, dass Kinder an so einer schwierigen Situation durchaus wachsen und Stärken entwickeln können, wenn es gelingt, mit ihnen zusammen eine gute Kommunikationsbasis zu schaffen. Dies meint nicht nur das Gespräch mit dem Kind, sondern das Schaffen von Geborgenheit, Vertrauen und das Aufrechterhalten von regelmäßigen Abläufen, die dem Kind in der Ausnahmesituation Sicherheit geben.

Wichtige Eckpunkte für eine offene Kommunikation mit dem Kind

Die häufigste Frage, die Eltern sich stellen ist: Werde ich mein Kind belasten, wenn ich es aufkläre? Untersuchungen aus den Niederlanden zeigen, dass oftmals nicht die Art der Erkrankung oder des Ereignisses, sondern der Umgang damit entscheidend für die Bewältigung ist. Sicher ist, das Kind reagiert auf die Veränderungen, ob es informiert wurde oder nicht: Gegebenenfalls mit Traurigkeit, Weinen, Desinteresse, Rückzug oder aggressivem Verhalten. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass innerhalb der Familie Konsens darüber herrscht, was dem Kind vermittelt wird und was nicht.

Als Hilfestellung für ein Gespräch mit Kindern, unabhängig von ihrem Alter, könnten folgende Hinweise hilfreich sein: Möglichst authentisch sein und Worte verwenden, die das Kind versteht, die ihm bekannt sind. Authentisch sein heißt allerdings nicht, nur Fakten zu vermitteln, sondern vor allem auch Emotionen vor den Kindern zuzulassen. Niemandem fällt es leicht, über die eigenen Gefühle zu sprechen. Für Kinder ist es einfacher, Gefühle zu verstehen und die eigenen zu äußern, wenn sie sehen, dass Mama oder Papa auch mal weinen müssen oder Angst haben. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die Kinder möglicherweise nicht alles verstanden haben. Hier sollte gezielt nachgefragt werden. Um die Krankheit und die möglichen Folgen zu verdeutlichen, ist die Bezugnahme auf Vorerfahrungen der Kinder hilfreich, zum Beispiel: „Kannst Du dich noch erinnern, als Papa im Krankenhaus war? Dort muss ich jetzt auch hin, weil mir die Brust weh tut.“ Vor allem sollte genügend Zeit und Raum für Fragen der Kinder vorhanden sein.

Worin jedes Elternpaar bestärkt werden kann: Es gibt nicht „das“ perfekte Gespräch. Jedes Gespräch läuft individuell ab. Es ist wichtig, sich auch Fehler zuzugestehen und beim nächsten Mal zu versuchen, es besser zu machen.

Verschiedene Altersstufen erfordern unterschiedliche Kommunikationswege

Kleinkinder (ein bis zwei Jahre) sind im herkömmlichen Sinne noch nicht „informierbar“. Dennoch kann ihnen mitgeteilt werden, dass Mama krank ist und ein Aua in der Brust hat. Hier geht es in erster Linie darum, durch regelmäßige Alltagsabläufe dem Kind Sicherheit zu geben. Denn Unruhe und Angst der Eltern spiegeln diese Kinder oftmals durch eigene Unruhe, Weinen et cetera wieder.

Kinder zwischen drei und sechs Jahren haben meistens noch große Angst vor der Trennung von den Eltern. Durch eigene Erfahrungen hinsichtlich einer Erkrankung oder durch Verlust sind häufige Reaktionen dieser Altersgruppe: Der Rückzug von vertrauten Personen oder Rückschritte in der Entwicklung, wie zum Beispiel einnässen oder die Weigerung in die Schule zu gehen und dort allein zu bleiben. Veränderungen im Alltag werden in diesem Alter besonders stark wahrgenommen. Die Informationen sollten kurz und knapp sein, vor allem auch die Krankheit sollte beim Namen genannt werden. Das Umfeld, besonders das pädagogische Personal, sollte informiert sein, damit Auffälligkeiten im Verhalten der Kinder nicht nur erkannt werden, sondern man auch angemessen darauf reagieren kann.

Im Alter von sieben bis zwölf Jahren sind Kinder sehr wissbegierig und fordern detaillierte Informationen über die Erkrankung und vor allem die körperlichen Veränderungen ein. Sie fühlen sich häufig schuldig an der Erkrankung der Mutter, deshalb ist eine Entlastung von Schuldgefühlen hier besonders wichtig. Auch die Aufklärung über die Krankheitssituation durch Pädagogen und anderen Bezugspersonen ist wichtig. In dieser Altersstufe muss nicht zwingend jede Verhaltensänderung mit der Erkrankung eines Elternteils zu tun haben, sondern kann auch ein genereller Entwicklungsschritt des Kindes sein.

Teenager und Jugendliche befinden sich per se in einer besonderen Situation. Steht eigentlich der Ablöseprozess vom Elternhaus im Vordergrund, bindet die Erkrankung eines Elternteils sie plötzlich wieder an das Zuhause. Hier ist es besonders wichtig, das offene Gespräch zu suchen und eventuell auch ein Gespräch mit einem Arzt zu ermöglichen. Auch wenn Jugendliche oftmals schon umfangreiches Wissen über Krebs haben, ist das genaue Krankheitsbild meistens nicht bekannt und die ergänzende Information durch den Arzt hilfreich.

Wann ist professionelle Hilfe sinnvoll?

Wenn die Betroffene sich überfordert fühlt, die Kommunikation mit dem Kind nicht möglich scheint oder Unsicherheit über das Verhalten des Kindes besteht. Wenn es Fragen gibt, die nicht alleine beantwortet werden können, oder wenn auch unterschiedliche Auffassungen der Eltern vorliegen, wie mit der Krebserkrankung und der Kommunikation umgegangen werden soll. Grundsätzlich gilt, dass professionelle Hilfe jederzeit in Anspruch genommen werden sollte, wenn sonst keine Lösung zu finden ist.

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