Die Jugendhilfeeinrichtung „Case Project“ wird nach dramatischen Enthüllungen schließen

Nie wieder Deeskalationsraum!

Nie wieder Deeskalationsraum!

Die Jugendhilfeeinrichtung am Rande der Gemeinde Baar-Wanderath soll bis Ende Oktober geschlossen werden. Foto: CF

Nie wieder Deeskalationsraum!

Das zuständige Landesamt beabsichtigt, die Betriebserlaubnis für die Jugend- sowie Erwachseneneinrichtung der „Case Project“ GmbH zu entziehen. Foto: CF

Wanderath. Im März 2019 berichtete eine Reportage der RTL-Sendung „Team Wallraff“ erstmals über Missstände der Jugendhilfeeinrichtung „Case Project“ in Wanderath. Darin sprachen eine Mutter und ihr Sohn die Zustände in einer Wohngruppe für Jugendliche mit psychischen Problemen an. Im Fokus der TV-Sendung stand der sogenannte Deeskalationsraum (Time Out-Raum), der als Sanktionsmaßnahme zum Einsatz gekommen war.

Jugendliche mit psychischen Problemen seien der Reportage zufolge zum Teil weggesperrt und gewürgt worden. Maßnahmen wie Essensentzug oder auch die Verabreichung von Medikamenten sollen als Bestrafungsmethoden zum Einsatz gekommen sein. In der Sendung berichtete ein Betroffener, dass er vier Monate auf einem Flur habe schlafen müssen.

Ermittlungen gegen zwei Mitarbeiter

Die Staatsanwaltschaft Koblenz führt derzeit ein Ermittlungsverfahren gegen eine 49-jährige Frau und einen 62 Jahre alten Mann wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung und der Körperverletzung. Die Mitarbeiter der Jugendeinrichtung „Case Project“ in Baar-Wanderath sollen in mehreren Fällen Bewohner gegen ihren Willen und ohne Grund in den sogenannten Deeskalationsraum eingesperrt haben. Der Raum soll schallisoliert, ohne Tageslicht, ohne Toilette und ohne Videoüberwachung gewesen sein. Das brachte die Wallraff-Recherche an die Öffentlichkeit. Lediglich durch ein Guckloch bei geschlossener Tür soll eine Kontrolle der eingeschlossenen Person Zeugenaussagen zufolge möglich gewesen sein.

Wie die Staatsanwaltschaft Koblenz auf Anfrage mitteilte, haben sich die Beschuldigten noch nicht zu den Anschuldigungen geäußert. Die Geschäftsräume der Einrichtung und die Wohnungen der beiden Tatverdächtigen wurden Mitte September im Zuge der Ermittlungen durchsucht, dabei habe man umfangreiches Material in Form von elektronisch gespeicherten und schriftlichen Unterlagen sichergestellt.

Träger äußert sich zu Vorwürfen

Der Träger des „Case Project“ teilte hierzu schriftlich auf Nachfrage mit: „Die in den vergangenen Monaten öffentlich gegen unsere Einrichtung erhobenen Vorwürfe haben uns selbstverständlich sehr betroffen gemacht. Die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft unterstützen wir und haben den Behörden beispielsweise Zugang zu allen wichtigen Unterlagen und Informationen gewährt. Damit wollen wir ausdrücklich auch dafür sorgen, dass die grundsätzlich gute Arbeit vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den vergangenen Jahren nicht unter Generalverdacht gestellt wird.“

Jugendhilfeeinrichtung wird geschlossen

Das zuständige Landesamt teilte mit, dass man zum Schutz der Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung beabsichtigt, die Betriebserlaubnis zu entziehen. Der Träger hatte dem Ministerium mitgeteilt, dass man keine Perspektive für die Fortsetzung des Betriebes der Jugendhilfeeinrichtung sehe und diese spätestens bis zum 31. Oktober endgültig schlißen werde.

Das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung sieht nach eigener Auskunft auch deshalb keine Zukunft für die Einrichtung, weil Zeugenaussagen verdeutlicht hätten, dass der hier verfolgte konzeptionelle Ansatz „würde- und menschenrechtsverletzend“ sei und „weder mit der zu beachtenden UN-Behindertenrechtskonvention“, noch mit der „UN-Kinderrechtskonvention vereinbar ist“.

Der Träger der Einrichtung dagegen spricht BLICK aktuell gegenüber nicht von grundlegend falschen Ansätzen, sondern sieht unter anderem in der durch die Berichterstattung erzeugten Öffentlichkeit einen Grund für das – wohlgemerkt selbstgewählte – Ende des Case Project in Wanderath. „Wir selbst haben die Entscheidung getroffen, unsere Jugendhilfeeinrichtung zu schließen. Denn die öffentlichen Diskussionen haben Spuren hinterlassen, weshalb wir es nicht mehr für möglich halten, dass Jugendliche bei uns in Wanderath unbelastet leben können. Über diese Entscheidung haben wir die Klienten im persönlichen Gespräch behutsam informiert. Wir suchen derzeit neue Wohnplätze für alle dort lebenden Klienten und kommen damit gut voran. Zum 31.10.2019 wird die Einrichtung freigezogen sein und die Arbeit einstellen. Das aktuell noch in der Jugendhilfeeinrichtung beschäftigte Personal wird künftig das Team im Bereich der Eingliederungshilfe verstärken, um dort für zusätzliche Entlastung zu sorgen“, teilte man seitens des Trägers schriftlich mit.

Nach eigenen Angaben hat das zuständige Landesamt bereits Kontakt aufgenommen zu den betroffenen Jugendämtern, die Jugendliche in Wanderath untergebracht haben, um diese bei ihrer Suche nach alternativen Unterbringungsgmöglichkeiten zu unterstützen.

In der Zuständigkeit des Kreisjugendamtes Mayen-Koblenz befanden sich nach Angaben des Landkreises zwei Jugendliche, die „anderen geeigneten Jugendhilfeangeboten zugeführt werden“.

Der Plan: Neues Konzept und neuer Träger für die Erwachseneneinrichtung

Neben der Jugendhilfeeinrichtung betreibt die Case Project GmbH eine Einrichtung für Erwachsene, ebenfalls in Wanderath. Für diesen Bereich hat der Träger umfassende Veränderungen angekündigt: „In der Einrichtung der Eingliederungshilfe passen wir einige Strukturen den neuen Gegebenheiten an. Wir haben eine bundesweit aktive und renommierte Beratungsfirma beauftragt, die uns bei Fragen der Qualitätssicherung und fachlichen Weiterentwicklung der Einrichtung berät und unterstützt. Erste Veränderungen wurden bereits umgesetzt, wozu nicht nur die Entfernung der Tür des Deeskalationsraumes gehörte, der nicht mehr genutzt wird, sondern auch die Einführung von Gruppenleitung, um weiterhin eine klientenorientierte Betreuung zu gewährleisten. Diesen Restrukturierungsprozess setzen wir aktiv und in enger Abstimmung mit den Behörden fort.“

Wie das zuständige Ministerium mitteilte, sei der Träger zu personellen und strukturellen Änderungen bereit. Es stehe eine Übernahme der Case Project GmbH durch eine andere in dem Bereich tätige Gesellschaft im Raum. Aus den Unterlagen wird ersichtlich, dass die bisherige Einrichtungsleitung, Mitgeschäftsführerin und Gesellschafterin des bisherigen Trägers ihre Ämter mit Wirkung zum 13. September 2019 niedergelegt hat. Trotz dieser Maßnahme werde das Landesamt das Betriebsuntersagungsverfahren weiterhin aufrechterhalten, falls eine geplante Übernahme oder Neukonzeptionierung scheitern sollte.

Kontrollen fanden statt

Die Anschuldigungen, die in der damaligen TV-Sendung gegen die Jugendhilfeeinrichtung erhoben wurden, sind schwerwiegend. Wie konnte es so weit kommen?

In einer schriftlichen Mitteilung des Landesamtes heißt es: „Das Landesamt ist seinem Beratungs- und Prüfauftrag stets nachgekommen, um eine angemessene Unterstützung und Aufsicht zu gewährleisten, so zum Beispiel durch regelmäßig angemeldete und unangemeldete Einrichtungsbesuche. Insgesamt war das Landesamt seit dem Jahr 2008 11-mal angekündigt und 7-mal unangekündigt in der Erwachseneneinrichtung sowie seit 2014 4-mal angekündigt und 5-mal unangekündigt in der Jugendhilfeeinrichtung vor Ort.“

Derart unwürdige Zustände, wie die Investigativreportage sie aufdeckte, hatten die Mitarbeiter bei den Kontrollen der Einrichtung offenbar nicht entdeckt. CF