Engerser Tribut

Sylvia Waldorf steckte in der Schandgeige

Sylvia Waldorf steckte in der Schandgeige

Die Kinder aus den 3. und 4. Klassen der Kunostein-Grundschule brachten sich mit Musik und Gesang in die Tributzahlung ein. FF

Sylvia Waldorf steckte in der Schandgeige

Zahlreiche Interessierte hatten sich am Pfingstdienstag zum Engerser Tribut eingefunden.

Sylvia Waldorf steckte in der Schandgeige

Angeführt vom Schäfer und den Engerser Bürgern reiten die Pfingstreiter in den Flecken ein.

Neuwied. Jung und Alt hielten an Pfingstdienstag in Engers die Geschichte lebendig. Der Bürgerverein inszenierte unter Mitwirkung von rund fünfzig Gewandeten den Engerser Tribut. Einen Brauch, der seit 452 Jahren ununterbrochen Bestand hat, allerdings nicht immer so schön in der Öffentlichkeit aufgeführt wurde. Und so schlüpften wieder viele Engerser bereitwillig in die Rolle von Schultheiß, Magistratsmitglied, Bürgerwehr, Schäfer, Spiel- und Hofleuten. Gerne erinnert man im Flecken daran, früher einmal eine eigenständige Stadt mit allen dazu gehörigen Rechten und Privilegien gewesen zu sein. Mit dem Tribut zahlen die Engerser den Heddesdorfern seit 1564 eine Pacht dafür, dass ihre Schafe auf deren Grund und Boden weiden dürfen. Die Heddesdorfer Pfingstreiter fordern diesen Tribut Jahr für Jahr ein. Tun sie es nur ein einziges Mal nicht, verlieren sie ihre Gerechtsame für immer. Diesen Brauch über 452 Jahre aufrecht zu erhalten, war in manchen Jahren schwer und auch die Tributzahlung lief nicht immer harmonisch ab. Im Jahr 1797 wäre der Brauch beinahe verloren gegangen, weil die französischen Besatzer keine Reiter duldeten. Der Heddesdorfer Bursche Britz ritt deshalb auf einer Bohnenstange durch die französische Besatzungszone. Bis heute erinnert der Steckenpferd Reiterverein aus dem Sonnenland daran.

Traditioneller Tribut

Streng genommen geht der Tribut auf die Gemarkung Reil zurück. Deren Schäfer waren es, die ihre Tiere auf den Heddesdorfer Wiesen weiden ließen. Nach dem dreißigjährigen Krieg hatte die Pest die Engerser Bevölkerung bis auf zehn Familien dahingerafft. Danach zogen die Reiler nach Engers. Die Stadtmauer versprach Schutz. Auf diese Weise ging der Brauch auf Engers über. Der verbriefte Tribut besteht eigentlich aus „2 Eierkuchen à 12 Eier, ein Viertel Liter Wein, Brot und Kühkäs“. Im Jahr 2016 fiel die Stärkung für die Pfingstreiter etwas anders aus. Die fünf Jungs auf den Pferden waren mächtig hungrig. Am Morgen hatten sie ihren traditionellen Pfingstritt abgehalten und waren danach durch das Feld nach Rommersdorf und Engers gezogen. Eingangs der Schlossstraße wurden die Pfingstreiter, die ehemaligen Heddesdorfer Burschen und die Maimädchen, jubelnd von den Engersern empfangen und bis zum Marktplatz geleitet. Im bunten Tross dabei: der weiße Schäfer (Jürgen Meurer) mit seinem Hund. Ist er nicht zugegen, ist die Tributzahlung nicht gültig. Die Pfingstreiter ihrerseits verkündeten dem Volk ihre Ankunft mit dem traditionellen Schlachtruf: ,,Hääh Pingsderäider“. Die Salbeilerchen spielten und sangen Lieder, die schon vor Jahrhunderten zur Unterhaltung dienten. Der Engerser Schultheiß, Bürgervereinsvorsitzender Bernd Wolff, hieß die Heddesdorfer Willkommen und überreichte dem Sieger des Pfingstrittes, Andreas Leufgen, ein Präsent. Anders als in den früheren Jahren keine Medaille, sondern eine Ortchronik mit Widmung. Die 3. und 4. Klassen der Kunostein Grundschule leisteten einen schönen musikalischen Beitrag. „Wir sind glücklich, dass sich die Schule auch unter der neuen Leitung von Silke Keck in das Brauchtum einbringt“, erklärte Bernd Wolff. Im Sachkundeunterricht hatten sich die Kinder in den letzten Wochen mit ihrer Heimat beschäftigt. Nach der Tributzahlung, die wieder einmal nicht ohne unterhaltsame Streitigkeiten über den Bühne lief, weil sich der Hofmann (Michael Schneider) und der Heddesdorfer Bursche (Gerd Bonenberger) um die Höhe stritten, war die große Frage, wer in diesem Jahr die Schandgeige für „üble Missetaten“ verpasst bekommt? Die Überraschung war groß, als der Schultheiß Sylvia Waldorf von der Bürgerwehr (Manfred Erben, Gottfried Brubach) abführen ließ. „Eine Frau in den besten Jahren will nicht mehr für die Belange unserer Bürger und Vereine einstehen und stattdessen nur noch ihren Mann betütteln und den Garten bestellen“, verlas der Schultheiß die Anklage. Der berufliche Rückzug schmerzt die Engerser deshalb so besonders, weil Sylvia Waldorf die Engerser Filiale der VR-Bank Neuwied leitete. Und ganz ohne finanzielle Unterstützung kommen auch die Ehrenamtler, egal ob aus Sport, Kunst, Kultur oder Karneval, bekanntlich nicht aus. Letztendlich überwog aber die Dankbarkeit für die vielen guten Jahre der Zusammenarbeit und so wurde das Urteil abgemildert. Statt Schandgeige werden die Engerser Sylvia Waldorf beim Glühweinausschank auf dem Weihnachtsmarkt wiedersehen.