Ein Literaturereignis der besonderen Art

Tatort: Vallendar

Tatort: Vallendar

Tatort: Vallendar

Tatort: Vallendar

Vallendar. „Wortweise“ ist eine Veranstaltungsreihe der Bildungsstätte Haus Wasserburg. Am letzten Samstag konnte der Leiter des Hauses, Pater Alexander Diensberg, einen ganz besonderen Gast in der Pallottikirche begrüßen: Joe Bausch, Gefängnisarzt und Rechtsmediziner im Kölner Tatort. Initiiert wurde die Lesung von Raimund Schui. Der Künstler und der Arzt kennen sich gut. Bausch war eingeladen, aus seinem Buch „Knast“ zu lesen.

„Ich bin der Hausarzt von Mördern, Totschlägern, Vergewaltigern, Kinderschändern, Erpressern, Betrügern und Dieben. Ich bin RAF-Terroristen begegnet, Wirtschaftskriminellen, Brandstiftern und Frauen, die ihr Baby umgebracht haben. Aber auch von vielen Eierdieben. Im Knast ist alles echt. Hier stehst du nicht mehr auf Brettern, die die Welt bedeuten. Hier stehst du knöcheltief in der Scheiße, bist konfrontiert mit einer Realität, die dir alles abverlangt“ (Zitat Klappentext „Knast“)

Sympathisch und entspannt steht der große Mann mit der Glatze und dem blonden Schnauzer vor den gut zweihundert Zuhörern. Bausch liest nicht, sondern erzählt lebendig mit einer erstaunlichen Mimik von seiner Arbeit, vom Knastalltag. Er arbeitet seit 1986 in der großen Vollzugsanstalt, eine der größten Deutschlands – neunhundert Insassen, davon etwa dreihundert Mörder und etwa einhundertfünfzig Sicherungsverwahrte. Bewacht und versorgt werden diese von vierhundertfünfzig Bediensteten.

Hermann-Joseph Bausch-Hölterhoff, wie er mit vollem Namen heißt, gibt durch sein Buch einen Blick frei in eine Welt, in die man sonst keinen Einblick hat. Welche Gesetze herrschen im Knast, was ist die Knastwährung, wie baut sich eine Hierachie unter den Gefangenen auf. Verbrecher ließen sich typisieren, so Bausch. Was unterscheidet im Knastalltag den Mörder vom Betrüger, den Kinderschänder vom Erpresser. Welche Rollen spielen Frauen in einem überwiegend von Männern belegten Gefängnis. Wie kommen Drogen und andere verbotene Dinge in das Gefängnis ?

„Zwei Sachen lernst du im Knast ganz schnell: Stehe immer mit dem Arsch an der Wand und lasse dir keine Lampe vormachen“, so der 63-Jährige. Übersetzt hieße das: Wende keinem den Rücken zu und lasse dich nicht hinter das Licht führen. Zu den äußeren harten Lebensumständen im Gefängnis kommt das Misstrauen untereinander, das förmlich spürbar in der Atmosphäre schwebt. „Die Kultur des Misstrauens herrscht im Knast“, so Bausch. Da heißt es, Informationen zu erhalten und weiterzugeben, Gerüchte zu verbreiten, um Vorteile zu erhalten.

Der Gefangene wird aller Selbstständigkeit enthoben, die Zeit spielt keine Rolle mehr. Wenn er von einer Abteilung in die andere muss, zur Arbeit oder zum Arzt, wird er gebracht und geholt, da gibt es feste Regeln. Wer nicht funktioniert im harten Knastalltag, muss mit noch härteren Sanktionen rechnen, vonseiten der Anstaltsleitung und von Mitgefangenen.

Das Leben im Gefängnis gehe allen, die sich dort aufhalten, an die Nieren und hinterlässt Spuren. Der leitende Regierungsmedizinaldirektor ist nicht nur der Arzt für die Gefangenen, sondern auch für die Bediensteten. Türen, Schlösser und Schlüssel sind die zentralen Funktionsstücke im Gefängnis. Ihn habe mal interessiert, wie oft ein Vollzugsbeamter in einer Schicht wie viele Schließvorgänge vollzieht, darum ließ er es mit eine Zähleinrichtung prüfen – heraus kam die unglaubliche Zahl in nur einer Arbeitsschicht von morgens halb sechs bis nachmittags halb zwei von 829 Schließvorgängen.

In Deutschland gibt es, so Bausch, 137 Justizvollzugsanstalten. Belegt sind diese mit etwa 80.000 Personen, nur fünftausend davon sind Frauen. Die JVA Werl ist mit Menschen aus siebenundvierzig Nationen belegt. Zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent der Insassen in Werl, so Bausch, seien drogenabhängig. Alle Betten, so der Arzt, die in der Psychiatrie abgeschafft würden, müssten später im Knast angeschafft werden. „Therapie statt Knast“ hieße seine Devise. Fünfundsiebzig Prozent aller Verbrechen würden von 7,5 Prozent der Personen der Gesellschaft begangen, die als Psychopathen gelten, also eine krankhafte Persönlichkeit haben. „Wir haben in unserer Gesellschaft eine Kultur des Wegsehens“, so Joe Bausch. Jeden Tag würden durchschnittlich einhundert Kinder von Amts wegen aus Familien, zumindest vorübergehend, wegen Gefährdung herausgenommen – jährlich insgesamt 36.000 Kinder. Hier hieße es, aufmerksam zu sein.

Mit langem Beifall dankten die Zuhörer für den Einblick in eine fremde Welt. Joe Bausch las ohne Honorar. Alle Einnahmen des Abends gehen an den Verein „Straßen der Welt e.V.“, der Kinder auf den Philippinen unterstützt. Der Verein wurde gegründet von Joe Bausch und seinen Tatortkollegen Dietmar Bär und Max Ballauf. Als Dank für seine Lesung schenkte Pater Alexander Dienstag dem Arzt und Schauspieler zwei Flaschen Kölsch und ein ganz besonderes Kölschglas mit der Aufschrift „Alles Pallotti“ - diese Aussage hat natürlich eine übertragbare Symbolaussage.