Ahrtal: Wie erleben traumatisierte Flüchtlinge die Flutkatastrophe?

Wenn es in Deutschland wie im Krieg aussieht

Wenn es in Deutschland wie im Krieg aussieht

Die Flutschäden erinnern an Zerstörungen aus Kriegsgebieten. Foto: ROB

Kreis Ahrweiler. Rund drei Viertel der in Deutschland lebenden Flüchtlinge aus den Ländern Syrien, Irak und Afghanistan sind durch Gewalterlebnisse traumatisiert. In den meisten Fällen mehrfach, so eine Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido) von 2018. Etwa 40 bis 50 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge entwickelten eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (Gäbel et al., 2006), welche sich dadurch kennzeichnet, dass Betroffene nach dem Erleben eines Traumas über einen langen Zeitraum gequält werden von sich aufdrängenden Bildern, Alpträumen und/oder Flashbacks. Meist werden sie unerwartet und unkontrolliert mit den Symptomen überflutet. Hinzu kommen eine überhöhte körperliche Erregung und eine Rückzugstendenz bzw. Vermeidungsverhalten. Ohne erfolgreiche Behandlung können die genannten Symptome jederzeit wiederkehren oder schlimmer werden. Ein solcher Wiederanstieg wird auch als Retraumatisierung bezeichnet. Das Furchtstrukturmodell (nach Foa und Kozak, 1986) erklärt diese anhaltend erhöhte Verletzlichkeit. Es beschreibt Furcht als eine Gedächtnisstruktur, welche nach dem Erleben eines traumatischen Ereignisses als Reaktion auf eine massive Bedrohung entsteht. In das Furchtnetzwerk sind neben dem traumatischen Ereignis verschiedene Elemente – wie Gedanken, körperliche Reaktionen (Schwitzen oder auch Herzschlag) und Gefühle (z.B. Ohnmacht und Hilflosigkeit) integriert. Das Furchtnetzwerk umfasst auch Fakten, die mit dem ursprünglichen Trauma nur leicht assoziiert sind, etwa das Parfum eines Gewalttäters. Je mehr Elemente die Furchtstruktur enthält, desto häufiger kann sie durch unterschiedliche Reize aktiviert werden. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die extrem hohe Bedrohung der Flutkatastrophe – eine Naturkatastrophe, die für viele Menschen intensive Gefühle von Angst und Unsicherheit ausgelöst hat und von vielen als traumatisierend erlebt wurde. Menschen, die bereits unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litten, gilt ein besonderes Augenmerk. Auch wenn die Flut zunächst eine vollkommen andere Situation als das ursprüngliche Trauma darstellt, so ist davon auszugehen, dass viele Anknüpfungspunkte mit der bereits im Gehirn entstandenen Furchtstruktur bestehen. Eine Retraumatisierung ist somit möglich. Caritas-Mitarbeiterin Hannah Knopp vom Fachdienst Migration – Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge: „In der Psychotherapie mit geflüchteten Menschen, welche die Flutkatastrophe miterlebt haben, konnte ich dies ebenfalls beobachten. Die meisten sind noch dabei, sich von ihrer Traumatisierung zu erholen, sind dabei, sich einen sicheren Aufenthalt zu erkämpfen, ein neues Leben aufzubauen und wurden durch die Flut erneut erschüttert. Ihr Unglück hört nicht auf. Auf einmal sieht es auch hier, in Deutschland, aus wie im Krieg. Auf einmal ist es auch hier nicht mehr sicher. Die Folge - die PTBS Symptomatik spitzte sich bei vielen zu. Alte Bilder und neue Bilder vermischten sich, das Gefühl der Unsicherheit, die körperliche Alarmbereitschaft stieg an, das Rückzugsverhalten wurde wieder mehr.“ Ein Klient, der zwar selbst nicht direkt von der Flut betroffen war, aber auch in Ahrweiler wohnte, verspürte den starken Wunsch beim Aufräumen zu helfen. Doch gleichzeitig löste das alles so starke Empfindungen bei ihm aus, dass er sich aufgrund seines extremen Überforderungserleben zurückzog, statt zu helfen. Menschen, die unter den Symptomen einer PTBS leiden, schützen sich auf ihre Weise. Rückzug und Vermeidungsverhalten sind normale Schutzreaktionen. Es ist eine Art Überlebensmechanismus, um sich keiner weiteren Gefahr auszusetzen und das Trauma nicht ständig wiedererleben zu müssen. Caritasverband Rhein-Mosel-Ahre.V