Kunstpavillon Burgbrohl zeigt Ausstellung mit Vorträgen im Rahmen der Reihe „Absurde Phänomene des Realen #3“

„Wo nichts zu sehen ist, fließt der Fluss“

„Wo nichts zu sehen ist, fließt der Fluss“

Die Idee zur Ausstellung basiert auf den Einsendungen von Marcel Crépon zum Weblog „rheinsein.de“ des Schriftstellers Stan Lafleur.privat

Burgbrohl. Von nah und fern kamen vor Kurzem viele Besucher nach Burgbrohl-Lützingen, um im ArtLab des Kunstpavillons Burgbrohl die Eröffnung der Ausstellung „Wo nichts zu sehen ist, fließt der Fluss“ mitzuerleben. Die Idee zur Ausstellung basiert auf den Einsendungen von Marcel Crépon zum Weblog „rheinsein.de“ des Schriftstellers Stan Lafleur.

Johannes Bell, Bürgermeister der VG Brohltal, sprach in seinem Grußwort die geografische Lage und die erdgeschichtlichen Besonderheiten der Region Brohltal in Bezug zum Rhein an und leitete geistreich und humorvoll über zu den einführenden kunsttheoretischen Worten von Rita Anna Tüpper.

Die Philosophin führte in die Hintergründe der präsentierten Texte, Objekte, Videoinstallationen und Fotografien des „Grenzforschers“ Marcel Crépons ein, der die Objekte und Geschichten quasi aus dem Strom des Wassers und aus dem Zeitstrom der Ereignisse um den Rhein herum „fischt“. Zunächst stellte sie fest, dass es ungewöhnlich sei, dass ein Künstler/Akteur, der noch gar nicht so bekannt ist, nicht zu seiner ersten Ausstellung persönlich anwesend ist. Und da Crépon nicht schwer erkrankt ist, wirft dies ein Schlaglicht auf die Prioritäten, die Crépon setzt: Es geht ihm, einfach gesagt, um die Erzählungen und nicht um den Erzähler.

Objekte sind

Elemente von Geschichten

Alle sichtbaren Objekte der Ausstellung sind Elemente von Geschichten, die nicht für sich allein stehen, sondern erst im Kontext ihrer Erzählung lebendig werden. Rita Anna Tüpper schlägt den Bogen von der Dokumenta 14 in Kassel als größte internationale Ausstellung der Gegenwartskunst zu Heraklid von Ephesus. Ein griechischer (vorsokratischer) Philosoph vor etwa 2.500 Jahren, der die Auffassung vertrat, dass sich die gesamte reale Welt in einem ständigen Prozess des Werdens und Wandels befinde, in dessen Verlauf auch scheinbare Gegensätze in einer größeren, dynamischen Einheit verbunden seien; damit stellte er sich völlig außerhalb aller damals anerkannten philosophischen Schulen.

„Panta rei", alles fließt, auf diese Formel brachte man später seine Gedankengänge – und dieses Prinzip lässt in sich keine gesicherten philosophischen Aussagen über die Wahrheit oder Wirklichkeit zu, da diese stets mit Worten etwas festhalten wollen, was sich aber nach Heraklid eben diesem Zugriff entzieht. Steht also Crépon mit einem Bein zwar im gegenwärtigen Kunstgeschehen, mit dem anderen jedoch in der mit Paradoxien spielenden Gedankenwelt Heraklids?

Witzig und weise

Den Titel der Ausstellung hat Crépon selbst gewählt und führt so über seine gedankliche Flussparadoxie sowohl an den konkreten Fluss, den Rhein, heran als auch an den digitalen Strom von rheinsein.de, dem Blog, dem man alle öffentlichen Äußerungen Crépons verdankt. Aus dem rheinsein.de -Datenpool entstehen literarische und künstlerische Derivate wie Bücher, Hörspiele, Lesungen oder – wie nun im Kunstpavillon Burgbrohl – eine Ausstellung.

Crépon stellt hier unter anderem einen Holzrahmen mit drei völlig gleich aussehenden Gläsern aus, das eine mit Rheinwasser von oberhalb des Rheinfalls von Schaffhausen, das zweite mit Wasser aus dem Moment des Fallens und ein weiteres mit Rheinwasser von unterhalb des Rheinfalls. Er behauptet, dergestalt Zeit verkaufen zu können – eine gleichermaßen witzige wie weise Anmerkung zur Vergänglichkeit, zur Unmöglichkeit, Zeitabläufe und Lebensströme zu erfassen und sichtbar machen zu können. Rita Anna Tüpper forderte die Besucher/Zuhörer dazu auf, sich treiben und den ganz eigenen Zugang nicht nehmen zu lassen.

Der Schriftsteller und Betreiber des Weblogs rheinsein.de Stan Lafleur ging in seinem Vortrag „Annäherung an Marcel Crépon“ auf die Hauptperson der Ausstellung im Kunstpavillon ein. Die auf den ersten Blick desorganisiert erscheinenden Beiträge korrespondieren perfekt mit Idee und Anlage des rheinsein-Projekts, das in ähnlicher Weise mit Chaos und Verdichtung arbeitet: Crépon, ein für rheinsein engagierter und investigativ arbeitender Beobachter, der in der Korrespondenz persönliche Rückfragen konsequent ignorierte. Jemand, dem Kommunikation offenbar vor allem dazu dient, Geschichten aus den Menschen herauszukitzeln.

Exponate ohne Absender

Die Ausstellungsstücke erreichten Lafleur in Verpackungen ohne Absender, was bemerkenswert ist, da Crépon sich in dieser Enthüllungsgesellschaft mit Geschick und leisem Witz die Würde der Privatheit bewahrt. Der Schriftsteller, neugierig, das Rätsel hinter der Person Crépons zu lüften, erläuterte seine akribische Basisrecherche. Bezüge aus der Ortsnamen- und Ahnenforschung von 870 n. Chr. bis heute wurden untersucht, um schließlich wieder auf die Vorliebe Crépons für seine Anonymität und die in der Ausstellung gezeigten Exponate und deren Hintergründe zurückzukommen.

Auffallend findet er das ständige Vorkommen von beziehungsweise die häufige Beschäftigung Crépons mit Eimern in Text und Bild sowie als Objekt. Wahrscheinlich bei keinem anderen Autor häufen sich in vergleichbarem Maße Gedanken, die das Gebilde eines Eimers beziehungsweise den Eimer an sich zum Ausgangspunkt nehmen.

Absurde Fundstücke

Exemplarisch für die Absurdität einiger seiner Fundstücke stehen die durchgekauten und zu Kugeln geformten Buchseiten, hinter denen eine lange Geschichte steckt: Es soll sich um besonders zähe Passagen aus dem Werk Martin Heideggers handeln. Hinter diesem wie allen anderen Exponaten stehen schräge, meist geistreiche und teilweise verwirrende Geschichten, die den ausgestellten Stücken nicht ohne Weiteres anzusehen sind. Auf rheinsein hat Marcel Crépon sie alle erzählt, in einem Buchunikat und natürlich im Internet können sie bei Interesse genau nachgelesen werden.

Die Ausstellung ist nach telefonischer Absprache zu besuchen: Tel. (0 26 36) 26 40 oder Mobil (01 75) 79 74 29 6.