Zwei zunächst glücklich verlaufene Emigrationen endeten tragisch

Zwei zunächst glücklich verlaufene Emigrationen endeten tragisch

Moritz u. Rosalia Fröhling – 1939 in Gemeinde Leopolsburg, Belgien, aufgenommen. Quelle: Franz G. Bell

Zwei zunächst glücklich verlaufene Emigrationen endeten tragisch

Julius, Herta u. Marcel Joseph. Foto: Jean Joseph, Brüssel

Thür/Walhorn. Als für das Thürer Jubiläumsbuch 2012 über das Leben der einst hier lebenden Juden recherchiert wurde, da war selbst in Gesprächen mit einigen Zeitzeugen über die Familie Fröhling noch nicht allzu viel bekannt. Im Archiv der VG Mendig waren auch nur einige Vermerke zu dem in der Hagelstraße angesiedelten Metzger vorhanden. Man musste annehmen, dass Moritz F. zunächst noch die nationalistischen Repressalien gegen die Juden nicht so recht als Bedrohung eingeschätzt hatte, denn noch 1937 nahm er in seinem Betrieb bauliche Veränderungen vor. Doch nach den Pogromen im Nov. 1938 schien es ihm selbst in ihrem ansonsten überschaubaren Dorf persönlich nicht mehr sicher zu sein. Zunächst wurde ihm ein Antrag auf Ausreise wegen Bedenken der Gestapo abgelehnt. Doch dann gelang ihm die Emigration nach Belgien, wo er sich in Astenet, nahe der deutschen Grenze, niedergelassen haben soll. In Thür war damals aber auch bekannt, dass die Familie in späteren Jahren deportiert und getötet worden ist.

Neuere Erkenntnisse

Am 5.11.2022 erschien in der Rhein-Zeitung ein Artikel über eine Stolpersteinverlegung im belgischen Walhorn. Bei der Vielzahl solcher Verlegungen in Deutschland stellte dies allein zunächst mal nichts Besonderes dar. Doch, als man beim Lesen auf die Namen ehemaliger Thürer Juden stieß, wurde dies ein unerwarteter, möglicher Ansatz zur Fortschreibung des 2012er Berichtes. In dem erwähnten Zeitungsartikel waren auch die Veranlasser der Stolpersteinverlegung, Frau M. Kelleter und Herr N. Cormann, aufgeführt, so dass eine Kontaktaufnahme in die Wege geleitet werden konnte. Es hatte sich herausgestellt, dass starke Überschwemmungen im Sommer 2021 auch in der Stadt Vervier der Anlass waren, Akten zu evakuieren. Dabei wurden im dortigen Justizpalast umfangreiche Unterlagen u. a. auch über die ehemaligen Thürer Juden gefunden, die bisher unbekannte Fakten zu deren Schicksal nach der Emigration aus dem Deutschen Reich enthielten. Es erfolgte eine intensive Auswertung der gefundenen Akten durch die beiden Regionalhistoriker.

Familie Herta Joseph

geb. Fröhling

Herta Fröhling, geb. 1912 in Thür, wohnte im hessischen Hohensolms, nachdem sie Julius Joseph, geb. 1906, ebenfalls jüdischen Glaubens, dort geheiratet hatte. Schon 1934 bemühte sich das Ehepaar um Reisepässe und zog im Juni 1937 mit einem Drei-Monats-Visum in die Gemeinde Walhorn, Belgien. Hier erwarben sie ein schönes Anwesen, betrieben dort offenbar erfolgreich Landwirtschaft und einen Viehhandel. 1938 wurde ihr erstes Kind Marcel geboren. Als 1939 Moritz und Rosalia aus Thür ebenfalls nach Belgien emigrierten, verbürgten sie sich die Tochter und Schwiegersohn, die Eltern in ihrem neuen Zuhause aufzunehmen und versicherten, dass diese nicht der Gemeinde zur Last fallen würden.

Julius Joseph geriet 1940 kurzfristig unter Spionageverdacht, so dass er für einige Tage im Gefängnis Lüttich verbrachte. 1941 wurde er von der Gemeinde abgemeldet, nachdem er in das Arbeitslager Walheim bei Stolberg eingeliefert worden war. Im Juni 1942 erfolgte die Deportation nach Majdanek/Sobibor. Am 30.6.1942 überstellte man Julius vom KZ Lublin nach Auschwitz, wo er die Gefangenen-Nr. 43922 zugeteilt bekam. Die Ehefrau Herta Joseph verblieb zunächst in Walhorn. Herta soll aber 1941 oder 1942 noch ein zweites Kind zur Welt gebracht haben, welches sie „Sohn“ nannten, aber aus welchem Grunde auch immer, nicht beim Standesamt angemeldet wurde. Später wurde auch Herta J. deportiert.

Moritz und Rosalia Fröhling, geb. Meyer

Im Juni 1939 melden sich die Fröhlings bei der Amtsverwaltung Mendig ab, welche ihnen auch ihre bisherige Thürer Wohnanschrift und gleichzeitig ein bis dahin straffreies Leben bescheinigten. Sicherlich war die Tatsache, dass die Tochter und der Schwiegersohn bereits in Belgien wohnten, auch für Moritz und Ehefrau das Argument, für ihre Emigration ebenfalls das Nachbarland zu wählen. Ende Juni kamen Moritz und seine Frau Rosalia in der Limburgischen Gemeinde Leopoldsburg, Belgien, zur Anmeldung. Doch, da Moritz und Frau hier kein nachweisbares Einkommen deklarieren konnten, wurden sie von der Verwaltung aufgefordert, die Gemeinde zu verlassen. Welch ein Einschnitt: in Thür galt Moritz F. vor seiner Emigration als wohlhabend, denn, so Zeitzeugen, er sei der Erste gewesen, der in Thür ein eigenes Auto besaß.

Doch, wie erwähnt, wurden beide von der Tochter und Schwiegersohn in deren Heim aufgenommen. Hier konnten die Fröhlings noch ein paar Jahre leben, ehe sie dann laut belgischen Zeugen im März 1942 an einem Sonntag aufgegriffen und zum Sammelpunkt nach Aachen, Westpark, gefahren wurden. Ob beide in das Ghetto Litzmannstadt/Lodz eingeliefert wurden, ist nicht bekannt. Aber die Ehefrau Rosalia war mit Sicherheit in diesem Lager, denn eine Karte von dort erreichte die in Belgien noch verbliebene Tochter Herta, in der Rosalia mitteilte, dass sie wie wohl viele andere auch an Kälte und Hunger sterben würden. Rosalia lebte offenbar noch einige Zeit hier, denn eine 2. Karte erreichte die Tochter Herta auch noch zwei Monate später erneut.

Bemerkenswert sind die Aktionen zur Erinnerung im belgischen Walhorn, wo man für eigene und aus Deutschland emigrierte, ehemalige jüdische Mitbürger etliche Stolpersteine setzen ließ. So findet man dort u. a. sechs Steine vor, zwei mit dem Namen der Thürer Fröhlings, vier mit den Daten der Familie Fröhling-Joseph. Doch damit ließen es die Walhorner Akteure nicht bewenden: man wandte sich an die Ortsgemeinde Thür, besuchte diese im Januar 2023, tauschte Erkenntnisse aus und besichtigte, was auch hier - in der ursprünglichen Heimat der Fröhlings – zur Mahnung und Erinnerung errichtet wurde. Blick-aktuell berichtete im Januar d. J. von dem Besuch der Belgier in Thür.

Franz G. Bell