Die städtische Kostenberechnung von 1904 klingt heute wie eine „Milchmädchenrechnung“

Alleinstehende alte Menschenkonnten einst im Invalidenhaus wohnen

Alleinstehende alte Menschen
konnten einst im Invalidenhaus wohnen

Das Alten- oder Invalidenheim Marienhaus zwischen Stehbach und Habsburgring. GAV Mayen

Mayen. In Deutschland sind derzeit circa vier Millionen Menschen auf Pflege angewiesen, die teils in Pflegeheimen untergebracht sind, überwiegend jedoch in familiärer Umgebung betreut werden. Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen wird allen Voraussagen zufolge in unserem Land noch rapide ansteigen, was die Gesellschaft eklatant herausfordern dürfte. Die Bundesregierung reformiert derzeit die bisherigen Regelungen zum Pflegegesetz mit seinen entsprechend kostenintensiven Pflegestufen. Der verstorbene Journalist Frank Schirrmacher unterstellte provokativ in seinem Buch „Das Methusalem-Komplott“, dass „…das Altern, ökonomisch betrachtet, eine Verschwendung, als ein Verbrauch von Ressourcen zu betrachten sei und wer nicht rechtzeitig abtreten will, als ein Verschwender gilt.“ Er kam zu dem Schluss, „…wo das Altern nicht mehr im Interesse der Gesellschaft ist – und so ist es bei uns -, ist es auch die verlängerte Lebenserwartung nicht.“

Pflegeheime waren unbekannt

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Pflegeheime mit ihren umfänglichen Möglichkeiten zur Versorgung und Betreuung der alten Menschen im heutigen Sinne unbekannt. Wurde jemand alt und pflegebedürftig, so war es selbstverständlich, dass die betroffene Person zuhause im Kreise der Familie, wo meist drei Generationen unter einem Dach wohnten, umsorgt wurde. Und dennoch gab es alleinstehende Menschen, die sich nicht mehr selbst vorstehen konnten. In Mayen gab es zunehmend die Möglichkeit einer Aufnahme im Marien-Haus; insbesondere nach der Fertigstellung des Wilhelm-Auguste-Viktoria-Krankenhauses 1906 in der Siegfriedstraße. Das Marien-Haus stand bis in die 1960er Jahre auf dem Anwesen des heutigen Pfarrheims und des Kindergartens St. Clemens. Der Mayener Ehrenbürger Mario Adorf beschreibt in seinem Buch der „Mäusetöter“ seinen Kindheitsaufenthalt in diesem Haus der Borromäerinnen: „…Später musste meine Mutter mich zeitweise im Marienhaus, dem sogenannten Spitälchen, unterbringen. Dieses düstere Basaltsteingebäude beherbergt ein Altersheim und ein Waisenhaus.“

Die Unterhaltungskosten dieses Altenheimes war auch unter den damaligen Verhältnissen natürlich ein erheblicher Kostenfaktor. Doch wenn man sich die Berechnungen des Bürgermeisters Grennebach aus dem Jahre 1904 vergegenwärtigt, dann kommen einem diese wie eine „Milchmädchenrechnung“ vor.

Täglicher Pflegesatz

von 1,20 Mark

Die entsprechende Veröffentlichung in der Mayener Lokalpresse vom 18. Januar 1904: „Bekanntmachung. – Nach § 3, Abs. 2 der Satzungen der Landes-Versicherungsanstalt Rheinprovinz – Nachtrag II – kann der Vorstand Invaliden- oder Altersrenten-Empfängern auf ihren Antrag an Stelle der Rente Aufnahme in ein Invalidenhaus oder in ähnliche von Dritten unterhaltene Anstalten auf Kosten der Versicherungsanstalt gewähren.

Mit Rücksicht auf die große Zahl von Rentenempfängern, die sich zur Invalidenhauspflege bereit erklärt haben, kann die Landesversicherungsanstalt nicht die ganzen nach Abzug der Rente noch zu zahlenden Pflegekosten übernehmen, es soll vielmehr nach einem Beschlusse des Ausschusses wenigstens die Hälfte des Betrages, um welchen der durchschnittliche Jahrespflegesatz die abzutretende Rente übersteigt, von den Rentenempfänger selbst oder von einem Dritten aufgebracht werden.

(…) Bei Zugrundelegung des in Aussicht genommenen Pflegesatzes von 1,20 Mark täglich, würde also der von dem Dritten zu leistende Zuschuss jährlich im höchsten Falle 158,40 Mark, also täglich 44 Pfennig betragen können. Tatsächlich aber wird regelmäßig der zu leistende Zuschuss weit geringer sein, da der Rentenbetrag durchschnittlich sich auf 150 Mark jährlich oder 42 Pfennig täglich beläuft. In der Regel wird demnach der von dem Dritten aufzubringende Betrag die Summe von 140 Mark jährlich, 39 Pfennig täglich, nicht übersteigen.

Die Unterbringung wird nach Konfession und Geschlecht getrennt erfolgen. Der Austritt aus dem Invalidenhaus ist jederzeit gestattet, der Aufgenommene ist aber auf ein Vierteljahr, und wenn er seinen Austritt nicht einen Monat vor Ablauf eines Kalendervierteljahrs erklärt, jedes Mal auf ein weiteres Kalendervierteljahr an den Verzicht auf die Rente gebunden.

Rentenempfänger, welche die Unterbringung in einem Invalidenhaus unter den vorstehenden Bedingungen wünschen, werden aufgefordert, sich im Rathaus hierselbst zu melden.

Mayen, den 9. Januar 1904. Der Bürgermeister, gez. Grennebach“

Demnach leistete der Betreffende 0,42 Mark mit seiner Rentenabtretung, 0,39 Mark die Landesversicherungsanstalt, der Rest von 0,39 Mark war von Dritten aufzubringen, um den täglichen Pflegesatz von 1,20 Mark zu begleichen. Franz G. Bell