Initiative „Erinnern“ gedachte mit Filmnacht der Reichspogrome
Als die Synagogen brannten, war auch Andernach dabei
Andernach. Gemeinsames Glockengeläut von Andernacher Kirchtürmen an einem Freitagabend? Das ökumenische Mahnläuten der evangelischen und katholischen Gemeinden sollte aufmerksam machen auf ein Jubiläum der dunklen Art. Vor 80 Jahren organisierten und lenkten Nationalsozialisten Novemberpogrome, die den Übergang markierten von der Diskriminierung der Juden im gesamten deutschen Machtbereich hin zur systematischen Verfolgung und der Vernichtung von rund sechs Millionen jüdischer Menschen. Im Gedenken an die Reichspogromnacht, auch „Kristallnacht“ genannt, vom 9. auf den 10. November 1938, hatte die Andernacher Initiative „Erinnern“ zur langen Filmnacht „Als die Synagogen brannten“ in die Christuskirche eingeladen.
Eine Zeitreise in die Abgründe deutscher Geschichte
Pfarrer Andreas Horn von der Initiative, „Erinnern“, die sich vor Jahren aus Vertretern Andernacher Kirchen und Schulen, des Historischen Vereins, des Freundschaftskreises Dimona-Andernach, der Christlich-jüdischen Gesellschaft für Brüderlichkeit, der Rhein-Mosel-Fach-Klinik sowie des städtischen Kulturamts gebildet hat, begrüßte die über 100 Interessierten. Die Bürgerinnen und Bürger wollten sich „erinnern“ und miteinander die berührenden und aufrüttelnden Eindrücke aus drei Filmwerken teilen.
Nur 14 Minuten reichten dem mehrfach ausgezeichneten deutschen Kurzfilm „Spielzeugland“, um die Herzen der Zuschauer zu erreichen. Der Streifen spielt 1942 im nationalsozialistischen Deutschen Reich und erzählt die erschütternde Geschichte der beiden Kinder und musikalischen „Blutsbrüder“ Heinrich Meißner und David Silberstein: Als David und seinen Eltern als Juden die Deportation droht, erzählt Heinrichs Mutter Marianne ihrem Sohn, sein Freund verreise mit seiner Familie ins Spielzeugland. Heinrich möchte seinem Freund dorthin folgen und packt heimlich seinen kleinen Koffer. Als die Mutter das Verschwinden ihres Sohnes bemerkt, sucht sie den Bahnhof auf, an dem die Juden bereits in Waggons auf ihren Abtransport warten. Heinrich ist nicht unter ihnen, wohl aber der Nachbarsjunge David mit seinen Eltern. Marianne gibt ihn als ihren eigenen Sohn aus. Nach kurzem Zögern übergeben die Eltern ihr den Jungen und retten ihm auf diese Weise vermutlich das Leben. In der Abschlussszene erlebt man die Jungs noch im hohen Alter beim Musizieren. Nach einer kurzen Pause folgte eine informative und zugleich erschütternde Dokumentation des NDR. In „Als die Synagogen brannten“ zeigte Autor und Regisseur Michael Kloft kaum bekanntes Material und Fotos zu den Novemberpogromen in 1938. Zeitzeugen berichteten zudem über das Erlebte. Das Drehbuch des sich anschließenden französisch-britischen Kriegsdramas „Sarahs Schlüssel“ beruht auf dem gleichnamigen Roman der Schriftstellerin und Journalistin Tatiana de Rosnay. Seine Handlung wechselt zwischen 1942 (Schicksal der Juden in dem von Deutschland besetzten Frankreich) und dem Jahr 2009. Das bewegende und ausdruckstarke Drama schildert das Schicksal der zehn Jahre alten Sarah, ihrer Familie und ihrer Freundin. Im zweiten Handlungsstrang erhielten die Zuschauer Einblick in die Recherchen einer US-amerikanischen Journalistin bei Sarahs Nachfahren.
Auch in der Bäckerjungenstadt schlugen die Flammen hoch
Von den grauenhaften Geschehnissen blieb damals auch das beschauliche Andernach nicht verschont. Die schicksalhafte Geschichte jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die in dem mittelrheinischen Städtchen bis ins Mittelalter zurückreicht, setzte sich in der Zeit des Nationalsozialsozialismus abscheulich fort. 1933 lebten 135 jüdische Mitbürger in der Stadt. Es war das Jahr der Einweihung ihrer Synagoge in der Moltkestraße / Ecke Güntherstraße. Nur gut fünf Jahre stand dort das Zentrum jüdischer Frömmigkeit und Begegnung. In der Pogromnacht 1939 wurde das Gebäude durch SA-Leute niedergebrannt. Damals lebten noch 34 jüdische Personen in der Stadt, 1941 nur noch 14. Die Letzten von ihnen wurden 1942 deportiert. Am ehemaligen Standort der Synagoge steht heute ein Wohnhaus. Eine Gedenktafel erinnert hier an die Schrecken der damaligen Zeit und „Stolpersteine“ in den Straßen der Altstadt lassen die Namen von Opfern aufleben. Die Tage der Reichpogrome sind für Deutschland Tage der Schande. Sie waren der Auftakt zu einem Menschheitsverbrechen, das niemals vergessen werden darf. Das Geschehene muss immer eine Mahnung bleiben, rechtzeitig antisemitische und rassistische Signale zu erkennen, den Anfängen zu wehren und dagegen aufzustehen.