Bürgerentscheid in Neuwied

Neuwieder wollen keinen zusätzlichen Beigeordneten

Neuwieder wollen keinen zusätzlichen Beigeordneten

Großer Jubel bei den Oppositionsparteien als die notwendige Anzahl von „Ja“ Stimmen erreicht ist.FF

Neuwied.9.856 Stimmen (91,08%) hätte es bedurft. Am Ende stimmten 10.416 Bürgerinnen und Bürger mit „Ja“ auf die Frage, ob die Hauptsatzung geändert und das Einsetzen einer/eines zusätzlichen Beigeordneten rückgängig gemacht werden soll? Nur 1.050 Wahlberechtigte (8,92%) sprachen sich für die zusätzliche Kraft im Stadtvorstand aus. Damit ging der Bürgerentscheid zugunsten von Grünen, Linken, AfD, FWG und der Etscheid/Kessler Fraktion aus. Was nun an diesem Mittwoch bei der Stadtratssitzung geschieht, ist offen. Kalt erwischt zeigten sich die Fraktionsvorsitzenden Martin Hahn (CDU) und Sven Lefkowitz (SPD). „Wir haben keinen Plan B“, sagte Martin Hahn. Nun werde erst mal innerhalb der Partei über die neue Situation beraten. Bei der SPD finden diese Beratungen in der Stadtratsfraktion und dem Stadtverband am Tag vor der Ratssitzung statt. Die spannende Frage ist, ob einer der Koalitionäre seinen Kandidaten zurück zieht? „Die Beigeordneten Wahl könnte verschoben werden“, sagte Martin Hahn. „Wir müssen nichts über das Knie brechen“, äußerte sich Sven Lefkowitz ähnlich. Beide standen den Medien am Wahlabend im Rathaus zur Verfügung. Die Stimmung der beiden war dem Ergebnis entsprechend gedämpft, was sie aber nicht davon abhielt, den Kollegen der Opposition fair zum Erfolg zu gratulieren. Mit 23,96% war die Wahlbeteiligung ordentlich und die notwendige Anzahl der „Ja“ Stimmen komfortabel überschritten. „Klar sind wir nicht erfreut“, zeigte sich Martin Hahn im Pressegespräch zerknirscht. Die CDU habe darauf gesetzt, dass die notwendige Mindeststimmenzahl nicht zustande kommt, sprich das nicht genügend Menschen zur Wahl gehen. Diese Spekulation ging nur in der Innenstadt auf. In allen Stadtteilen nicht. Selbst in der CDU - Hochburg Heimbach-Weis nicht. „Das war nicht zu erwarten“, kommentierte Sven Lefkowitz die Wahlbeteiligung. Nicht das Votum. Es sei klar gewesen, dass bei ausreichender Beteiligung der Bürgerentscheid zugunsten der Opposition ausgeht. Auf die Frage, ob die Koalitionäre vielleicht zu wenig für ihre Position geworben hatten, meinte der SPD Chef. „Es ist ein schweres, erklärungsintensives Thema für einen Bürgerentscheid“. Bei detaillierter Darlegung der Situation wäre er im Vorfeld der Wahlen häufig auf Verständnis gestoßen. Abschließend bedauerte Sven Lefkowitz, dass die Sacharbeit unter den Fraktionen durch die Situation gelitten habe. Er sei gespannt, wie in Zukunft bei strittigen Themen miteinander umgegangen wird? An der Zusammenarbeit von SPD und CDU, also der großen Koalition, ändert der Ausgang des Bürgerbescheids nichts. „Die Groko steht“, unterstreicht Martin Hahn. Während CDU und SPD dem Wahlausgang intern entgegen fieberten und erst nach dem Wahlausgang in Erscheinung traten, versammelte sich die Opposition im Raiffeisen Saal im sechsten Stock des Rathauses. Bei der Auszählung der Hälfte der Stimmbezirke zeigten sich die Vertreter von AfD, Linken und FWG zuversichtlich. Beim 45. Wahlbezirk von insgesamt 54 ballten die Fraktionsvorsitzenden Karl-Josef Heinrichs und Dr. Jan Bollinger die Fäuste, um sie nur vier Wahlbezirke später in die Luft zu strecken. Die Anzahl der „Ja“ Stimmen war vorzeitig erreicht.

„Der Bürger hat gesiegt“

„Der Bürger hat gesiegt“, kommentierte Karl Josef Heinrichs (FWG) das Ergebnis. So zufrieden sei er lange nicht gewesen, was sicherlich mit dem Abschneiden der FWG bei den Kommunalwahlen zu tun hat. Er zeigte sich froh darüber, dass es gelungen sei, die Bürgerinnen und Bürger im Vorfeld zu motivieren. Die CDU sei mit ihrer Strategie gescheitert, dass nicht genügend Menschen zur Wahl gehen. Die SPD habe hingegen die Debatte befeuert, als sie Populismus und den Bürgerentschied zusammen brachte. „Die SPD hat wohl Populismus mit Bürgerwunsch verwechselt. Jetzt ist das Korrektiv da“, freute sich Dr. Jan Bollinger (AfD) überschwänglich. „Wir sind glücklich und dankbar darüber, dass die Neuwieder Bürgerinnen und Bürger Verantwortung übernommen haben“, sagte Regine Wilke. Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen ist hoffnungsvoll in den Wahlabend gestartet. Anlass dazu gaben ihr die vielen Rückmeldungen aus der Bevölkerung. Die Rückmeldungen aus der Bevölkerung waren es auch, die der Etscheid/Keßler Fraktion Auftrieb gaben. „Wir können das Grokodil jetzt wieder in den Zoo bringen“, lachte Dr. Jutta Etscheid. Das Grokodil war nur eine Aktion, mit der sie an die Öffentlichkeit trat. Wurfzettel seien persönlich abgegeben worden, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. „Das zeigt, dass auch die vermeintlich schwächeren gemeinsam etwas erreichen können“, so Dr. Jutta Etscheid. Geht es nach ihr, muss dies nicht der letzte Bürgerentscheid gewesen sein. Die Wahlbeteiligung hätte ihrer Ansicht nach höher sein können. Aber mit der Gewohnheit könne man langfristig mehr Menschen motivieren, sagte sie mit Hinweis auf die Schweiz. Sofern ihr die Koalitionäre die Entscheidung nicht vereinfachen, weiß sie noch nicht für wen ihre Fraktion stimmen wird? Ähnlich äußerten sich auch die Kollegen, weil sie noch keine Gelegenheit hatten, die Kandidatin der CDU, Simone Klein, persönlich kennenzulernen. SPD Kandidat Michael Mang ist den meisten als langjähriger Ratskollege bekannt.

In Oberbürgermeister Nikolaus Roths Brust schlugen zwei Herzen. Zum einen war er sichtlich enttäuscht darüber, dass der Stadtvorstand nicht vergrößert wird. Zum anderen freute ihn aber das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an der Politik. „Bürgerbeteiligung in jedweder Form wird in Zukunft immer wichtiger“, kündigt Nikolaus Roth an. Wie die erhebliche Belastung des nur dreiköpfigen Stadtvorstands nach dem Ausgang des Bürgerentscheids nun abgebaut werden kann, weiß er noch nicht. Zumal ja auch die politische Besetzung des Beigeordneten gewünscht war. In der Verwaltung gebe es jedenfalls keine Potentiale und freien Kapazitäten. -FF-