Neuwieder Chamäleon-Schauspieler mit toller Darstellung zu nahezu unerträglichem Inhalt

Nihilistischen Schocker aufgeführt

Nihilistischen Schocker aufgeführt

Auch die geliebten Sandalen mussten dem Berg der Bedeutung geopfert werden.HEP

Nihilistischen Schocker aufgeführt

Kein Happy End beim Inhalt - aber für Schauspieler und Regisseur Oliver Grabus, der frenetischen Beifall der Zuschauer bekam.

Neuwied. Der Inhalt geht unter die Haut, nein tiefer, ganz tief, sodass es fast unerträglich wird und mancher überlegt, ob er die Vorstellung nicht verlassen sollte. Das macht aber niemand angesichts der glänzenden Darstellungen der Chamäleon-Schauspieler. Die führten in der stets ausverkauften Werkstattbühne des Schlosstheaters den nihilistischen (lat. nihil: nichts) Schocker „Nichts, was im Leben wichtig ist“ der dänischen Autorin Janne Teller auf. Der Inhalt ist so schlimm und fast menschenverachtend, dass das Stück in Westnorwegen und anderen Ländern verboten ist. Dass die jungen Laienschauspieler des Neuwieder Kultur- und Theatervereins Chamäleon unter der Regie von Oliver Grabus einen solch schockierenden Inhalt fantastisch rüberbringen konnten, ist mehr als verwunderlich. „Nichts bedeutet irgendetwas“, behauptet Pierre Anthon (Felix Schwarzrock) „Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun.“ Danach verlässt er den Klassenraum, schwingt sich in einen Pflaumenbaum und sitzt von nun an jeden Tag im Geäst und wiederholt seine nihilistische Behauptung mit immer neuen Worten: „Da das Leben nichts bedeutet, hat auch der Tod keine Bedeutung.“ Eigentlich verrückt, doch bei seinen Mitschülern und Mitschülerinnen hat er mit seinen Aussagen einen empfindlichen Nerv getroffen und zwingt sie so zum Handeln. Die Frage nach Zukunft, Lebensweg, Wünschen, Träumen und dem Erwachsenwerden scheint sich bei den 14/15-jährigen Mädchen und Jungen in einem einzigen Plan zu manifestieren: Pierre Anthon zu zeigen, dass es sehr wohl etwas gibt, das Bedeutung hat. So müssen Dinge, die für ihn äußerst wichtig sind, auf den großen Berg der Bedeutung geworfen werden, alles natürlich geheim in einem stillgelegten Sägewerk. Da werden unter anderem Sandalen, Lieblingsbuch, Goldhamster, Gitarre und Fahrrad dem Berg geopfert. Schließlich eskaliert die Situation ins fast Unerträgliche: Denn je schmerzhafter das eigene Opfer empfunden wurde, desto mehr wird beim Opfer des nächsten verlangt, wobei man sich mit der Erklärung begnügt, dass ein besonders schmerzhaftes Opfer auch besonders bedeutend sei. So muss der strenggläubige Muslim Hussein (Dominik Räk) seinen Gebetsteppich opfern, der fromme Kai (Steven Busch) das Kruzifix aus der Kirche, Elise (Luna Meyer Fredrich) den Sarg (mit Inhalt) ihres kürzlich verstorbenen jüngeren Bruders. Dann musste Sofie (Hannah Bonikowski) ihre Unschuld hergeben, die ihr entrissen wurde, Rosa (Alicia Busch) das Leben der herrenlosen Hündin Aschenputtel, die sich der Gruppe angeschlossen hat. Der abgetrennte Kopf des Tieres kam dann auf den Berg. Zum Schluss wurde Jan-Johan (Noah Kutscher), der Beatles-Songs ausgezeichnet auf der Gitarre spielt, sein rechter Zeigefinger abgeschnitten. Schließlich verrät Jan-Johan, wie er angedroht hat, das Projekt. Polizei und Öffentlichkeit werden aufmerksam, was zu einem weltweiten Medienrummel um den Berg und in der dänischen Kleinstadt führt. Schließlich kauft ein amerikanisches Museum den zum Kunstwerk avancierten Berg der Bedeutung für mehrere Millionen Dollar. Die Schüler sind zunächst beruhigt darüber, dass nun zumindest die materiellen Schäden ersetzt werden können.

Pierre Anthon zeigt sich von all dem unbeeindruckt. Den schnell wieder abgeflauten Medienrummel sieht er als Beweis der Bedeutungslosigkeit an. Als die Schüler erkennen müssen, dass ihre Opfer vergebens waren und der Berg letztendlich keine absolute Bedeutung trägt, geraten sie aus Wut darüber in handgreiflichen Streit und verprügeln im Sägewerk Pierre Anthon bis er, grausam zugerichtet, leblos am Boden liegt. Nachts brennt das Sägewerk mit dem „Berg der Bedeutung“ und Pierre Anthons Körper vollständig nieder. Es sind keine Überraschungen, dass die Schüler letztendlich für immer entzweit sind und es auch kein Happy End gibt. Überraschend war jedoch, mit welchem großem Engagement und Enthusiasmus sich die Chamäleon-Gruppe in dieses  schwierige Stück einarbeitete. Zu Schauspielern gehörten auch: Anna Rudolph (Henriette), Jamila Boukhers (Anisa), Marouan Dillenberger (Hans), Jasmin Becker (Marie-Ursula). Tabea Riba (Agnes) und Lisa-Marie Schroth (Gerda). Ferner arbeiteten im Hintergrund: Monika Öttl-Pabst (Co-Regie), Claudia Lichtwardt (Körperarbeit), Michael Strubel, Michael Grabus (Technik/Licht), Miriam Busch, Jasmin Becker, Theresa Erlemann (Maske), Tanja Simon (Hundetraining) sowie Theresa Erlemann, Jasmin Becker und Felix Schwarzrock (Regie-Assistenz).