Steuererhöhung dient der Konsolidierung des städtischen Haushalts

Bis zu 45 Prozent: Erschreckennach den Grundsteuerbescheiden

Bis zu 45 Prozent: Erschrecken
nach den Grundsteuerbescheiden

Grundsteuer: Die Grundsteuererhöhung müssen Gewerbetreibende, private Grundstückbesitzer und Mieter (über die Nebenkostenumlage) tragen.Fotos: FF

Bis zu 45 Prozent: Erschrecken
nach den Grundsteuerbescheiden

Bis zu 45 Prozent mehr Grundsteuer müssen Bürger, in diesem Fall für 600qm, zahlen. Mit 610 Prozent Hebesatz liegt Neuwied an der Spitze von Rheinland-Pfalz.

Neuwied.Im Dezember 2020 hatte die Mehrheitskoalition (CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FWG) im Stadtrat die Erhöhung der Grundsteuer B beschlossen. Vergangene Woche stellte die Stadtverwaltung den Neuwiedern die Bescheide für 2021 zu. Seitdem verschaffen sich unzählige Bürgerinnen und Bürger in den sozialen Netzwerken Luft. Angesichts einer Erhöhung von bis zu 45 Prozent ist die Wut bei vielen groß. „Frechheit und Unverschämtheit“ sind noch eher die höflichen unter den über dreihundert Kommentaren in den verschiedenen Foren. Hintergrund der massiven Erhöhung des Hebesatzes, dem höchsten in ganz Rheinland-Pfalz von 420 Prozent auf 620 Prozent ist eine Abmachung mit der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) in Trier. Im Gegenzug für die Erhöhung der Einnahmen genehmigt die ADD den chronisch defizitären Haushalt und akzeptiert neue Investitionen der Stadt in den Bereichen Kindertagesstätten, Sporthallen, Grundschulen und den Ausbau von Gewerbegebieten. Bürgermeister Ralf Seemann (Bündnis 90/Die Grünen) sowie die Sprecher von CDU, Grünen und FWG bezeichneten die Investitionen als Schritt zur Attraktivierung der Stadt. Und letztendlich würden Neuansiedlungen zu höheren Steuereinnahmen führen. Genau das sehen viele Bürger und Geschäftsleute ganz anders. Axel Wöckner (Schuhhaus Wöckner) verweist auf die Konkurrenz im Gewerbegebiet Mülheim Kärlich. Dort liege der Hebesatz seiner Mitbewerber bei lediglich 366 Prozent. Der Geschäftsmann verweist auf die Stadt Langenfeld die mit einer Senkung der Steuer für neue Bürger und Geschäftsleute attraktiver wird. In der Debatte im Stadtrat hatte die Opposition ausdrücklich davor gewarnt, die Grundsteuer ausgerechnet in der Corona Krise, die zahlreichen Geschäftsleuten aber auch Privatleuten finanziell große Sorgen bereitet, zu erhöhen. Das wird in den Kommentaren nun von etlichen Bürgern bestätigt, die auf ihre Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit hinweisen.

„Widerspruch einlegen“

Brigitte Kosmetik aus Heddesdorf ruft die Neuwieder dazu auf, Widerspruch einzulegen. „Wir sind nicht mehr allein und müssen auch nicht alles schlucken, was uns vorgesetzt wird“ schimpft die Gewerbetreibende. Der Bürgerbeauftragte des Landes sei bereits um Unterstützung gebeten worden. Für ihr Posting bei „Du bist Neuwied“ bekommt die Bürgerin viel Unterstützung. Auch von Privatleuten, denn von der Grundsteuer Erhöhung sind alle Bewohner betroffen. Selbst Mieter müssen damit rechnen, dass die Vermieter die gestiegenen Kosten über die Nebenkosten weitergeben. Vereinzelt gibt es Kommentare, in denen die Verfasser eine Erhöhung vom Grundsatz her nachvollziehen, wenn im Gegenzug in der Stadt investiert wird. Aber selbst bei diesen Leuten stößt die massive Erhöhung auf Unverständnis. So sieht Alexander Baum zwar die Notwendigkeit in Investitionen aber 45 Prozent seien in der aktuellen Situation der Wahnsinn. „Würde ich meine Preise oder mein Gehalt als Selbstständiger so anpassen, wäre ich in Kürze pleite“, so Alexander Baum.

Offener Briefan die Verwaltung

Der engagierte Bürger versucht es mit einem offenen Brief an die Stadtverwaltung. In dem Post, der innerhalb weniger Tage hundertfach geteilt wurde, stellt er in Frage, ob die Behörde aufgrund der besonderen (Corona) Umstände keinen Ermessensspielraum hat und die Bescheide einfach so, nach dem Motto, Bürger friss oder stirb, verschicken musste? Im gleichen Forum fragt Hans-Erich Au, warum nicht erst das Urteil vom Landesverfassungsgericht abgewartet werden konnte? Vor der Abstimmung hatte Ratsfrau Dr. Jutta Etscheidt genau damit die „Ich tu´s“ Ablehnung der Grundsteuererhöhung begründet. Tatsächlich hatte das Gericht wenige Tage nach der Beschlussfassung, am 16. Dezember, bestätigt dass die Kommunen finanziell unzureichend ausgestattet sind und das Land zu einer Neuregelung des Finanzausgleichs verdonnert. Allerdings mit Frist spätestens zum 1. Januar 2023. Während die Grundsteuererhöhung für Verdruss in der Bürgerschaft sorgt, ist die ADD zufrieden. Bereits früher als sonst und erstmals seit Jahren ohne Auflagen, genehmigte die Behörde im März den städtischen Haushalt. „Nun haben wir freie Mittel, um zum Beispiel notwendige Sanierungen an Schulen anzugehen oder den Neubau von Kitas voranzutreiben. Das werden uns künftige Generationen danken“, teilte Bürgermeister Ralf Seemann seinerzeit mit. Aktuelle Generationen scheinen das anders zu bewerten.