Grafschafter Kommunalpolitiker stellen sich einer großen Herausforderung

Blockheizkraftwerk undFernwärmeversorgung sind in Planung

Grafschaft. Der Grafschafter Gemeinderat stellt sich einer anspruchsvollen Aufgabe. Man möchte nämlich das Schmutzwasser aus der demnächst anlaufenden Haribo-Produktion als Energiequelle nutzen und damit eventuell ein Blockheizkraftwerk und ein Nahwärmenetz betreiben.

Dr. Ing. Martin Keding (Rheinbach) erläuterte jetzt bei einer gemeinsamen Sitzung der drei Werksausschüsse den Stand der Dinge.

Demnach ist für ein solches Projekt das Wasser aus der Gummibärchen-Produktion interessant. Bei der Reinigung der Produktionsmaschinen falle täglich heißes Wasser an, das stärker als gewöhnlich verschmutzt sei, wenn auch nur mit unbedenklichen Stoffen wie Zucker, Stärke und Gelatine. Die erste Produktionsstraße soll bekanntlich noch dieses Jahr in Betrieb gehen, die zweite sei für das Jahr 2020 terminiert, wusste Keding.

Schmutzwasser entspricht 80.000 Einwohnern

Wenn beide Straßen liefen, entstehe pro Tag bis zu 160 Kubikmeter Produktionsabwasser – so viel, wie sonst 1400 Menschen verbrauchen.

Die Menge sei zwar mit sechs Litern pro Sekunde nicht übermäßig viel, doch die Abwasserqualität lasse zu wünschen übrig. So sei der Kohlenstoffanteil gut 100 Mal so hoch wie bei häuslichem Schmutzwasser, auch der Stickstoffgehalt sei fast neunmal so hoch, nur die Phosphor-Belastung sei um die Hälfte geringer. Lege man den Verschmutzungsgrad zugrunde, so käme die Abwasserfracht sogar derjenigen von bis zu 80.000 Einwohnern gleich. Das könne bei derzeitigen Stand der Abwasserentsorgungsanlagen schwierig werden, zumal die Kläranlage Sinzig – in die auch die Gemeinde Grafschaft ihre Abwässer einleitet – für lediglich gut 100.000 Einwohner ausgelegt und ohnehin schon ziemlich gut ausgelastet sei.

Nun gebe es verschiedene Möglichkeiten, wie man der Sache Herr werde, so Keding. Zum einen könne Haribo schlicht und einfach das Abwasser in Tanklastwagen abfüllen und in einer größeren Kläranlage wie beispielsweise Köln gegen Entgelt entsorgen.

Oder man baue eine extra Kläranlage, die dann allerdings auch von Haribo bezahlt werden müsste.

Kohlenstoff auf sinnvolle

Art und Weise nutzen

Man könne den im Abwasser vorhandenen Kohlenstoff aber auch auf sinnvolle Art und Weise zur Energiegewinnung nutzen und zugleich das Abwasser reinigen, bevor es der Kanalisation zugeführt wird.

Dafür sei der „Aerobe/Anaerobe Abbau“ wahrscheinlich die beste Methode, denn hier werde der im Wasser befindliche Kohlenstoff zu etwa 90 Prozent in Biogas umgewandelt, die Klärschlammmenge betrage nur etwa ein Zehntel, und lediglich drei bis fünf Prozent des Kohlenstoffs blieben im Wasser.

Hier setzt die Idee von Bürgermeister Achim Juchem (CDU) an. Wenn man es geschickt anstelle, könne man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, ist er überzeugt. Wenn die Gemeinde einen anaeroben „Reaktor“ betreibe, könne sie das darin entstehende Biogas sinnvoll verwenden, um beispielsweise ein Blockheizkraftwerk zu betreiben. Zumal auch noch die Wärme des Produktionsabwassers für ein Nahwärmenetz genutzt werden könne.

5 Millionen Kilowattstunden Energie pro Jahr

Allein mit dem Haribo-Produktionsabwasser könne man so pro Jahr bis zu fünf Millionen Kilowattstunden Strom und Wärme erzeugen, hatte Keding ausgerechnet. Einen Teil des Gases und der Abwärme könne man möglicherweise sogar wieder an Haribo verkaufen, denn im neuen Werk würden täglich rund um die Uhr Gas und Wärme für die Produktion benötigt. Erste durchaus erfolgversprechende Gespräche liefen bereits. Das überschüssige Gas könne man darüber hinaus entweder für eigene Zwecke verwenden oder in das öffentliche Gasnetz einspeisen und dafür die Vergütung einstreichen.

Mittlerweile ist auch einigermaßen klar, ob sich unterm Strich das Ganze auch wirtschaftlich rechnet. Das hatte Keding in einer Machbarkeitsprüfung ermittelt. Er sieht eine Doppelstrategie als sinnvoll an, bei der anfangs noch das Produktionsabwasser ganz konventionell mittels Lastwagen zu einer externen Behandlung abtransportiert wird. Das sei auch deshalb sinnvoll, weil man so mehr Zeit habe für die eigentlich auf lange Sicht kostengünstigere Lösung: der Vorbehandlung und Nutzung des Produktionsabwassers zur Energiegewinnung und anschließenden Ableitung des nunmehr stark gereinigten Wassers in das normale Kanalsystem.

Investitionen in Höhe von 3,5 Millionen Euro notwendig

Wenn man nach dem Produktionsbeginn die tatsächlichen Verschmutzungswerte des Abwassers kenne, die bislang nicht bekannt und nur geschätzt seien, könne zudem die Umwandlungsanlage genauer geplant und besser eingestellt werden.

Zumal man für Planung, Bau und Einschwungphase ohnehin etwa zwei Jahre rechnen müsse. Dann werde auch die Investition in Höhe von etwa 3,5 Millionen Euro später fällig, was insbesondere den Sozialdemokraten zupasskam. Wobei die Investition vom Abwasserwerks getätigt und anschließend über die Abwassergebühren, die Haribo für sein Schmutzwasser zahlen muss, wieder hereingeholt werden soll. „Der Steuerzahler würde also nicht belastet, und es entsteht auch kein Risiko für die Gemeinde“, betonte Juchem.

Die anvisierte Fertigstellung der „Abwasserverwertungsanlage“ Ende 2019 sei mithin der ideale Zeitpunkt für den Start der Verwertungsanlage, weil dann voraussichtlich auch die beiden ersten Produktionsstraßen von Haribo voll in Betrieb seien und somit ausreichende Mengen an Abwasser zur Verfügung stünden.

Je mehr Schmutzwasser verarbeitet wird, desto wirtschaftlicher stelle sich die Situation dar, so Keding. Diese Doppelstrategie empfahlen die Ausschüsse auch einstimmig dem Gemeinderat, bei einer Enthaltung von Hubert Münch (SPD). Damit in Zusammenhang stand auch die geplante Ausschreibung für die künftige Betriebsführung der Eigenbetriebe Wasserwerk und Abwasser, denn die müsse künftig im Verbund mit Energiegewinnungsanlage anders als bisher gelöst werden. Ende 2017 laufen ohnehin die Betriebsführungsverträge mit der Remondis Eurawasser GmbH aus, so Juchem. Nach eingehender juristischer Prüfung durch die Rechtsanwaltskanzlei Kunz (Koblenz) war die Gemeindeverwaltung zum Ergebnis gekommen, dass eine Gesamtvergabe der Betriebsführung, die alle drei Bereiche – Wasser, Abwasser und Abwasserverwertung – umfasst, die beste Lösung sei. Hierdurch könne ein weitgehender kommunaler Einfluss sowie eine Wertabschöpfung sichergestellt werden, wobei das eigentliche Know-how durch einen leistungsfähigen Partner erbracht werden müsste.

Gesellschaft soll noch in diesem Jahr gegründet werden

Dafür soll noch in diesem Jahr eine gemischt-wirtschaftliche Gesellschaft gegründet werden, bei der die Gemeinde mit 51 Prozent das Sagen haben und der neue Betriebsführer als Partner mit 49 Prozent mit im Boot sein soll. Der neue Partner soll schnellstmöglich im Wege einer europaweiten Ausschreibung gefunden werden. Um dies zu erreichen, beschlossen die drei dafür zuständigen Ausschüsse (Werksausschuss Eigenbetrieb Wasser, Werksausschuss Eigenbetrieb Abwasser und Gemeindewerke-Ausschuss) jeweils einstimmig, zunächst in einem Teilnahmewettbewerb diesen privaten Partner zu suchen, mit dem die Gemeinde jene neue Betriebsführungsgesellschaft gründet. An diese sollen im Anschluss die Planung, der Bau und der Betrieb der Vorkläranlage sowie die Betriebsführung von Wasser- und Abwasserwerk direkt vergeben werden. Sofern die noch zu gründende Gesellschaft einzelne Bestandteile des Maßnahmenpakets nicht selbst leisten könne, dürfe sie diese Aufträge ohne Beachtung des Vergaberechtes vergeben, erläuterte Fachanwältin Katharina Strauß.

Die endgültige Entscheidung über den ganzen Komplex allerdings trifft der Gemeinderat in seiner nächsten Sitzung am Mittwoch, 22. Juni. Zuvor muss auch noch der Haupt-, Finanz-, Personal- und Vergabeausschuss am 8. Juni darüber beraten.