Europa-Union Mayen-Koblenz

Der Mensch galt nur als „Material“

Der Mensch galt nur als „Material“

Die Mitglieder der Europa-Union unternahmen eine Tagesfahrt nach Verdun.Foto: privat

Verdun. Nach fast vierstündiger Fahrt konnten sich Mitglieder und Gäste der Europa-Union MayenKoblenz zunächst in der alten lothringischen Festungsstadt Verdun umsehen: Der sonnige Tag lud dazu ein, auf den Terrassen am Quai de Londres, am Ufer der Maas kleine Leckerbissen aus der französischen Küche, ein Glas „rouge“ oder einen Kaffee zu genießen. Einige machten sich auf den Weg hinauf zur gotischen Kathedrale, zum barocken Bischofspalast, heute das „Centre mondial de la paix“ – das Weltfriedenszentrum, ein Ort historischer und künstlerischer Ausstellungen. Andere zog es zur unterirdischen Zitadelle – wie die Stadt selbst war auch sie heftig beschossen, aber nie eingenommen worden.

Das monumentale Siegesdenkmal lässt, wie viele andere Denkmale der Stadt, noch einen ganz anderen Umgang mit dem Tod erkennen, als er heute gepflegt wird – mehr der Heldenverehrung, dem Ruhm der Sieger gewidmet: Der Zeitgeist der zwanziger Jahre, er war so. Wohl auf beiden Seiten.

Verdun, etwas größer als Mayen, konnte nach den enormen Zerstörungen, die die unzähligen Geschosse 1916 angerichtet hatten (Kanonen wie die „Dicke Berta“ verschossen hier Granaten von mehr als 400 Millimeter Durchmesser über 14, 15 Kilometer hinweg), mit englischer und amerikanischer Hilfe fast in altem Glanz wieder erstehen, die Dörfer ringsum waren jedoch total zerstört, sie sind nie wieder aufgebaut worden.

Schwerpunkt des Besuchs war freilich das Schlachtfeld, die berüchtigte „Blutmühle“, auf dem Hunderttausende französischer und deutscher Soldaten 1916 in einem ein dreiviertel Jahr dauernden Stellungskrieg ihr Leben, ihre Gesundheit, oft auch ihren Verstand verloren.

Wer hierher kam, hatte im Durchschnitt noch eine Lebenserwartung von 14 Tagen – der Gegner sollte in sinnlosen, die Frontverläufe meist um wenige Meter hin und her verschiebenden Materialschlachten buchstäblich „ausgeblutet“ werden. Der Mensch galt auf beiden Seiten als nichts anderes denn als „Material“, schier endlos verfügbar. Die Teilnehmer fuhren zunächst zum Beinhaus („Ossuaire“ ) und Friedhof in der Nähe des zermalmten Dorf Douaumont. Die weiten Seitenflügel der Gedächtnisstätte mit unzähligen Namensinschriften im Gewölbe und den über 40 symbolischen Sarkophagen aus Granit, die die darunter liegenden Gebeinkammern abdecken, lassen eine beklemmende Atmosphäre entstehen.

Diese Kammern, an der Rückseite des Gebäudes von außen einsehbar, enthalten die Gebeine von 130.000 nicht identifizierten Gefallenen. Der Blick ins Innere lässt erschauern. Auch ein Film mit Originalaufnahmen sorgte mit dafür, dass manch einer das Bauwerk bleich und wortlos verließ. Es war kein offizieller Führer engagiert worden, der Eindruck war wichtiger als die exakte Kenntnis von Daten und militärischen Aktionen. Und der vermittelte sich nachhaltig – auch ohne Führung. Das monumentale Gebäude mit seinem hoch aufragenden Turm, den einige bestiegen, ist im Stil der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auch architektonisch eindrucksvoll. Eine Gedenkplatte erinnert an das Treffen Helmut Kohls und Francois Mitterrands 1984: „Wir haben uns versöhnt. Wir haben uns verständigt. Wir sind Freunde geworden.“

Auf dem Friedhof vor dem Gebäude (ein Meer von weißen Kreuzen) ruhen nur französische Soldaten, es sind über 16.000 Grabstätten, jede mit der Jahreszahl 1916. Hier liegen junge Männer, die kaum 20, 30 Jahre alt werden durften.

Es gibt auch eine Gedächtnisstätte für die „soldats musulmans“ aus den Kolonien Frankreichs: ein schlichtes Bauwerk in maurischem Stil sowie eine Gedächtniswand für die Soldaten jüdischen Glaubens.

Weiter zum Fort Douaumont ging die Fahrt durch eine scheinbar intakte Waldlandschaft. Hinter dem Grünen lauert aber das Grauen – der Boden ist über Quadratkilometer hinweg zerklüftet, vergiftet, mit Metallsplittern und Explosivstoffen – gesättigt vom Einschlag der Millionen von Geschossen aus stundenlangem Trommelfeuer aus über 1200 Geschützen. Auf dem Weg dorthin Reste von Schützengräben, die sich durch den Wald ziehen, oft nur wenige Meter weg von dem der anderen Seite. Eine Rekonstruktion zeigt die Enge im Graben: bei Regen, mit aufgeweichtem Boden, in der Kälte, mit Dreck, Blut, Urin, Qualm, Gestank, Schreien, Stöhnen, detonierenden Geschossen: – die Hölle von Verdun.

Es ist düster und kalt im Fort Douaumont, um 1885 errichtet und später gegen den Feind von der anderen Seite des Rheins massiv verstärkt. Lange, verwinkelte, rutschige unterirdische Gänge, zweigeschossig, kahle, feuchte Räume der Mannschaften, überall Stalaktiten an den Decken. Auch hier muss sich jeder unsäglichen Gestank, Lärm, das unaufhörliche Krachen der Explosionen dazu denken. In einem der Gänge liegen hinter einer Mauer die Gebeine von 697 deutschen Soldaten, Opfer einer selbst verschuldeten Explosion in den Munitionsmagazinen, feindliches Feuer verhinderte, sie in der Erde zu bestatten.

Außen dicke, zerbröselte Stahlbetondecken und -wände, zunächst von deutschen Kanonen, später, nachdem das Fort im Februar 1916 den Deutschen in die Hände gefallen war, von französischen Kanonen zermürbt. Ein Volltreffer eines französischen 400-Millimeter-Geschosses ließ im Spätherbst 1916 die Deutschen das Fort aufgeben. Obenauf stählerne Beobachtungskuppeln, der Turm einer versenkbaren Kanone, im Umfeld Trichter an Trichter, mit Gras, Gebüsch und Bäumen zugewachsen, immer wieder auch Reste von Drahtverhauen. Und Fahnen: nebeneinander die Trikolore, die deutsche, auch die Europafahne mit den Sternen auf blauem Grund. Ein gutes Zeichen.

Auf dem Rückweg wurde noch ein deutscher Soldatenfriedhof besucht. Bei Hautecourt liegen etwa 7000 deutsche Soldaten, alle 1916 von Granaten zerrissen, erschossen, von Minen verschüttet – alle im gleichen Alter wie ihre französischen Feinde, die sie so wenig kannten wie die sie kannten. Eine schlichte Stätte, eng beschriftete Namenstafeln an einer Mauer nahe den Gemeinschaftsgräbern, auf dem Feld an fast jedem der metallenen Kreuze vier Namen. Auch deutsche Soldaten jüdischen Glaubens liegen hier, die hebräische Inschrift ihrer Grabsteine soll besagen: „Möge seine Seele eingebunden sein in den Kreis der Lebenden.“ Klingt schöner als „Fürs Vaterland gestorben“.Pressemitteilung

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