Bürgermeister Christoph Mohr im Interview mit BLICK aktuell

Viele Herausforderungen für den neuen Stadtchef

Viele Herausforderungen für den neuen Stadtchef

Christoph Mohr war bereits im Bürgermeisterwahlkampf bei BLICK aktuell zu Gast. Foto: ROB

Viele Herausforderungen für den neuen Stadtchef

Christoph Mohr blickt auf 100 Tage im Amt zurück. Foto: privat

Bendorf. Es hätte alles ein wenig leichter sein können: Christoph Mohrs Amtsantritt als Bürgermeister der Stadt Bendorf fiel in herausfordernde Zeiten. Die Corona-Pandemie, eine defizitäre Haushaltslage und sogar ein Hacker-Angriff machen den Alltag alles andere als planbar. Nun ist der erste Arbeitstag als Bürgermeister im Rathaus schon etwas her, genau 100 Tage waren es am 10. April. Ein guter Anlass also für ein kleines Resümee. BLICK aktuell sprach nun mit dem SPD-Bürgermeister über seine Erfahrungen in den ersten Monaten als Verwaltungschef und über die Lage Bendorfs in Bezug auf Haushalt, Einzelhandel und Infrastruktur.

BLICK aktuell: Herr Mohr, bevor Sie Bürgermeister wurden, waren Sie Lehrer am Wilhelm-Remy-Gymnasium und dort in der Schulleitung tätig. Wie hat sich der Alltag seither verändert?

Christoph Mohr: Mein Lehrerberuf hat mich auf das Bürgermeisteramt ganz gut vorbereitet. Der Schreibtisch war schon immer meine zweite Heimat. Fest steht aber auch, dass ich noch weniger Freizeit habe. Im Grunde ist jeder Tag als Bürgermeister schlecht planbar: Man weiss nie was heute auf einen zukommt. Das gilt natürlich in Zeiten von Corona besonders. Und dann kommen zusätzlich Unwägbarkeiten wie ein Hacker-Angriff im Januar, der die Verwaltung einige Tage lahm gelegt hat. Grundsätzlich gilt aber: Ich war sehr gerne Lehrer und bin jetzt ebenso gerne Bürgermeister.

BLICK aktuell: Auch der Wahlkampf war ganz und gar von Corona geprägt. Wie sah die Amtsübergabe mit Bürgermeister Michael Kessler in dieser besonderen Zeit aus?

Mohr: Die Amtsübergabe war sehr konstruktiv. Die Zusammenarbeit mit Michael Kessler lief einwandfrei und reibungslos. Wir haben sehr viele intensive und konstruktive Gespräche geführt – deshalb an dieser Stelle auch noch einmal ein ganz herzliches Dankeschön an meinen Vorgänger. Auch aus den Reihen der Verwaltungsmitarbeiter habe ich viel Starthilfe erhalten. Schade war nur, dass die eigentliche Amtsübergabe sehr reduziert ablaufen musste. Gäste konnten außer der eigenen Familie leider keine eingeladen werden.

BLICK aktuell: Was waren die größten Herausforderungen der ersten Tage?

Mohr: Ich habe zunächst alle Abteilungen und Dienststellen der Verwaltungsmitarbeiter besucht. Da kommt eine Menge zusammen, schließlich verrichten 283 Mitarbeiter ihren Dienst für die Stadt. Aber der persönliche Kontakt zu den Mitarbeitern ist für mich ungemein wichtig, sodass diese Besuche schon ein Muss darstellen. Natürlich ist auch hier schade, dass keine größeren Versammlungen stattfinden konnten. Eine große Herausforderung war sicherlich die Cyberattacke Mitte Januar. Ein Hacker legte den größten Teil der Verwaltung lahm. Hier konnten wir aber sehr gut reagieren und wenigstens den Notbetrieb aufrecht erhalten. Dies gelang nicht nur durch den Einsatz der Mitarbeiter in der Verwaltung, sondern auch durch die Hilfe der Nachbarn in Vallendar. Im dortigen Rathaus konnten wir schnell eine kleine Außenstelle einrichten und so Verwaltungsaufgaben wahrnehmen, die einfach nicht warten konnten. Glücklicherweise sind im Rahmen der Attacke keine Anzeichen dafür festgestellt worden, dass Daten abgeflossen sind. Das beweist, dass wir schnell und zügig auf die Bedrohung von außen reagiert haben.

BLICK aktuell: Apropos Personal: Ich welche Richtung wird sich Verwaltung diesbezüglich entwickeln? Gibt es Pläne zur Aufstockung oder Abbau von Stellen?

Mohr: Wenn wir auf die derzeitige Haushaltslage schauen, dann ist klar, dass wir mit dem vorhandenen Potenzial arbeiten müssen. Wir haben einfach wenig Ressourcen. Ein Fokus wird jedoch im Kinder- und Jugendbereich liegen. Hier muss vieles neu strukturiert werden und es werden auch in diesem Jahr neue Stellen geschaffen. Dazu ist es wichtig, die entsprechenden Finanzmittel des Landkreises abzurufen. Im Großen und Ganzen herrscht innerhalb des Mitarbeiterstamms eine hohe Dynamik, was bei der großen Anzahl der Mitarbeiter kaum wundert. Zurzeit führe ich viele Bewerbungsgespräche.

Haushalt: Die Situation

ist dramatisch

BLICK aktuell: Dass die Stadt tiefrote Zahlen schreibt, ist kein Geheimnis. Wie ist es um die Haushaltslage derzeit beschert?

Mohr: Die Situation ist dramatisch. So ehrlich muss man es einfach ausdrücken. Die Neuverschuldung steigt in diesem Jahr um über drei Millionen Euro. Das bedeutet eine Gesamtverschuldung von 51 Millionen Euro. Über eine Millionen Euro fehlen bei den Steuereinnahmen. Und zum ersten Mal überstiegen die Höhen der Liquiditätskredite die der Investitionskredite. Es ist klar, dass diese Entwicklung nicht nur der Corona-Pandemie geschuldet ist. Jahr für Jahr wuchs der Schuldenberg, es kam immer ein Stückchen obendrauf. Dies bedeutet aber keinesfalls, jetzt einen Schuldigen zu suchen. Und wegducken dürfen wir uns auch nicht. Vielmehr muss die Herausforderung angenommen werden. Eine Steuererhöhung ist in diesem Jahr nicht geplant. Es muss aber dringend weiter gespart werden. Diese Sparmaßnahmen zeigen bereits kleine Erfolge. In diese Richtung müssen wir also weitergehen. Denn jetzt zeigen sich erst die wirklichen Auswirkungen der Pandemie, die jetzt wie eine verzögerte Schallwelle auf uns treffen. Auch die Kommunikation innerhalb der städtischen Gremien ist dazu enorm wichtig – aber auch mit Kreis und Land.

BLICK aktuell: Für eine solide Haushaltslage braucht es eine solide Wirtschaft. Wie ist die Lage in Bendorf?

Mohr: Es gibt Licht und Schatten. Positiv ist die Nachfrage: Viele Unternehmen möchten sich in Bendorf ansiedeln und wir bieten einen guten Standort, auch bedingt durch die Nähe zu Koblenz und Neuwied. Unser Standort bereitet dadurch aber auch Probleme: Die Flächen zur Gewerbeansiedlung sind limitiert. Deshalb müssen wir dringend neue Gewerbeflächen ausweisen. Unternehmen, die sich in Bendorf niedergelassen haben, bieten hervorragende Produkte. Darunter sind auch echte „Hidden Champions“, die mit Nischenprodukten die ganze Welt beliefern, aber in der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt bleiben.

Einzelhandel: Neue Optionen durch Leerstandskataster

BLICK aktuell: Und wie sieht es bei den kleinen Einzelhändlern aus?

Mohr: Um den Einzelhandel ist es in Bendorf nicht gut bestellt. Ein offensichtliches Zeichen ist der akute Leerstand in der Innenstadt. Wir brauchen uns da auch gar nichts vormachen: Der alte Einzelhandel mit kleinen Geschäften, wie die sprichwörtlichen „Tante-Emma-Läden“, wird nicht wieder zurückkehren. Also brauchen wir neue Impulse. Deshalb ist ein Leerstandskataster in der Planung, der uns aufzeigt, wo nutzbare Stellen sind. Dies sind Pläne, die nah mit den Bürgern abgestimmt wurden, zum Beispiel im Ideenkino. Problematisch ist, dass es in der Stadt hervorragende Stellen zur Ansiedlung von Gewerbe gäbe, aber das Land in privater Hand ist und die Besitzer nicht verkaufen wollen. Umso wichtiger wird es für die Stadt zwischen Eigentümern und Geschäftstreibenden als Vermittler aufzutreten.

Und natürlich trägt die Corona-Krise zur schlechten Lage bei. Am Kirchplatz gibt es neue Restaurants, die teilweise noch nie wirklich geöffnet hatten und sich mit Lieferdiensten über Wasser halten. Die warten jetzt nur darauf loszulegen.

BLICK aktuell: Die Gastronomie leidet besonders – gab es coronabedingte Insolvenzen?

Mohr: Es gab Schließungen, die aber nicht unmittelbar durch die Corona-Krise bedingt sind. Dennoch ist das bitter für die Betreiber und natürlich auch für Bendorf als Standort. So haben kürzlich zwei renommierte und alteingesessene Hotels ihre Pforten für immer schließen müssen. Das ist sehr, sehr schade.

„Schnelles Internet muss selbstverständlich sein“

BLICK aktuell: Der Ausbau der Infrastruktur ist auch in Bendorf ein großes Thema. Wie schaut es in der Stadt mit der Anbindung an schnelles Internet aus?

Mohr: Ein funktionierendes, schnelles Internet ist einer der wichtigsten Punkte für die nächste Zeit. Wir hoffen, dass wir die „weißen Flecken“ auf der Breitbandkarte erfolgreich tilgen können. Das gilt für die Kernstadt als auch für die Stadtteile. Gerade die Gewerbe sind von einem ordentlichen Internetanschluss abhängig. Und der muss zukünftig so selbstverständlich sein, wie eine gepflasterte Straße. „Fibre to the buildung“, also Glasfaser bis zum Gebäude, darf nicht länger nur ein Schlagwort sein. Klar ist, dass der Ausbau nicht so schnell funktionieren wird, wie in Großstädten. Bendorf ist nicht Köln oder Koblenz. Fest steht, dass der Bedarf aber auch hier genauso groß ist, wie sonst wo. Hier biete ich mich gerne als Bürgermeister an, sich mit den verschiedenen Internetanbietern an einen Tisch zu setzen und zu vermitteln. Die erste Priorität liegt hier auf der schnellstmöglichen Anbindung der Gewerbegebiete, um die Wettbewerbsfähigkeit Bendorfs nachhaltig zu verbessern.

BLICK aktuell: Thema ÖPNV: Wie ist die Lage in Bendorf?

Mohr: In Bezug auf den öffentlichen Nahverkehr wurde bereits einiges auf den Weg gebracht, gerade wenn es um den Busverkehr geht. Durch eine Linienbündelung des VRM werden die Verbindungen besser, auch in den Ortsteilen Stromberg, Sayn und Mülhofen. Dennoch müssen wir zulassen, das Thema ÖPNV komplett neu zu denken. Zum Beispiel in Form von sogenannten „Mobihubs“, lokalen Mobilitätszentren. Das könnte ein Busbahnhof sein, an dem auch E-Bikes ausgeliehen werden können. Auch Carsharing-Konzepte gehören dazu. Und das ist ja auch ein Thema, wenn es um den Klimawandel geht. Bendorf möchte sich an dem Förderprojekt zur Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel beteiligen. Um die Innenstadt klimafit zu gestalten, sind Fördergelder bis zu 8 Millionen Euro möglich. Das ist eine wahnsinnige Herausforderung und ich bin hier sehr gespannt, wie es weitergeht.

BLICK aktuell: Geht es um das Thema Zuganbindung herrscht oft Verwunderung, dass eine Stadt wie Bendorf keinen eigenen Bahnhof hat. Wer mit der Bahn nach Bendorf will, muss derzeit in Engers aussteigen. Wie ist hier die Sachlage?

Mohr: Dass Bendorf nicht einmal einen eigenen Bahnhaltepunkt hat, ist meiner Meinung nach absolut untragbar. Die Stadt könnte dadurch nur gewinnen, zum Beispiel in Bezug auf den Tourismus. Sollte es dazu kommen – und das hoffe ich sehr – dass die Sayner Hütte Weltkulturerbe wird, müssen wir den Besuchern auch die Möglichkeiten geben, unsere Stadt zu besuchen. Ich bin hier aber sehr optimistisch, dass der Bahnhaltepunkt an die Rheinstrecke noch während meiner Amtszeit entsteht.

BLICK aktuell: Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Welche Projekte stehen als nächstes an?

Mohr: Ein großes Projekt, das mir sehr am Herzen liegt, ist, dass die Sayner Hütte Weltkulturerbe wird. Sollte dies gelingen, wäre dies ein touristischer Motor für die gesamte Region. Ein weiteres Thema ist die Bewerbung Bendorfs zur Ausrichtung der Landesgartenschau 2026. Diesbezüglich wird es aber noch im Stadtrat Beratungen und Entscheidungen geben. Eine Bürgerbeteiligung , wie ich sie bereits vor meiner Zeit als Bürgermeister angeregt habe, wurde leider nicht umgesetzt.

Selbstverständlich wird Corona das weiterhin alles beherrschende Thema sein. Aber wir sind hier auf einem sehr guten Weg. So wurden die Testtage in der Bendorfer Stadthalle nun ausgeweitet und Tests sind auch bei den Apothekern möglich. Es ist toll zu sehen, wie alle Hand in Hand arbeiten. Dies gilt auch für unseren Fahrdienst, der ältere Mitbürger zum Impfzentrum nach Koblenz bringt. Hier haben sich rund zwei Dutzend Mitarbeiter der Verwaltung freiwillig als Fahrer gemeldet. Da bleibt nichts anderes übrig als „Danke“ zu sagen.

Das Interview

führte Daniel Robbel