Jugendcamp des BSV bringt junge Menschen mit und ohne Handicap beim Sport zusammen

Wie geht Para-Sport? – So!

Wie geht Para-Sport? – So!

Hoch mit dem Luftballon: Rollstuhltennis kann viel Spaß machen.Fotos: privat

Wie geht Para-Sport? – So!

Philipp Wassenberg trainiert mit unterschiedlichen Prothesen.

Koblenz. Wie geht eigentlich Para-Sport? Eigentlich ganz einfach. Und ganz schön schwer. Ein Widerspruch? Nur auf den ersten Blick, wie sich beim Jugendcamp des Behinderten- und Rehabilitationssport-Verbands Rheinland-Pfalz (BSV) zeigte. In der Koblenzer Falkensteinkaserne trafen sich junge Menschen mit und ohne Handicap, um gemeinsam Para-Sportarten auszuprobieren. Notizen einer gelungenen Premiere.

Draußen im Stadion trifft man auf Kids und Teenies, welche erste Erfahrungen aus dem Bereich Para-Leichtathletik im Sprung, Wurf und Sprint sammeln. Begleitet und betreut werden die TeilnehmerInnen von der ehrenamtlichen Trainerin Karolin Boldt aus Koblenz. Mit ihnen trainiert ein Läufer mit Unterschenkel-Prothese. Er macht Gehversuche, dann ein paar kurze Sprints auf der Laufbahn. Dann wechselt er die Prothese. Das sieht alles sehr konzentriert aus, auch sein ständiger Austausch mit seinem Begleiter wirkt sehr professionell. Ein kurzer Plausch. Philipp Wassenberg heißt der Sportler, sein Betreuer Peter Ferger.

In der Halle sind zwei Gruppen aktiv. Jürgen Kugler, Fachwart Rollstuhltennis und Vize-Präsident Sport und Vereinsentwicklung im BSV, übt in der einen Hälfte mit einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen, mit und ohne Handicap. Alle sitzen in Rollstühlen und balancieren Tennisbälle auf ihren Schlägern. Es folgt eine spaßige Übung. Die jungen Spieler halten gemeinsam einen Ballon in der Luft. Dabei wird allen spielerisch klar, wie herausfordernd es ist, sich gleichzeitig auf das Bewegen des Rollstuhls und auf die Schlagbewegungen zu konzentrieren. Eine hohe Herausforderung an die Koordinationsfähigkeit ist das.

Selbstverteidigung:

für Rollstuhlfahrer ebenso wie

für Menschen ohne Handicap

Der Übungsleiter wäre sicherlich auch gerne in der anderen Hallenhälfte dabei, denn Jürgen Kugler ist auch Beauftragter des Verbandes für die Prävention sexualisierter Gewalt. Und um Gewalt – im negativen wie positiven Sinn – geht es hier. Selbstverteidigung steht im Mittelpunkt. Für Rollstuhlfahrer ebenso wie für Menschen ohne Handicap. Die wichtigste Botschaft: Ein sicheres Auftreten sorgt dafür, dass potenziellen Angreifern mitgeteilt wird: „Ich bin kein Opfer!“, so sagt Olli Keil, Grand Masterinstructor im Wing-Tsun von der Akademie für Sicherheit und Selbstschutz aus Koblenz. Die Abwehrtechniken der erfahrenen Trainer werden mit großer Aufmerksamkeit verfolgt: Das Thema spricht Nicht-Behinderte und Behinderte gleichermaßen an.

Im Nachbarraum hat Tischtennis-Fachwart Wolfgang Palm eine Gruppe Kinder und Jugendliche um sich geschart. Auch hier ist es ein bunter Mix aus jungen Menschen mit und ohne Handicap. Mit Mini-Schlägern wird an einer winzigen Platte gespielt, dann darf man versuchen, die kleinen weißen Bälle mit maximal einer Bodenberührung in einer Kiste an der Wand zu versenken. Das klingt einfacher, als es ist. Aber die meisten stellen sich ziemlich geschickt an und werden bestimmt das ausgelobte Sportabzeichen bekommen.

Zurück in der großen Halle. Hier bietet Jörg Holzem von der RSG Koblenz Rollstuhl-Rugby an. Die TeilnehmerInnen flitzen in den Sportrollstühlen durch die Halle und krachen mit den Rollis gegeneinander. Eine große Begeisterung ist zu spüren und zu hören.

Die Rollstuhltennis-Spieler messen sich jetzt in zwei Staffeln, die durch einen mit Hütchen begrenzten Parcours kurven. Es ist erstaunlich, wie schnell die meisten den Rollstuhl schon zu beherrschen gelernt haben. Auch hier wird wieder deutlich: Der Spaß steht an diesem Tag im Vordergrund. Auf unterhaltsame Art lassen sich auch die Besonderheiten des Para-Sports am besten vermitteln.

Dominic Holschbach ist mit seinem Team während der ganzen Zeit in Sachen Organisation und Betreuung gefordert. Der Sportreferent des BSV, der die erste Veranstaltung dieser Art erdacht und ins Leben gerufen hat, zieht ein eindeutig positives Fazit: „Ich denke, es ist uns gelungen, Menschen mit und ohne Handicap die vielen Facetten des Para-Sports näherzubringen. Das gemeinsame Erleben, die Tatsache, dass hier und heute eine Behinderung im Prinzip gar keine Rolle spielt, ist das, was sich unser Verband als gelebte Inklusion vorstellt.“

Inklusion ist also ganz

einfach – oder doch nicht?

Dominic Holschbach vergisst auch die schwierige Seite nicht: „Es gibt noch immer viel zu wenige Vereine im Land, die echte Sportangebote machen. Zur Zeit sind das gerade mal sechs Prozent. Es ist für unseren Verband eine dauerhafte Aufgabe, die Vereine immer wieder dazu zu animieren und dabei zu unterstützen, Sport und Inklusion im Alltag selbstverständlich werden zu lassen.“

Die große Rolle, die Vereine im Behindertensport spielen, ist auch beim zweiten Aspekt des Jugendcamps von Bedeutung. Es geht um Talent-Scouting. Alina Jakobs, Talentscoutin des BSV-RLP betont, „dass die Suche nach besonders begabten Sportlern mit Handicap nicht alleine vom Verband gestemmt werden kann. Der Verband ist auf die Kooperation und Hilfe von Vereinen angewiesen und kann die Vereine bei ihrer Arbeit bestmöglich unterstützen“.

So wie der BSV auch das ambitionierte Jugendcamp in dieser Form nur durch Sponsoren anbieten kann, allen voran die Lotto-Stiftung, Globus, apt Prothesen, Bundeswehr und Unfallkasse Rheinland-Pfalz.

Draußen vor der Halle ist Philipp Wassenberg noch nicht müde geworden, die verschiedenen Prothesen zu testen. Der erste Eindruck, dass man es mit einem sehr sportlichen jungen Mann zu tun hat, hatte nicht getäuscht. Der in Bonn lebende Wassenberg ist 23 Jahre alt, durch einen Tumor verlor er schon im Jahr 2007 den rechten Unterschenkel. Seine sportlichen Ambitionen hat das nicht negativ beeinträchtigt, sondern eher verstärkt. Er hat es bis zum Jahr 2016 zum Juniorenweltmeister gebracht, war im Sprint wie im Weitsprung eine der großen Nachwuchshoffnungen des deutschen Para-Sports. Doch er hat es damals mit den körperlichen Belastungen offenbar übertrieben, sein Stumpf schmerzte so sehr, dass er keine Sport-Prothese mehr tragen konnte. Schluss war mit dem Leistungssport. Fünf Jahre später ist er wieder schmerzfrei und unternimmt erste Versuche, sich wieder sportlich zu betätigen.

Ob er wieder in den Hochleistungssport einsteigen wolle, wollen wir wissen. „Es kribbelt schon. Aber am wichtigsten ist die Gesundheit. Mir geht es vor allem zunächst mal darum, dass ich im Alltag für mich selbst wieder Sport treiben kann. Ob daraus dann mal wieder mehr wird, muss man sehen.“

Das Treffen mit den Kindern und Jugendlichen beim Jugendsportcamp in Koblenz empfand er als positiven Begleiteffekt seiner Tests. „Viele, auch die ohne Handicap, waren sehr interessiert zu erfahren, wie das so ist, mit einer Prothese Sport zu treiben. Wir hatten eine ganze Reihe netter Gespräche.“

Das führt zur Frage, die das Motto dieses ersten Jugendcamps war: Wie geht eigentlich Para-Sport? Die Antwort ist einfach: So!