FDP-Bundestagsabgeordnete Sandra Weeser fordert „ein Machtwort des Kanzlers“
Ein Ahrtalbeauftragter soll für Tempo beim Wiederaufbau sorgen
Sinzig. Eigentlich hat Sandra Weeser keine Zeit. Die 54-jährige Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Neuwied-Altenkirchen ist im Wahlkampfmodus. Sie ist Spitzenkandidatin der FDP in Rheinland-Pfalz und steht auf Platz 25 der Bundesliste der Liberalen für die Europawahl, eilt von einer Podiumsdiskussion zur nächsten, will alle Generationen für Europa gewinnen und den Gegnern „jeden Tag aufs Neue klarmachen, wie wichtig Europa ist“. Freie Zeit oder gar Freizeit hat sich die Deutsch-Französin bis zum Wahltag am 9. Juni abgeschminkt. Aber zwischen zwei Terminen dennoch Platz im Terminkalender gefunden für ein Redaktionsgespräch in Sinzig mit Hermann Krupp, Chefredakteur von Blick Aktuell.
„Arbeit attraktiv machen“
Die Themen: Berlin, das Ahrtal und Europa. Dass die Ampel immer mal wieder flackert, sieht Weeser ebenso entspannt wie die anstehenden Haushaltsberatungen: „Am Ende siegt die Vernunft“. Christian Lindner sei für sie da in Sachen Finanzen der „Fels in der Brandung“. Und vieles sei ja auch schon erreicht worden von der Wahlrechtsreform bis zum Wachstumschancengesetz. Jetzt gelte es Deutschland wieder nach vorne zu bringen. „Uns fehlen einfach die Arbeitskräfte“, so die 54-Jährige. „Wir müssen Arbeit attraktiv machen, statt es attraktiver zu machen, nicht mehr arbeiten zu gehen,“ geht sie auf das Bürgergeld ein.“ Dessen Höhe ermutige quasi nicht mehr arbeiten zu gehen. Deshalb müsse der Betrag angepasst werden und auch Anreize geschaffen werden, länger zu arbeiten. Mindestlohn solle wieder Sache der Tarifpartner sein. Und die Schuldenbremse sei schließlich im Koalitionsvertrag verankert. „Demokratie ist schon anstrengend, aber wir machen es uns auch schwer“, beschreibt Weeser ihr Alltagsgeschäft, in dem es ihr wichtig für die Verbraucher ist, die „Preise stabil zu halten“. Und für die Jugend wünscht sie sich: Bildung, Bildung und nochmal Bildung. Denn Corona habe da durch den europaweit längsten Schulausfall Lücken geschlagen.
Ein Beauftragter fürs Ahrtal
Mehr Tempo statt Bürokratie stehen beim Wiederaufbau im Ahrtal bei Weeser ganz oben auf der Wunschliste. „Am Anfang ging alles im Ahrtal schnell, doch mittlerweile geht es allen Betroffenen zu langsam.“ Weeser sieht die Lösung in einem Ahrtalbeauftragten, wie sie ihn in einem Brandbrief an Bundeskanzler Olaf Scholz und Ministerpräsidentin Malu Dreyer gefordert hat. Ob sie schon eine Antwort hat? „Nein, aber ich hoffe auf Antwort.“
Das Geld im Wiederaufbaufonds sei da, zum Teil auch ausbezahlt, doch immer wieder gebe es „Kommunikationsschwierigkeiten“. „Hier muss man auch mal den Mut haben, die Rahmenbedingungen zu interpretieren“, fordert Weeser klare Ansagen für den Wiederaufbau. „Ich glaube, hier bedarf es eines Machtworts des Kanzlers. Denn aufgrund unterschiedlicher Auffassungen, wie mit den Auszahlungsmodalitäten aus dem Fluthilfefonds umzugehen ist, sind wir bis heute zu keiner befriedigenden Lösung bei einzelnen Fragen des Wiederaufbaus gekommen. Die Verwaltungsebenen scheinen hier nicht Hand in Hand arbeiten zu können.“ Das müsse dringend abgestellt werden. Hier könne ein Ahrtalbeauftragter einsteigen, „damit auch bei allen von der Flut Betroffenen, ein vernünftiger und innovativer Wiederaufbau möglich wird“.
Wie es gemacht wird, hat sich Weeser mit dem Bauausschuss des Bundestages vor einigen Tagen in New Orleans in den USA angesehen. „Dort wurde in 24 Monaten ein Staudamm für den Hochwasserschutz hochgezogen. Bei uns ist Schnelligkeit das große Problem, hier müssen Lösungen und Erleichterungen her.“
„Hand in Hand für Europa“
Sich den Problemen und auch den Gegnern stellen, das sieht Weser als gemeinsame Aufgabe von Deutschland und Frankreich in Europa an – und dies „Hand in Hand“. Europa habe so viel gebracht, sei ein Friedensprojekt, für das es sich lohne, sich den Herausforderungen Migration und Verteidigung zu stellen. Angesichts der aktuellen internationalen Lage sei es wichtig, dass „Europa selbstständiger wird und sich neuen Bedrohungslagen stellen kann“. Wie es nicht funktioniere, zeige sich in Großbritannien nach dem Brexit. Wirtschaftlich schlechte Lage, Migrations-Probleme und ein am Boden liegendes Gesundheitssystem seien nur einige Folgen des Brexits. So könne „ein Einzelstaat in Europa nicht existieren“. Noch mehr Zusammenarbeit wünscht sich Weeser daher in vielen Bereichen, besonders auch auf dem Energiesektor, bei dem Kernkraft kein Tabuwort sein dürfe.
Und worauf hofft sie bei der Europawahl? „Dass wir mindestens wieder die bisherigen fünf Sitze für die FDP im Parlament holen.“ Dafür kämpfe sie vor allem auch bei jungen Leuten, denn diesmal dürfen erstmals auch schon 16-Jährige an der Europawahl teilnehmen. Da gelte es der Radikalisierung der jungen Generation im Vorfeld Einhalt zu gebieten.
GS