Dialekt im Fokus beim Turmgespräch im Sinziger Schloss

„Was ist Rheinisch – und wie verhält es sich zum Sinziger Platt?

Sprachwissenschaftler Dr. Georg Cornelissen referierte über Dialekt und Regiolekt

„Was ist Rheinisch – und
wie verhält es sich zum Sinziger Platt?

04.07.2016 - 13:09

Sinzig. Als der Dialektforscher Georg Wenker vor knapp 140 Jahren über „Das rheinische Platt“ schrieb, war allen klar, was gemeint war: das Platt der preußischen Rheinprovinz. Heute gilt deutschlandweit das Kölsche als Inbegriff der rheinischen Sprache. Wie kommt es zu einer derartigen Vereinfachung? Und wie stehen der Kölner Stadtdialekt und das Sinziger Platt zueinander? Um dies und mehr zu klären, hatte der Verein zur Förderung der Denkmalpflege und des Heimatmuseums in Sinzig den Sprachwissenschaftler Dr. Georg Cornelissen als Experten zum Turmgespräch eingeladen.

Er leitet im Bonner Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), vielen noch bekannt als Amt für rheinische Landeskunde, die mit Dialekt, Sondersprachen und Namensforschung befasste Sprachabteilung. Die Sprachprofis sind der Sprachwirklichkeit auf der Spur. Durch Erhebungen und Publikationen zur allgegenwärtigen Umgangssprache erschließen sie einen wichtigen Bereich des sprachlichen Alltags. Neben ihren wissenschaftlichen Erkundungsinteressen beraten und begleiten die Fachleute Arbeitskreise und Vereine bei ihren örtlichen Sprachdokumentationen. So sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Ortsdialektwörterbücher mit fachlicher Unterstützung des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte erschienen. Auch im Kreis Ahrweiler profitierten Mundartautoren vom Fachwissen der Bonner.


Der Einfluss Kölns


„Die meisten Menschen tun so, als könne man Dialekte zweier Orte unterscheiden wie die Pfarrkirchen, kann man aber nicht“, räumte der Forscher gleich mit einem Vorurteil auf. Die Fragebögen zur Dokumentation der Sprachregion zeigten, dass selbst in einem Ort verschiedene Begriffe genutzt würden. „Sie haben es gut“, rief er den 40 Zuhörern in Sinzig zu, „dass Sie kein Wörterbuch haben, denn wo es eines gibt, sind die Leute besonders dogmatisch.“ Zwar gebe es zwischen den Orten feine Unterschiede. Grundsätzlich gelte jedoch, dass es zwischen benachbarten Dialekten keine Verständigungsprobleme gebe. Die Dialektsprecher hören genau heraus, woher der Gesprächspartner ist. Doch sind die Unterschiede nur aus der Nähe groß. Mit wachsendem Abstand werden die überwiegenden viel größeren Gemeinsamkeiten wahrgenommen.

Der Sprachforscher wies darauf hin, dass Fragebögen, die in zeitlichen Abständen wiederholt dasselbe abfragen, ein bewährtes Instrument zum Ablesen der Sprachentwicklung sind. So bat er den gebürtigen Sinziger Peter Billig, den Sinziger Beleg aus dem Wenker-Fragebogen von 1887 vorzulesen. Der lautete für „Die Bauern hatten fünf Ochsen und neun Kühe …“: Die Bauere hatten fönef Oße on neu Köh… Billig aber war versucht, „nöng Köh“ zu lesen, wie es inzwischen in Sinzig gebräuchlich und auch in Köln üblich ist. „Das ist der Einfluss Kölns; An solchen Sätzen, kann man gut erkennen, wie sich die Sprache ändert.“


Herkunft der Wörter


Cornelissen ging humorvoll mit dem Sprachverständnis in der Region um: „Rheinländer erzählen gerne Geschichten, wo Wörter herkommen. Ein Teil stimmt nicht, ein Teil ist erfunden, und den Rest machen wir in Bonn.“ Aus aktuellem Anlass bekannte der Wissenschaftler, „erster Fußballwortforscher der Welt“ zu sein. In seinem Büro hängt eine Karte über die Verteilung verschiedener Fußballwörter. Antworten aus Sinzig, Westum und Löhndorf auf den Dialekt-Fragebogen des Instituts von 2011 lauteten für „Fußball spielen“ etwa „knöche“, „bolze“, „kicke“, wobei „knöche“ auch hart arbeiten meint. Cornelissen hat festgestellt, „dass alle diese Anfang des 20. Jahrhunderts aufkommenden Wörter ursprünglich schlagen, kloppen, treten oder werfen bedeuten. So besagte das anderswo übliche Fußballwort „pöhlen“ früher, einen Knüppel in den Baum werfen, damit die Kirschen herunterfallen. Auch heute werden Begriffe von einem auf einen anderen Bereich übertragen: „Junge Leute sagen, von PC-Spielen ausgehend, „Fußball zocken.“

Werde über Rheinland und Rheinisch gesprochen, müsse man den Bereich definieren. Denn: „Es gibt historisch zwischen hier und Ostende keine Sprachgrenzen“. Bis ins 16. Jahrhundert existierten nur Ortsgrenzen, betonte Cornelissen. Wohl treten im Rheinland erhebliche Sprachunterschiede auf. Er stellte den „Rheinischen Fächer“ vor, ein System gedachter Linien, die der Sprachwissenschaft dazu dienen, die Dialekte in Deutschlands Westen zu gliedern, von Norden nach Süden vom Niederfränkischen über das Ripuarische und Moselfränkische zum Rheinfränkischen. „Rheinisch“, das lernten die Gäste, „ist ein hochkomplexer Begriff, der ganz unterschiedliche Sprachlagen meint.“ Für Sinzig in der moselfränkischen Sprachzone ist die Dorp-Dorf-Linie entscheidend. Dialektsprecher sagen nach Köln hin „Dorp“; südlich der Linie sprechen sie vom „Dorf“.


Von Dialekt bis Akzent


Außerdem bedeute Rheinisch, auf die Sprache bezogen, nicht nur rheinischer Dialekt. Auch Regiolekt, also dialektal geprägte Umgangssprache, rheinisch gefärbtes Hochdeutsch und rheinischer Akzent gehören dazu.

Für diese Ausprägungen nannte Cornelissen Sinziger Beispiele. Für den Literaturbestand des Denkmalvereins hatte er drei Veröffentlichungen des Instituts mitgebracht, darunter „unser Kassenschlager“, die siebte, erweiterte Auflage des Buches von Peter Honnen „Kappes, Knies und Klüngel: Regionalwörterbuch des Rheinlands“, erschienen beim Greven Verlag Köln.

Da wird manch einer gerne nachschlagen.

Auch eine Minimaldefinition des Rheinischen enthielt er den Sprachinteressierten nicht vor: „Wer im Urlaub als Kölner angesprochen wird, der ist Rheinländer“. Damit waren auch die Themenstichworte Rheinisch, Kölsch, Sinzig wieder vereint, zumal der Sinziger Peter Billig aus eigener Erfahrung die Bekanntheit des Kölschen belegen konnte.

Er habe 500 Dienstreisen in ganz Deutschland gemacht und sei überall als Kölner angesprochen worden. Warum das Rheinische andernorts als Kölsch durchgeht? Weil die Sprache „sicherlich der größte Dialekt des Rheinlands ist und der bekannteste durch die Musikgruppen“.

Außerdem wird mit Kölsch geworben. Die Beliebtheit von Dialekten nimmt in Deutschland in südlicher Richtung zu. Kölsch ist eine Ausnahme. Es wurde gerne gesprochen, weil die Hautevolee es vormachte. Dennoch sprechen zurzeit viel weniger Menschen Kölsch, als die Medien vermitteln. Der zweite Vereinsvorsitzende Matthias Röcke dankte Georg Cornelissen für die fundierte wie heitere Aufklärung über die Sprachwirklichkeit in der Region.

HG

Artikel bewerten

rating rating rating rating rating
Kommentare können für diesen Artikel nicht mehr erfasst werden.
Stellenmarkt
Weitere Berichte

Fassungslosigkeit und Entsetzen bei Angehörigen und Beobachtern

Ex-Landrat wird nicht angeklagt: Einstellung des Verfahrens schlägt hohe Wellen

Kreis Ahrweiler. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat am 17. April 2024 das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Landrat des Landkreises Ahrweiler und den Leiter der Technischen Einsatzleitung (TEL) während der Flutkatastrophe an der Ahr 2021 eingestellt. Die umfangreichen Ermittlungen ergaben keinen ausreichenden Tatverdacht, der eine strafrechtliche Verurteilung ermöglichen würde. Dem Leitenden... mehr...

Polizei bittet Verkehrsteilnehmer keine Anhalter mitzunehmen

Andernach: Fahndung nach flüchtigen Personen und dunklem BMW

Andernach. Seit Mittwochabend, 17. April, gegen 22.37 Uhr finden im Bereich Andernach umfangreiche polizeiliche Fahndungsmaßnahmen nach flüchtigen Personen statt. Gefahndet wird nach einem dunklen 5er BMW mit Mönchengladbacher Kennzeichen (MG). Bei Hinweisen auf das Fahrzeug wird gebeten, sich umgehend mit der Polizei Koblenz unter 0261/92156-0 in Verbindung zu setzen. Nach derzeitiger Einschätzung besteht keine Gefahr für die Bevölkerung. mehr...

Regional+
 

Unfallfahrer konnte sich nicht an Unfall erinnern

Neuwied: Sekundenschlaf führt zu 20.000 Euro-Schaden

Neuwied. Am Montag, 15. April ereignete sich gegen 16.35 Uhr ein Verkehrsunfall auf der Alteck. Ein PKW wurde im Seitengraben vorgefunden, während ein weiteres Fahrzeug auf der falschen Fahrbahnseite zum Stehen kam. mehr...

Die Veranstalter rechnen voraussichtlich mit 500 Teilnehmern

Demo in Ahrweiler: Wilhelmstraße wird gesperrt

Bad Neuenahr-Ahrweiler. Am Sonntag, den 21. April 2024, findet in Bad Neuenahr-Ahrweiler eine Versammlung unter dem Titel „Sei ein Mensch. Demokratie. Wählen“ statt. Die Veranstalter erwarten etwa 500 Teilnehmer. Aufgrund des geplanten Demonstrationszuges wird die Wilhelmstraße zeitweise gesperrt sein. mehr...

Anzeige
 
Sie müssen angemeldet sein, um einen Leserbeitrag erstellen zu können.
LESETIPPS
GelesenNeueste
Kommentare
Jürgen Schwarzmann :
Für alle Betroffenen im Ahrtal ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft schwer nachzuvollziehen. Ich hätte mir schon gewünscht, dass das Verfahren eröffnet worden wäre um so in einem rechtsstaatlichen Verfahren und einer ausführlichen Beweisaufnahme die Schuld bzw. Unschuld festzustellen. Die Entscheidung...
K. Schmidt:
Wenn ich das richtig sehe, gab es, bevor der Landkreis/Landrat die Einsatzleitung übernahm bzw. übernehmen musste, doch auch in den einzelnen Kommunen schon Leiter. Die staatsanwaltschaftlichen Arbeiten beziehen sich wohl nur auf Landrat bzw. dessen Kreisfeuerwehrleiter. Heißt das, darunter haben Herr...
K. Schmidt:
In der Pressekonferenz ging man auch auf die Warnungen und Hinweise dort, wo es sie gab, ausführlicher ein. So wurden Feuerwehrleute mancherorts belächelt, ignoriert, gar beschimpft. Dann frage ich mich, was soll dann irgendwer noch anderes tun? Wie will man denn jemanden regelrecht evakuieren, der...
Amir Samed:
Es sind nicht die Migranten, die Deutschland über Gebühr belasten, im Gegenteil, es sind die falschen, die mutwillig falsch hereingelassenen Migranten, und es sind die richtigen, die integren, fleißigen Migranten, die versuchen, mit den restlichen Deutschen dagegenzuhalten....
juergen mueller:
Liebe Frau Friedrich. Den werden weder Sie noch meine Wenigkeit überzeugen, ändern noch zum Schweigen bringen, einen, der doch fast nur von (vielleicht) klugen Sprüchen/Zitaten anderer lebt, das Internet auf der Suche nach Informationen durchforstet, die seine/r Meinung entsprechen/unterstützen u....
Amir Samed:
Zum Kommentar von Gabriele Friedrich einige (kluge) Worte von Margaret Thatcher: „Je lächerlicher, weit hergeholter und extremer ihre Versuche sind, uns zum Schweigen zu bringen, desto mehr freue ich mich darüber“...
Haftnotiz+
aktuelle Beilagen
Inhalt kann nicht geladen werden

 

Firma eintragen und Reichweite erhöhen!
Service