Premiere im Schlosstheater Neuwied

Der Reichsbürger - das Lachen bleibt im Halse stecken

Drama von Konstantin und Annalena Küspert Inszenierung: Rüdiger Pape, Ausstattung: Flavia Schwedler, Mann: Till Brinkmann

24.01.2020 - 08:08

Neuwied. Noch bevor die Zuschauer im gemütlichen Theatersaal der Neuwieder Landesbühne Platz genommen haben, sitzt er am Schminktisch auf der Bühne: Till Brinkmann, der Darsteller des Ein-Personen-Dramas „Der Reichsbürger“.

Vor einem rot-weiß gestreiften Vorhang aus Baustellen – Absperrbändern blickt er, mit einem Bademantel bekleidet in einen dreiteiligen Friseurkommodenspiegel aus den frühen Fünfzigern – außer dem Drehstuhl, auf dem er sitzt, das einzige Möbel auf der Bühne. Dann stellt er sich vor: „Gernot Scholz, gelernter Rheinländer, keine Kinder, einen Hund. Wie ein professioneller Motivationstrainer bringt er im Anschluss die Theaterbesucher in Stimmung. Alle stehen auf, machen mit, rufen „Chaka“.

Gern lassen wir uns motivieren und zum Applaudieren verführen, es ist ja schließlich ein netter Abend unter netten Menschen. Dann verschwindet der Darsteller hinter dem Vorhang und zieht sich um, immer noch zur Belustigung des Publikums. Mit giftgrünem Anzug bekleidet springt er mitten durch den Vorhang und wird mit großem Hallo und Applaus begrüßt. „Wir sind alle ehrlich...“ beginnt er. Und der Abend scheint sich zu einem interaktiven Theater zu entwickeln, bis... ja bis der „gelernte Rheinländer“ Scholz behauptet: „Sie sind nicht frei!“ Und dann rückt er nach und nach heraus mit der Sprache, mit allen Klischees, wirklich allen. Vom falschen Geld Euro ist die Rede, vom Personalausweis, statt Personenausweis, von „Besatzungsmächten“, die immer noch im Land seien, von dem nicht vorhandenen Friedensvertrag und davon, dass es „Deutschland“ gar nicht gebe und somit die Grenzen von 1937 noch immer gültig seien. „Ich kann doch selbst auf mich aufpassen, oder? Es geht um die systematische Unterdrückung des deutschen Volkes.“

Wer bisher noch milde gelächelt hat ob der Einfalt der Argumentationen, dem bleibt dieses Lächeln oder Lachen spätestens im Halse stecken, als der nun klar erkennbare Reichsbürger von einem „Volk der Führer, stark und schlau“ spricht oder von „Gutmenschen“ - zu gut für diese Welt. „Der Schwarze“ sei stark und robust, während der Asiate zerbrechlich, aber sehr fleißig sei.

Es wird nichts ausgelassen, und tatsächlich lacht noch jemand, als der Reichsbürger meint, seit den 50er Jahren sei bei den Deutschen „schlichtes Genmaterial eingekreuzt“ worden. Er redet sich in Rage, lässt nichts aus, Frauen, die Burka tragen, Jugend die ohne Disziplin aufwächst, er habe kein Mitleid. Derweil schminkt er sein Gesicht zur Hälfte weiß, verschwindet hinter dem Vorhang und taucht wenig später wieder auf, ohne Jackett, mit bloßen Armen und geht auf die Bundeskanzlerin Merkel los: „Wir schaffen das“ - sie habe es übertrieben. Mittlerweile ist eisiges Schweigen im Publikum, und eine erneute „Chaka“ - Übung verhallt ohne Echo. Niemand steht mehr auf.

Der Reichsbürger redet sich in Rage, wird laut: „Wir sind im Krieg!“ „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen“ schreit er. Und endlich: „Wir gründen einen neuen Staat: Neuwiediana.“ Er lässt den Theaterraum ringsum mit dem Baustellenband einrahmen und Pässe verteilen. Jede der möchte, bekommt einen. Die Staatsform ist die Monarchie, die Verfassung passt auf einen Bierdeckel. Nur seine Vorstellung von Recht und Gesetz wird genommen: „Christentum ist Staatsreligion, oder wollen Sie eine Moschee in Ihrer Nachbarschaft?“ Homoehe, Asylrecht, Einwürfe des Publikums quittiert er mit: „Darum kümmern wir uns später.“

In der letzten Verwandlung schreitet der Reichsbürger durch den Vorhang, geschminkt ist er jetzt wie der böse Clown aus der Geschichte von Stephen King, wirft sich den hermelinbesetzten Umhang um und setzt sich die Krone auf. „Alle, die keinen Pass haben, müssen jetzt raus“. Die Szene wird bedrohlich. Und das Geld wird zur Verteidigung gebraucht – leider auch mit Waffen.“

Am Ende sitzt man einigermaßen sprachlos da. Wie lange ist man den „Argumenten“ des Reichsbürgers gefolgt? Wann begann man zu zweifeln, hatte er doch anfangs ganz harmlose Antworten auf ebensolche Fragen gehabt. Fragen, die der eine oder andere sich schon selbst einmal gestellt hatte.

Es war ganz ohne Zweifel eine grandiose Leistung des Schauspielers Till Brinkmann, der fast zwei Stunden ohne Unterbrechung auf der Bühne tanzte, schmeichelte, motivierte, tobte und letztlich den Wahnsinnigen spielte – den Reichsbürger halt.

Diese Leistung und auch die des Regisseurs Rüdiger Pape, seiner Assistentin Hannah Pelz, der Ausstatterin Flavia Schwedler sowie allen weiteren Mitgestaltern dieses spannenden und an die Nerven gehenden Theaterabends wurde dann auch vom Publikum mit frenetischem Applaus gewürdigt. Ein abschließendes Fazit: Theater ist nicht immer nur lustig, dramatisch oder unterhaltsam – es kann auch das Publikum auf die Probe stellen und zum Nachdenken bringen. In Neuwied ist all dies gelungen. Hut ab und Respekt!


Weitere Vorstellungen


Zu sehen ist das Stück noch bis zum 5. Februar und am 13. März. Infos und Karten gibt es unter www.schlosstheater.de


Reichsbürger


Reichsbürger sind Menschen, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag zurückziehen, die die Rechtmäßigkeit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Gesetze nicht anerkennen und ganz nach Belieben ihre eigenen Kleinstaaten, Reichskanzler und Kaiser an ihre Stelle setzen. Lange als Spinner, als Realitätsverweigerer abgetan, ex-zentrisch, aber harmlos, hat das Thema durch tödlichen Widerstand gegen Polizisten und nach Waffen- und Sprengstofffunden eine ganz neue Brisanz bekommen. Die Zahl der Reichsbürger in Deutschland wächst derzeit rasant. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes gibt es in Deutschland im April 2018 knapp 18.000 „Reichsbürger“.

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