Generalversammlung des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau

Schäfer: „Hoffentlich bringt das nächste Jahr keine leeren Lebensmittelregale“

Bauern und Winzer im Kreis Ahrweiler blicken auf zwei äußerst herausfordernde Jahre mit Corona, der Flut und dem Krieg in der Ukraine zurück – Gastredner Jan Fleischhauer mit einem Parforceritt durch die Krisen der Welt

17.10.2022 - 16:26

Dernau. Auf zwei äußerst herausfordernde Jahre blickte Franz-Josef Schäfer, der Kreisvorsitzende des Bauern- und Winzerverbandes, bei der Generalversammlung zurück. „Bis 2020 war die Welt noch verhältnismäßig in Ordnung“, erinnerte er sich im Culinarium der Weinmanufaktur Dagernova in Dernau. Berufsspezifische Fragen hätten im Vordergrund gestanden, wie die neue gemeinsame Agrarpolitik der EU, die afrikanische Schweinepest, die überbordende Bürokratie – „Bauernthemen eben“. Doch dann hätten drei Ereignisse auch die Landwirte und Winzer mit voller Wucht getroffen, „die wir in unserer Wohlfühlwelt nicht mehr auf dem Schirm hatten.“ Zuerst Corona, dann die Flutkatastrophe und schließlich auch noch der Krieg in der Ukraine.

Dabei habe die erzwungene Immobilität im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie seinem Berufsstand sogar noch in gewisser Weise Vorteile verschafft, denn die Verbraucher hätten ihr Geld damals nur in der Heimat ausgeben können, und die Nachfrage nach hochwertigen, regional erzeugten Lebensmitteln sei erfreulicherweise gestiegen. „Doch dann kam die Flut, mit deren Bewältigung noch eine Mammutaufgabe für die nächsten Jahre vor uns liegt.“ Beeindruckt sei er vor allem von der Hilfsbereitschaft der Menschen aus nah und fern gewesen, die den Flutopfern teils monatelang geholfen hätten. Darunter auch zahlreiche Landwirte und Winzer. „Alle fuhren sofort los, mitten in der Getreideernte und obwohl viele selbst betroffen waren.“


Wütend über die politische Aufarbeitung der Flut


Wütend mache ihn jedoch die politische Aufarbeitung der Flut, denn da habe es beispielsweise bei der Gedenkveranstaltung zum Jahrestag am Nürburgring nur ein kollektives Schulterklopfen von Landesregierung, ADD und Helferorganisationen gegeben – „kein Wort zu den privaten Helfern, die in den ersten Wochen den Karren aus dem Dreck gezogen haben.“ An Zynismus nicht zu überbieten sei jedoch die Rechtfertigung des mittlerweile zurückgetretenen rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz (SPD), er habe auf den Hubschraubervideos keinen Grund zum Eingreifen erkennen können. „Es ist längst überfällig, Fehler einzugestehen und sich zu entschuldigen, das ist doch ein Zeichen von Stärke und Rückgrat.“

Der Einmarsch Putins in die Ukraine habe die jahrzehntelange Doktrin von „Wandel durch Handel“ endgültig ad absurdum geführt. „Heute stehen wir vor dem Scherbenhaufen unserer Russland-Politik“, wusste Schäfer und fragte sich, wie man habe glauben können, dass sich Putin vom KGB-Spion in Ostdeutschland zum lupenreinen Demokraten entwickeln würde. Durch den Krieg in der Ukraine seien die Probleme in den Lieferketten noch einmal drastisch verstärkt worden. „Wer hätte sich vorstellen können, dass ein grüner Wirtschaftsminister nach Katar fliegt und einen Kniefall vor den Scheichs mit der Bitte um Gaslieferung macht – den gleichen Scheichs, die wegen der Menschenrechtsverletzungen beim Bau der Fußballstadien geächtet werden“, konnte er nur den Kopf schütteln. „Frackinggas aus den USA ist plötzlich nicht mehr tabu, und alte Kohlekraftwerke werden mit kolumbianischer Kohle wieder hochgefahren.“


Lebensmittelversorgung in Gefahr


Die grüne Ausrichtung der europäischen Agrarpolitik sage für die Lebensmittelversorgung in der nahen Zukunft einen erhöhten Zukaufbedarf voraus, da Europa ja die Produktion bewusst zurückfahre. Reduktionsziele bei Pflanzenschutzmitteln und die zunehmende Versiegelung und damit der Verlust landwirtschaftlich genutzter Fläche trügen ebenfalls dazu bei. Dieser Zukauf sollte eigentlich in der Ukraine und in Russland gedeckt werden – was daraus geworden sei, sehe man tagtäglich in den Nachrichten. „Und wir diskutieren monatelang mit der EU und dem Landwirtschaftsministerium darüber, ob die Zwangsstilllegungen und Fruchtfolgeregelungen nicht um ein Jahr verschieben können.“ Europa reduziere bewusst die Produktion auf heimischen Flächen und trete stattdessen als Käufer auf dem Weltmarkt auf, als Konkurrent zu den ärmsten Staaten. „Wir verzichten auf die am besten, nachhaltigsten und nach den höchsten Standards produzierten Lebensmittel und bedienen uns dann auf dem Weltmarkt.“ Zudem seien die Preise für Betriebsmittel explodiert, und hinter deren Verfügbarkeit stünden große Fragezeichen. Schäfer: „Mal sehen, was das nächste Jahr bringt – hoffentlich keine leeren Lebensmittelregale.“

Michael Horper, der Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau, merkte mit Blick auf die Politik ebenfalls an, es müsse alles dafür getan werden, dass Lebensmittel nach modernen, vernünftigen Richtlinien und guter fachlicher Praxis produziert werden. „Wenn zwei Tage lang die Kühlschränke leer bleiben würden, gäbe es auch in der Politik ein Umdenken“, war er überzeugt.


Landrätin Weigand lobt die Arbeit der Landwirte


Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) lobte in ihrem Grußwort ebenfalls die Landwirte für ihre Hilfe nach der Flutkatastrophe. Wenn man heute durch die Dörfer fahre, sehe man an ganz vielen Stellen, dass etwas passiere, „und das gibt uns Mut, auch wenn der Weg noch weit ist.“ Daran hätten auch die Landwirte und Winzer einen großen Anteil, denn mit ihrer tatkräftigen Unterstützung hätten sie den Betroffenen den Mut gegeben, anzupacken und weiterzumachen. Ein Sonderlob hatte sie für den Weinbau-Präsidenten Hubert Pauly, der es irgendwie hinbekommen habe, dass die Weinlese im Ahrtal im vergangenen Jahr trotz denkbar schlechter Voraussetzungen fast komplett eingebracht werden konnte – „eine der vielen Meisterleistungen, die nur durch großes Engagement zustande gekommen sind.“ Weigand wies darauf hin, dass die Landwirte im Kreis mittlerweile 1,2 Millionen Euro aus dem Wiederaufbaufonds für ihre Ernteausfälle erhalten hätten, von 207 entsprechenden Anträgen seien bereits 132 abgeschlossen. Und noch bis 30. Juni 2023 könnten weitere Anträge eingereicht werden – unter bestimmten Voraussetzungen sogar für Ernteausfälle 2022.

Bei der Bewältigung des Klimawandels komme der Landwirtschaft eine ganz besondere Bedeutung zu, so die Landrätin weiter. Die Geschwindigkeit der Veränderung sei das große Problem. Die Frage, wie damit umzugehen sei, stelle auch die Landwirtschaft vor große Herausforderungen. Welche Kulturarten sind künftig noch geeignet für den Anbau? So manche einheimische Pflanze dürfte in Zukunft von wärmeresistenteren Pflanzen verdrängt werden, glaubt Weigand. Auch bei der Flächennutzung müssten Kompromisse eingegangen werden zwischen der Wasserrückhaltung für den Hochwasserschutz und der Nahrungsmittelproduktion. „Sie haben viel zu schultern im Bereich des Klimawandels und de Klimaanpassung“, wusste sie und dankte insbesondere dem Bauern- und Winzerverband für die hervorragende Zusammenarbeit mit der Kreisverwaltung, denn die anstehenden Herausforderungen könne man nur gemeinsam bewältigen.


Weinbaupräsident Hubert Pauly hat Demut gelernt


Weinbaupräsident Hubert Pauly hatte als schwer von der Flut Betroffener vor allem Demut gelernt, denn heute wisse er, was fließendes Wasser und eine brennende Lampe wert seien. Angesichts der Tatsache, dass weltweit 850 Millionen Menschen Hunger litten, seien die Landwirte auch in Zukunft wichtige Leute, denn nur sie seien in der Lage, die notwendigen Nahrungsmitteln zu produzieren. Deshalb sei es umso schöner, dass es an der Ahr 2022 eine hervorragende Weinlese gegeben habe, sowohl quantitativ wie auch qualitativ, „und das haben wir uns auch verdient“, rief Pauli angesichts der Probleme, die man gemeinsam gemeistert habe. Er appellierte an die Politik und die Verbände, den Landwirten die notwendige Kraft und Stärke zu geben, um auch in Zukunft das kleine Weinbaugebiet in seiner Spitzenposition zu halten. „Denn ohne Weinbau würde an der Ahr nicht mehr viel stattfinden.“

Gastredner bei der Generalversammlung der Bauern und Winzer war der Journalist Jan Fleischhauer. Der frühere Spiegel-Kolumnist sieht seine Aufgabe nach eigenen Worten darin, einer Weltsicht Stimme zu verleihen, von der er meint, dass sie in den deutschen Medien unterrepräsentiert sei. „Also im Zweifel gegen Herdentrieb, Gemeinplätze und Denkschablonen.“ Wobei er zugab, mittlerweile sogar als gestandener politischer Journalist so seine Probleme zu haben, mit den immer schnelleren Volten in der Politik mitzukommen. Als konservativer Kolumnist habe er erstaunlicherweise sein Herz für eine grüne Außenministerin entdeckt: „Ich gebe zu: ich bin froh, dass Annalena Baerbock im Außenamt sitzt und nicht Lars Klingbeil oder Kevin Künert.“ In Berlin werde jedenfalls weiter an einem Wolkenkuckucksheim gezimmert, „das ist einerseits faszinierend, aber auch beängstigend.“


Mit Humor und Nonchalance über die Hürden


In einem atemlosen Parforce-Ritt preschte Fleischhauer nun durch das Dickicht der aktuellen Krisen und Probleme Deutschlands und der Welt. So manche für das Publikum fast unüberwindlich erscheinende Denkhürde nahm er dabei mit Humor und Nonchalance. So habe er in den vergangenen beiden Jahren den Eindruck gewonnen, dass alle Grundrechte außer Kraft gesetzt werden könnten – außer dem Datenschutz. Mittlerweile seien jedoch wieder Werte und Tugenden en vogue, von denen er gedacht habe, sie seien für immer verschwunden. Was eben noch unmöglich schien, sei jetzt selbstverständlich. So gesehen hätten Krisen nicht nur schlechte Seiten, denn sie zwängen die Protagonisten auch zum Realismus. Und selbst die aktuelle Ampelregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz bekam noch ihre Streicheleinheiten, zumal Fleischhauer zugab, diesmal selbst die FDP gewählt zu haben: „Was immer die Ampel noch beschließen wird – alles ist besser als Rot-Rot-Grün.“ JOST

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Gabriele Friedrich:
Ein echt blöder Artikel. ...
Thola2:
Sehr geehrter Herr Schürer, willkommen im Leben, willkommen in 2024! Und jetzt???? Was will mir der "Dichter" damit sagen?? Das Geschilderte ist ganz normal in Deutschland. Wollen Sie uns Belehren? Und: 8 Uhr "früh"?? Das können nur Studenten oder Arbeitslose behaupten. Ich "maloche" schon um...
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