Als es in den Schulen noch die Prügelstrafe gab
Vernachlässigung des Unterrichts wog schwer – Lehrer durften die Schüler züchtigen
Kottenheim/Region. „Die Erziehung und Unterrichtung der Jugend war seither die erste und wichtigste Angelegenheit bey einem gebildeten Volke“, hieß es einleitend in einer Schrift von 1811, die sich mit dem Thema „Von dem wichtigen Einflusse der Vernachlässigung der häuslichen Erziehung pp.“ befasste. Den Schul- und Religionsunterricht etwa schleifen zu lassen, war schon im preußischen Staat ein nicht hingenommener Zustand; die Erziehung der Kinder zu guten Staatsbürgern nach den damaligen Vorstellungen hatte einen hohen Stellenwert. 1828 schreibt die Königliche Regierung zu Coblenz in ihrem Amts-Blatt Nr. 47: „Da es sich noch zuweilen ereignet, dass Kinder ohne allen Schul- und Religionsunterricht aufwachsen, (…) zu dem bürgerlichen Leben übergehen, (…) wenn solche Individuen Verbrechen begangen haben, und die Frage der Zurechnungsfähigkeit entsteht, (…) so sollen die Ortsgeistlichen zu gehöriger Aufmerksamkeit auf diesen wichtigen Gegenstand angehalten werden, damit solche Fälle gänzlicher Vernachlässigung des Schul- und Religionsunterrichtes nicht wieder vorkommen.“ Weiter hieß es: „…Wir hegen das Vertrauen zu den Herrn Ortsgeistlichen, daß sie zur Erreichung der Allerhöchsten, wahrhaft landesväterlichen Absicht Sr. Majestät des Königs, das Ihrige umso gewissenhafter beitragen werden, je schwerer sie es vor Gott und der weltlichen Obrigkeit zu verantworten haben würden, wenn aus Kindern ihrer Gemeinde, indem sie sich um den Unterricht der armen, von ihren Eltern und Angehörigen verwahrlosten Kinder nicht bekümmerten, und ihre Seelen der Verwilderung und dem Verderben preisgaben. Auch zweifeln wir nicht, dass die Schullehrer zur Beförderung eines regelmäßigen Schulbesuches im Gefühl ihrer Pflicht sorgfältigst mitwirken werden.“ Doch hielt man es auch für möglich, „…dass unter den Ortsgeistlichen und Schullehrern einzelne diese ihre heilige Obliegenheit gewissenlos hintenansetzten.“ In solchen Fällen wurde eine sofortige Anzeige bei den betreffenden Behörden angeregt. Wurde der Unterricht durch Schüler versäumt, so hatte die Schulleitung die Namen an den Bürgermeister zu melden. In 18 Paragraphen regelte die Königliche Regierung zu Coblenz 1836 im Amtsblatt Nr. 38, was auf Eltern der „Schulschwänzer“ zukam: „…Der Maßstab der zu erkennenden Strafen ist in der Allerhöchsten Kabinetts-Ordre v. 30.6. d. J. auf ein Silbergroschen bis ein Thaler bestimmt und kann nach den Umständen eine Gefängnisstrafe bis auf die Dauer von 24 Stunden in dem Verhältnisse substituirt werden, dass der Betrag von fünf Sgr. einem vierstündigen Gefängnisse gleichgestellt wird.“
In den Schulen ging es, was den Umgang zwischen Lehrer und Schüler betrifft, ganz anders zu, wie wir dies heute vom Lehrer-Schüler-Verhältnis kennen. So steht u. a. 1925 in der Kottenheimer Schulchronik II: „…Herr Thomas, dessen ehemalige Schüler sich heute noch rühmen, dass sie bei ihm am meisten gelernt, aber auch am meisten Prügel bekommen hätten.“ Lehrer Josef Thomas war an der hiesigen Volksschule von 1853 – 1894 tätig.
Ein körperliches Züchtigungsrecht wurde den Lehrern nicht als Verfehlung, sondern ausdrücklich zugebilligt und leichtere Blessuren als Folge selbst von den Gerichten als normal angesehen. In einem Bericht der Mayener Zeitung v. 20.3.1890, in dem dazu das preußische Oberverwaltungsgericht zitiert wurde, hieß es: „…Der Lehrer ist zur Vornahme empfindlicher körperlicher Züchtigung berechtigt. Eine merkliche Verletzung ist eine solche, durch welche Gesundheit und Leben des Schülers gefährdet erscheint. Blutunterlaufungen, blaue Flecke, Striemen für sich allein gehören nicht hierzu; denn jede empfindliche Züchtigung, und zu einer solchen ist der Lehrer berechtigt, lässt derartige Erscheinungen zurück. (…) Das Verhalten des Schülers außerhalb der Schule unterliegt ebenfalls der Schulzucht. (…) Die Schulzucht kann nur dann Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens werden, wenn eine wirkliche Verletzung stattgefunden hat.“
In den 1950er Jahren, also fern von der einstigen preußischen Billigung einer körperlichen Züchtigung, wurden an unserer Schule auch noch Schüler bei den verschiedensten „Verfehlungen“ – meist waren es immer die gleichen Betroffenen – nach vorne zitiert, über die erste Bank gelegt und dann mit Stockschlägen auf ihr Gesäß bestraft. Ein so häufig betroffener Klassenkamerad hielt sich schon beim Nachvornegehen schreiend den Hosenboden fest, was uns Kinder, den unfreiwilligen Zeugen der Aktion, irgendwie doch schadenfroh belustigte. Ein anderer Lehrer bestrafte nicht mit dem Stock, sondern hatte die Angewohnheit, sich neben einen zu stellen und mit gekrümmtem Finger „Kopfnüsse“ auszuteilen, was auch nicht sehr angenehm war. Musikunterricht hatten wir meist mit mehreren Klassen zusammen und wenn dann der geigenspielende Lehrer durch irgendeine Unaufmerksamkeit gestört und gereizt wurde, dann stürmte er durch die Reihen und schlug fest auf den Störenfried ein. Undenkbar, dass wir Schüler damals den Lehrer mit „Chill dich Alter“ zu beschwichtigen versucht hätten. Solche Redensarten und Sprüche sollen hin und wieder heute in den Klassenräumen zu hören sein. Man stelle sich vor, was los wäre, wenn ein Schüler vom Unterricht nach Hause käme und den Eltern berichten würde, dass er vom Lehrer vor der versammelten Klassengemeinschaft auf die Bank gelegt und mit einem Stock geschlagen worden sei. Dies kann zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, klingt in der heutigen Zeit jedoch ziemlich realitätsfremd.
Ob sich nach solchen Strafaktionen in der Schule mal Eltern bei der Leitung oder höheren Orts beschwert haben, ist nicht bekannt. M. E. wurde dies früher noch so hingenommen, denn ein Lehrer war zumindest bei den Dorfbewohnern eine Größe, die unangreifbar schien. Bei uns zu Hause hieß es, wenn man über ein schulisches Erlebnis oder eine Zurechtweisung murrte: „Der Lehrer wird schon recht haben.“
Was an Erziehung und Respekt von den Eltern nicht „in die Wiege“ gelegt wurde, kann ein Lehrer in der Schule aber kaum mehr nachholen, erst recht nicht mit einem Stock.
Franz G. Bell