Seelsorgerinnen und Seelsorger von Kirche:mobil aus Völklingen beenden Einsatz in Bad Neuenahr-Ahrweiler nach zehn Monaten

„Aus gemeinsamer Not ist große Solidarität entstanden“

„Aus gemeinsamer Not ist
große Solidarität entstanden“

Pastoralreferentin Martina Zimmer und die Diakone Hans-Josef Puch und Christoph Storb (von links) haben für die Menschen im Ahrtal ein offenes Ohr und im kirche:mobil stets frisches Obst mit im Gepäck. Foto: Julia Fröder/Bistum Trier

07.07.2022 - 10:48

Völklingen/Bad Neuenahr. Seit einem Jahr ist im Ahrtal nichts mehr, wie es war. Die Flut in der Nacht auf den 15. Juli 2021 hat Menschen getötet, Gebäude zerstört und Orte dem Erdboden gleich gemacht. Neben finanzieller Unterstützung und praktischer Hilfe beim Wiederaufbau ist es für die Betroffenen genauso wichtig, Traumata zu bewältigen. Regelmäßig sind daher Seelsorgerinnen und Seelsorger der Pfarrei Heilig Kreuz im Warndt aus Völklingen mit dem kirche:mobil - einem umgebauten Kastenwagen - ins Ahrtal gefahren, um den Menschen ein Gesprächsangebot zu machen. Nach 25 Besuchen in zehn Monaten und geschätzt 5000 Gesprächen ziehen die Gruppe nun Bilanz.

„Die Idee war, Zeit für die Menschen mitzubringen, ein offenes Ohr für alle zu haben, die reden wollen oder Trost suchen“, sagt Diakon Christoph Storb. Ausgestattet mit Körben voller Obst und einem kleinen Geschenk haben sich immer zwei Leute aus dem achtköpfigen ökumenischen Team immer montags anfangs abwechselnd am Bahnhof in Ahrweiler und vor der Rosenkranzkirche in Bad Neuenahr gestellt. Seit Oktober war der Alte Markt in Bad Neuenahr fester Anlaufpunkt.

„Ich habe als Seelsorger viele Trauergespräche geführt, darunter waren auch viele schlimme Schicksalsschläge, aber die Gespräche im Ahrtal hatten eine andere, noch dramatischere Qualität“, blickt Storb zurück, „viele waren und sind noch immer traumatisiert. Menschen hören noch heute die Schreie des Nachbarn, der auf seinem Dach sitzt und um Hilfe ruft.“ Neben Gesprächen vermittelte das kirche:mobil auch den Kontakt zu örtlichen Seelsorgern, Notanlaufstellen und weiteren Hilfsangeboten. „Kirche muss da sein. Wenn Kirche nicht im Ahrtal vor Ort ist, braucht man diese Kirche nicht.“


Einsatz beendet, der Kontakt bleibt


Am 16. Mai sollte die letzte Fahrt des kirche:mobil ins Flutgebiet sein. „Doch an diesem Tag hat es im Ahrtal so heftig gegossen, dass man dachte: Die Flut kommt wieder“, erinnert sich Storb, der an diesem Tag mit dem evangelischen Pfarrer Hans-Lothar Hölscher ins Ahrtal gefahren ist. Die Feuerwehr war im Dauereinsatz und pumpte Keller aus. „Wir haben gespürt, dass die ganze Angst auf einen Schlag wieder da war und wussten: Das kann heute kein Abschied sein“, blickt der Diakon zurück. Daher seien sie am 27. Juni ein weiteres Mal gefahren. Rund 200 Gespräche pro Tag hat das Team geführt, mit der Zeit hat sich ein fester Stamm von etwa 50 Leuten herausgebildet, die regelmäßig ans Mobil kamen. Doch der Abschluss soll kein Ende sein: Mit vielen „Stammkunden“ sind Nummern getauscht, der Kontakt besteht per WhatsApp oder auch per Brief fort.

Die Sorgen, mit denen die Menschen kamen, hätten sich im Laufe der Zeit geändert. „Anfangs ging es natürlich vor allem um die Flutnacht. Diese hat das Leben der Menschen völlig umgekrempelt, viele haben alles verloren und nur mit Mühe und Not ihr Leben gerettet. Jeder kennt jemanden, der gestorben ist“, berichtet Storb. Nach Angst und Panik kamen die Zukunftssorgen. „Trauen wir uns zu, hier zu bleiben angesichts der Angst, dass die Flut wiederkommt? Ziehen wir weg? Ist unser Haus verloren oder kann es doch noch gerettet werden?“, nennt der Diakon einige Fragen. Hinzu sei der Ärger mit den Versicherungen und die schleppenden Zahlungen der öffentlichen Hand gekommen. Neben Trauer, Verzweiflung und Panik erlebe er auch Wut. Wut auf Fehler von Behörden und Verantwortlichen – sowohl durch zu späte Alarmierungen in der Flutnacht, als auch danach, weil Gelder nicht wie versprochen schnell und unbürokratisch ausgezahlt würden. „Die Wut ist immer noch da. Das ist auch nicht wieder gutzumachen.“


Kraft aus der Gemeinschaft schöpfen


Dem Diakon fallen viele besondere Begegnungen ein. „Aus gemeinsamer Not ist große Solidarität entstanden“, zeigt er sich vom Gemeinsinn beeindruckt. Besonders ein Obdachloser sei ihm ans Herz gewachsen, der auf dem Alten Markt in Bad Neuenahr lebt. „Er ist technisch begabt, hat in seinem Fahrradkorb viele Werkzeuge und hat vielen geholfen und war für sie da.“ Oder ein Rollstuhlfahrer, der jede Woche am kirche:mobil Halt machte und schließlich begann, auch Gespräche mit den Menschen zu führen. „Hier ist eine Gemeinschaft gewachsen, aus der alle Kraft geschöpft haben. Ich hoffe, dass die Gemeinschaft weiter besteht - dafür braucht es ja nicht mich dazu.“ Hinter der Aktion des kirche:mobil stehe die gesamte Pfarrei Heilig Kreuz im Warndt in Völklingen, die im Hintergrund tatkräftig unterstützt habe. So wurden etwas an Weihnachten 450 Päckchen für die Bewohner im Ahrtal gepackt.

Storb habe erlebt, wie der Glaube Menschen angesichts der Katastrophe Halt gegeben hat. Genauso aber auch die Frage, wie Gott eine solche Katastrophe zulassen könne. „Es ist ein Gott, mit dem man hadern darf. Er hält das aus, wenn man ihn auch mal anschreit“, sagt Storb und ergänzt: „Zu einem guten Glauben gehört für mich der Zweifel. Eine gute Antwort darauf, warum Gott das zulässt, wo er doch Noah versprochen hat, dass eine solche Flut nicht mehr kommt, gibt es nicht. Da ist die Frage erlaubt: Wo bist Du, Gott?“

Pressemitteilung Bischöfliche

Pressestelle Trier

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