Allgemeine Berichte | 19.05.2016

Verein „Gemeinsam wohnen“ feierte sein zehnjähriges Bestehen

Ein Einblick in das reale Leben

Bernd Bodewing (Agenda-21-Büro), Christine Holzing, Susanne Ott und Dr. Henning Scherf stellten sich zum Erinnerungsfoto.privat

Koblenz. Auf Einladung des Vereins „Gemeinsam Wohnen“, der sein zehnjähriges Bestehen feiern konnte, war Dr. Henning Scherf zu Gast im Forum Confluentes, um von seinen Erfahrungen und seinem Wissen rund um das gemeinschaftliche Wohnen zu berichten. Gemeinsam mit der Stadtbibliothek Koblenz und dem Agenda-21-Büro des Umweltamtes war zum Vortrag „Gemeinschaftlich wohnen, auch in Koblenz?!“ eingeladen worden. Rund 250 Besucher waren der Einladung gefolgt. Die Mehrheit wurde vom Referenten persönlich begrüßt, der sich bis zum Veranstaltungsbeginn durch die Stuhlreihen bewegte und den Kontakt zum Publikum suchte. Den jüngsten Besucher, Can (acht Jahre), lud er dann gleich ein, doch den für ihn vorgesehenen Podiumsplatz einzunehmen, was Can gern annahm. Im Verlauf des Abends band Scherf seinen jungen Gast immer wieder ins Gespräch ein, der ganz unbefangen seinem Gastgeber antwortete.

Nach der Begrüßung durch Susanne Ott, Leiterin der Stadtbibliothek, und einleitenden Worten durch Christine Holzing zum Verein „Gemeinsam Wohnen“ und der Situation in Koblenz berichtete Scherf von seinen ganz persönlichen Erfahrungen aus dem selbst begründeten Projekt in Bremen. Durch die langjährige Beschäftigung mit dem Thema flossen auch viele hilfreiche Hinweise auf andere Projekte ein.

Das eigene Projekt in Bremen entstand auf Eigentumsbasis. Dank Eigenheimen, die einige der Projektbeteiligten verkauften, stand ein Grundstock an Eigenkapital bereit, der natürlich durch Kredite aufgestockt werden musste. Nicht alle konnten Eigenkapital beisteuern. Trotzdem fand sich für jeden eine Lösung, wie er ins Projekt einziehen und seinen Beitrag leisten konnte. Auch der Architekt wurde trotz der vielen individuellen Wünsche nicht an den Rand der Verzweiflung gebracht.

Im Hinblick auf das Älterwerden wurde darauf geachtet, keine Barrieren zu schaffen, die später im Bedarfsfall wieder beseitigt werden müssen. So wurden Duschen statt Wannenbädern eingebaut, auf ausreichende Türbreiten wurde geachtet. Jeder hat die Möglichkeit, die Tür hinter sich abzuschließen und allein zu sein, wenn er möchte.

Einzig ein fester Frühstückstermin an jedem Samstag ist vorgegeben. Hier wird dann alles besprochen, was wichtig. Alles andere ergibt sich von selbst. Im Lauf der Jahre reduzierte sich die Autoflotte zunehmend, das Fahrrad wurde zum wichtigen Verkehrsmittel für die Bewohner. Die beiden verbliebenen Autos werden bewusster eingesetzt. Zum Einkauf fahren dann gleich mehrere gemeinsam statt jeder für sich allein.

Dem Wunsch entsprochen

Das Thema Pflege wurde zunächst nicht weiter betrachtet. Doch zwei Jahre nach dem Bezug holte die Realität die Gemeinschaft ein. Eine Bewohnerin war sterbenskrank und bat darum, im Haus bleiben zu können und von den anderen unterstützt zu werden. Dem Wunsch konnte entsprochen werden, da sich die „Last“ auf viele Schultern verteilen ließ. Was eine Person oft kaum zu leisten vermag und diese häufig überfordert, konnte durch zehn Personen der Gemeinschaft und die Unterstützung durch einen Arzt aus der Nachbarschaft geleistet werden. „Oft reicht allein die Anwesenheit einer anderen Person, um der Kranken Sicherheit zu vermitteln“, berichtet Dr. Scherf.

Mittlerweile sind fast drei Jahrzehnte vergangen. Drei Jahrzehnte, in denen ein weiterer Bewohner nach langer Krankheit verstorben ist und zwei weitere leichtere Schlaganfälle erlitten haben. Auch in diesen Fällen hat sich die Gemeinschaft bewährt. Gerade bei den Schlaganfällen hat die Gemeinschaft viel dazu beigetragen, dass diese Mitbewohner nicht in die Isolation geraten sind, sondern heute wieder aktiv am Leben teilnehmen.

Die Zeit im Projekt und die gemachten Erfahrungen haben dazu beigetragen, dass die Bewohner für ihre Zukunft vorgesorgt haben. Einerseits wurden sich Gedanken gemacht, ob und wie es finanziell machbar ist, wenn alle Hilfe benötigen würden und andererseits auch, an wen die Eigentumsanteile weitergegeben werden und trotzdem der eigene Verbleib in der Wohnung gesichert ist.

Die Schilderung von Dr. Scherf hat einige Klippen aufgezeigt, die es im Lauf der Zeit zu umschiffen galt, aber auch die Chancen, die solche Projekte bieten. Das wurde auch andernorts erkannt. Rund 30.000 Projekte in Deutschland sind ein eindeutiger Beleg hierfür. Wobei es nicht den einen Weg gibt, sondern eine Vielzahl von Möglichkeiten. In Nordrhein-Westfalen scheint aus Sicht Dr. Scherfs geradezu ein Wettbewerb unter den Wohnungsbauunternehmen, besonders auch kommunalen, entstanden zu sein, die mit kreativen Ideen neue Lösungen schaffen. Statt teure Aufzüge einzubauen, reservieren Unternehmen im Quartier Erdgeschosswohnungen für ältere Personen.

Damit ist einerseits den älteren Leuten gedient, die nun keine Treppen mehr steigen müssen und in Wohnungen mit bedarfsgerechter Größe im bekannten Umfeld umziehen können. Im Gegenzug stehen vergleichsweise große Wohnungen, die für Familien konzipiert waren und nach 20, 30 oder 40 Jahren nur noch von einer Person bewohnt werden, wieder für größere Haushalte zur Verfügung. Quartiersmanager, die die Personen im Quartier kennen, für Gespräche bereitstehen und Ansprechpartner in vielen Fragen sind, sind ein Beispiel für Lösungsansätze im Quartier. Andernorts nutzen Wohnprojektinitiativen Leerstände von Gewerbeimmobilien in der Innenstadt für alternative Wohnformen. Damit ist der Idee des gemeinschaftlichen Wohnens gedient und der Leerstand beseitigt.

Erfolgreiche Strategie

Städte wie Hamburg oder auch in kleinerem Maßstab Bremen praktizieren sehr erfolgreich eine Strategie, bei der Investoren aufgefordert werden, neue und qualitativ wertvolle Entwürfe umzusetzen, indem besondere Entwürfe bei der Grundstücksvermarktung den Vorzug erhalten. Schließlich wird in manchen Städten beim Verkauf von Grundstücken vorgeschrieben, dass eine festgelegte Zahl von Wohnungen auch für Geringverdiener entstehen muss. So werden stabile Quartiere geschaffen und solche mit einseitiger Bewohnerstruktur vermieden.

Insgesamt ein gelungener Abend, der einen Einblick in das reale Leben in einem Wohnprojekt gab und Optionen für Wohnungsbauunternehmen, Kommunen und Wohnprojektinitiativen aufzeigte, die zwar nicht überall umsetzbar sind, aber vielleicht ein Anreiz sind, einmal anders zu denken. Neben den zahlreichen an der Idee interessierten Privatpersonen und den Vertretern anderer Wohnprojektinitiativen aus der näheren Umgebung waren auch Mitarbeiter der Stadtverwaltung und Ratsmitglieder zur Veranstaltung gekommen.

Pressemitteilung

der Stadt Koblenz

Bernd Bodewing (Agenda-21-Büro), Christine Holzing, Susanne Ott und Dr. Henning Scherf stellten sich zum Erinnerungsfoto.Foto: privat

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