Das neue, zweite Leben des Ewald Caspari
Ewalds schwerer Weg
Er war der dickste Mann in Rheinland-Pfalz: Rund 200 Kilo hat Ewald Kaspari abgenommen
Wirges. Was ist der perfekte Einstieg in eine beinahe unglaubliche Geschichte? Nach über drei Stunden sehr intensiver, emotionaler Gespräche mit einem Mann, der in seinen 70 Jahren mindestens zwei Leben geführt hat, ist das eine gute Frage. Die Rede ist von Ewald Caspari aus Wirges, der den zweifelhaften Ruf des „dicksten Mannes aus Rheinland-Pfalz“ innehatte, inzwischen sein Gewicht von etwa 276 Kilogramm auf knapp 80 Kilo reduziert hat.
Kraftvoll drückt Ewald Caspari bei der freundlichen Begrüßung die Hand, dabei kann man nur erahnen, welchen schmerzvollen Leidensweg er durchgemacht hat. Heute sitzt einem ein entspannter, ausgeglichener Mensch gegenüber, der von den Ereignissen um seine gesundheitlichen Probleme geprägt wurde.
Wie kommt man von 80 Kilo auf knapp 280 Kilo?
Seine Leidenszeit begann 1986, als er zum Geschäftsführer einer Firma für Melk- und Milchkühlanlagen bestellt wurde. Bis dahin war er als Kundenbetreuer und Monteur für dieses Unternehmen in der gesamten BRD, in Europa und in Übersee erfolgreich tätig. Durch die körperliche Betätigung und dem gesunden Stress in diesem Job, hielt er ein Gewicht von etwa 80 Kilo.
Nach der Beförderung zum Geschäftsführer änderte Ewald Caspari unbewusst seine Ess- und Lebensgewohnheiten. Der neue Job verlangte ihm eine überwiegend sitzende Tätigkeit ab, somit war er nicht mehr starken körperlichen Beanspruchungen ausgesetzt. Rapide nahm er an Gewicht zu, zumal er gute, reichhaltige Mahlzeiten nicht verschmähte.
Das eigentliche Übel kam jedoch über ihn, als er süchtig nach Pfirsich-Nektar wurde, er trank bis zu fünf Liter davon am Tag. Die Summe aus mangelnder Bewegung, opulentem Essen und der Sucht nach Fruchtsäften hatte zur Folge, dass Caspari im September 2009 über das stattliche „Kampfgewicht“ von etwa 280 Kilo verfügte. Natürlich blieben ihm die Veränderungen seines Körpers nicht verborgen, ärztliche Ratschläge, verschiedene Diäten und Heilfasten brachten nur eine zwischenzeitliche Reduzierung seines Körpergewichtes mit sich. Der sogenannte „Jo-Jo-Effekt“ brachte immer wieder die Hoffnung auf bessere Zeiten zunichte. Ewald Caspari hatte nur noch den einen Wunsch: „Raus aus diesem Körper“. Bei einem Urlaub in seiner Lieblingsregion Südtirol schwor er an einem Wegekreuz, dass er mit Gottes Hilfe gegen sein Leiden angehen wolle. Dieses Ereignis war für ihn wie eine Eingebung.
Der steinige Weg zur Traumfigur
Ihm war klar, dass er sein Gewicht nur durch eine Magenverkleinerung normalisieren konnte. Ab jetzt begann sein Kampf gegen die Krankenkassen und den Medizinischen Dienst. Dabei fühlte er sich häufig wie Don Quichotte bei seinem sinnlosen Kampf gegen die Windmühlen. Die Kassen weigerten sich, die Kosten für eine Operation zu übernehmen, da erstaunlicherweise der Blutdruck und die Zuckerwerte tatsächlich nicht zu beanstanden waren.
Während es Absagen der Kassen nur so hagelte, begann Ewald Caspari eine multimodale Therapie, die in drei Abschnitte aufgeteilt war: 1. viel Sport, am besten Schwimmen; 2. Ernährungsberatungskurse; 3. ambulante psychosomatische Therapie.
Tatsächlich verliert er in den ersten Monaten etwa 30 Kilo an Gewicht, doch sein Problem war damit immer noch nicht gelöst. Ein Arzt des Medizinischen Dienstes empfahl Caspari sogar, sich freiwillig in die Psychiatrie zu begeben, da man ihm sonst nicht helfen könne. Insgesamt erhielt er in sieben Jahren fünf Ablehnungen, was ihn natürlich auch immer stärker psychisch belastete. In seiner Not ging er den Weg an die Öffentlichkeit, er setzte sich mit Birgit Schrowange, der Moderatorin von RTL und Günther Jauch von RTL in Verbindung, wandte sich an den Petitions-Ausschuss des Deutschen Bundestages und klagte gegen die Kassen und den Medizinischen Dienst in Zivil-Prozessen.
Die „Sleeve-Operation“ war der Schlüssel zum Glück
Als er schon nicht mehr an einen Erfolg seiner Bemüthungen geglaubt hatte, erhielt Caspari im Dezember 2009 den erlösenden Anruf seiner Krankenkasse, dass die Operation zur Magenverkleinerung genehmigt sei. Zur Voruntersuchung begab er sich in das Johanniter-Krankenhaus nach Bad Godesberg zu Professor Türler. Im Januar 2010 war es endlich so weit: Professor Türler führte mit einer sogenannten „Sleeve-Operation“ die Verkleinerung des Magens durch. Da Professor Türler zuvor noch keinen Patienten mit einem derartigen Übergewicht unter dem Messer hatte, ließ er vor der Operation das Gewicht von einem Notar beglaubigen. Amtliche 276,4 Kilo brachte Ewald Caspari auf die Spezialwaage. Die Sleeve-OP ist eine Operation, die in Deutschland bis dahin relativ selten durchgeführt wurde, diese Art der Magenverkleinerung wird überwiegend in den USA praktiziert. Bei dem über sieben Stunden dauernden Eingriff wurden fast 80 Prozent des Magens entfernt, der Rest wurde in Form eines Schlauches zusammengenäht. Dabei wurde nicht die gesamte Bauchdecke aufgeschnitten, der endoskopische Eingriff erfolgte an nur fünf kleinen Löchern in der Bauchdecke. Bei einer kompletten Öffnung der Bauchdecke wäre diese vermutlich nie mehr zusammengewachsen.
Nach der Operation veränderte sich das Leben von Ewald Caspari schlagartig. Seine Ernährung wurde auf Astronautennahrung umgestellt, so verlor er Monat für Monat etwa zehn Kilo an Gewicht. Mit seinem neuen Aussehen, dem Stolz und dem Selbstbewusstsein veränderte sich auch sein privates Umfeld. Seine Ehefrau verließ ihn, da er sich so verändert hätte und nicht mehr der Mensch sei, den sie gekannt habe. Das neue Lebensgefühl, und die damit verbundene neue Lebensqualität, halfen Ewald Caspari auch über die Trennung hinweg. Er hatte wieder Spaß am Leben und konnte wieder seinem liebsten Hobby nachgehen, dem Wandern.
Wohin mit 20 Kilo Fettschürze?
Nach der Operation blieb natürlich die Frage, was geschieht mit der verbliebenen Fetthaut, die total schlabberig an ihm herunterhing? „Wenn ich mich hinlegte, konnte ich mein Gesicht mit der Fettschürze bedecken, wenn ich stand, hing sie mir bis über die Knie“, berichtet Caspari. Mit diesem Zustand gab er sich nicht zufrieden. Jetzt war er zwar schlank, aber die Fetthaut sah so fürchterlich aus, dass er sich regelrecht ekelte beim Blick in den Spiegel. Ewald Caspari zeigte im Gespräch mit BLICKaktuell Fotos von dieser Situation, die bestätigten, dass diese Fettlappen eine erhebliche Beeinträchtigung darstellten. Im Mai 2011 kam es im Krankenhaus von Wesseling zu der Wiederherstellungs-Operation. Dabei wurde die Bauchdecke von Niere zu Niere aufgeschnitten, die Fettschürze entfernt, zuletzt die Öffnung in der Bauchdecke fünfmal geheftet und getaped. Die abgeschnittene Hautschürze brachte unglaubliche 20 Kilo auf die Waage. Ewald Caspari muss über ein unglaubliches Heilfleisch verfügen, denn heute befindet sich an der Stelle der Öffnung der Bauchdecke nur der schmaler Streifen einer Narbe von links nach rechts.
Tipps von einem, der es wissen muss
Seine Ernährung hat Ewald Caspari komplett umgestellt, er isst „wie ein Spatz“, wie er ironisch meint. Sein Hungergefühl geht gegen Null, er verzichtet vollständig auf Alkohol. Den Preis für sein neues Leben ist er gerne bereit, zu zahlen. Nachdem er eine neue Lebenspartnerin gefunden hat – inzwischen sind sie verheiratet – genießt er sein neu gewonnenes Leben voller Tatengrang und Freude. Eines seiner größten Hobbies ist das Bekochen von vielen Gästen im schönen Heim. Nur probieren kann er die Speisen nicht, weil er kein Hungergefühl verspürt. Weitere Hobbies sind das Skatspielen, Singen und Angeln. Sportlich betätigt er sich durch ausgiebiges Wandern und Rasenmähen, wobei er sogar die Rasenfläche der Vermieterin mit mäht, zusammen sind das über 3.000 Quadratmeter. Selbstverständlich benutzt Herr Caspari dazu einen Rasenmäher ohne Radantrieb, das treibt den Schweiß aus den Poren. Seinen Urlaub verbringt er auf einer Alm in Tirol auf 1600 Metern Höhe, dort versorgt er 20 Kühe und arbeitet tatkräftig in der Landwirtschaft mit. Obwohl Caspari sich im Ruhestand befindet, sind Rat und Tat von ihm in seinem alten Beruf immer noch sehr gefragt. Während des Interviews erteilte Ewald Caspari zweimal telefonische Ratschläge an junge Kollegen seiner ehemaligen Firma.
Der breiten Öffentlichkeit blieb natürlich die Verwandlung des Ewald Caspari nicht verborgen, wenn jemand sein Gewicht um etwa 200 Kilo reduziert, dann spitzen viele die Ohren. Es folgten Einladungen zu verschiedenen Talk-Shows, unter anderem zum „Nachtcafé“ mit Michael Steinbrecher, und in der Talk-Show „Unter uns“ beim MDR, „Hallo Deutschland“ im ZDF, Mittagsmagazin bei RTL und mehr.
Die gewonnene Popularität nutzte Ewald Caspari, um seine Erfahrungen aus dem alten Leben an Selbsthilfegruppen weiterzugeben, die sich mit dem großen Thema Adipositas befassen. Ewald Caspari vergleicht die Fettsucht auch mit anderen Süchten, zum Beispiel übermäßiger Alkohol- und Nikotingenuss und Drogenkonsum. Er ist der Meinung, dass der erste Schritt zur Besserung die Selbsterkenntnis ist. Denn „nur was im Kopf angekommen ist, kann der Körper umsetzen; Du kannst alles schaffen, du musst es nur wollen“. Gerade Ewald Caspari kann bestätigen, dass es bis dahin ein sehr weiter, teilweise schmerzhafter Weg sein kann, der einem alles abverlangt. Letztendlich sollte man die Hoffnung nie aufgeben und an das Unmögliche glauben. Jeder, der sich von Ewald Caspari Ratschläge oder Tipps geben lassen möchte, ist bei ihm herzlich willkommen, kann sich auch mit seiner bombastischen, überdimensionalen Jeans fotografieren lassen, die er mit 280 Kilo trug. Sie hängt wie eine Trophäe, aber auch wie eine ewige Mahnung, in seinem Flur. Einen sehr treffenden Vergleich zwischen dem Autofahren und der Art, sein Leben zu gestalten, hat Caspari gezogen: „Du kannst nicht immer mit Vollgas rasen; Du musst auch mal bremsen oder sogar anhalten“. Diesen Vergleich sollten die Menschen beherzigen, die sich andauernd auf der Überholspur befinden.
Einer der häufigsten Vorsätze für ein neues Jahr ist der Wunsch, das Körpergewicht zu reduzieren. Denen sei das Rezept von Ewald Caspari empfohlen: Viel Sport macht den Kopf frei, auf gesunde Ernährung achten sowie eine positive Denkweise an den Tag legen. Das kostet nicht viel, kann aber die Grundlage für eine bessere Lebensqualität sein.
Nicht von umsonst lautet die Devise von Ewald Caspari: „Nicht das Viele ist gut, sondern das Gute ist viel“.