Theatergruppe behandelte im Alten Bahnhof Puderbach die deutsche und weltweite Ächtung, Verfolgung und Vernichtung von Juden

Macht und Ohnmachthautnah erlebbar gemacht

Macht und Ohnmacht
hautnah erlebbar gemacht

Auch die Verschleppung von Juden aus Puderbach und Altenkirchen wurde behandelt. Das Vorlesen der Familien- und Straßennamen der anschließend in den KZs ermordeten Mitbürger machte die Zuhörer sehr betroffen.KER

Macht und Ohnmacht
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Eine Spielszene: Ein perfektionistischer NS-Ingenieur diktiert seiner Sekretärin die Verbesserungsvorschläge für den Vergasungswagen.

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Die im KZ Auschwitz ermordete Jüdin Ilse Weber hat mit ihrem „Emigrantenlied“ eine Möglichkeit zum Umgang mit den schrecklichen Ereignissen der Nazizeit gefunden. So endete der sehr bewegende Abend im Alten Bahnhof von Puderbach mit einem Hoffnungsschimmer.

Macht und Ohnmacht
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Angsteinflößend: Hier spielen zwei Mitglieder der Theatergruppe machttrunkene, aggressiv auftretende NS-Schergen.

Puderbach. Die Gräueltaten gegen die Juden in der NS-Zeit zu nennen und vor Wiederholungen zu warnen, das ist das eine. Die Gruppe „Theattraktion“ ging am Samstagabend im Alten Bahnhof von Puderbach noch einen Schritt weiter und machte die Gewalt und das Bedrohliche des Antisemitismus im Dritten Reich und auf der ganzen Welt förmlich spürbar. Eine sehr beklemmende Stimmung machte sich breit unter den Besuchern der Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht am 9. November 1938. Die Akteure von „Theattraktion“ lasen Texte und spielten Szenen. Dabei versetzten sie sich auch in die Rollen der nationalsozialistischen Herrscher, wie sie machttrunken, laut, drohend und maßlos arrogant den eingeschüchterten Juden gegenübertraten. Die Zuschauer konnten spürbar fühlen, wie verängstigend und einschüchternd das auf die ahnungslosen Opfer gewirkt haben muss. Es entstand ein Klima im Alten Bahnhof, wie es sein muss, wenn man als Mensch in einem geschlossenen System, einer Diktatur, schutz- und rechtlos wahnsinnig gewordenen Despoten ausgeliefert ist. Nicht für jeden Anwesenden im Raum war das auszuhalten.

So viele Vorurteile über Juden gibt es auf der Welt. „Theattraktion“ nannte sie alle. In einigen Suren des Koran werden Juden als „Kinderblutsäufer“ beschrieben. Bis heute stellten Juden für viele Völker und Bevölkerungsgruppen das Feindbild schlechthin dar, besonders im Islam. Mit Lesungen, Erklärungen und Sprech-Chorälen brachte die Theatergruppe ihre Inhalte zu Gehör. Sogar die deutschen Sprachwissenschaftler, Volkskundler und Märchenschreiber Jakob und Wilhelm Grimm wurden in die Reihe der die Judenverachtung befeuernden Antisemiten einsortiert, genauso wie der Humordichter Wilhelm Busch, der sich in seinem Stück diskriminierend über den Juden „Schmulchen Schievelbeiner“ lustig macht: „Kurz die Hose, lang der Rock, krumm die Nase und der Stock, Augen schwarz und Seele grau, Hut nach hinten, Miene schlau – so ist Schmulchen Schievelbeiner. Schöner ist doch unsereiner!“

Die rassistisch geprägten Vorurteile und pauschalen Verunglimpfungen jüdischer Mitmenschen gipfeln in dem Vorwurf: „Sie haben Jesus gekreuzigt!“

Sehr nah kam den Besuchern der Vorstellung der an den Juden betriebene systematische Völkermord durch die Benennung der in Puderbach und der nahen Kreisstadt Altenkirchen lebenden Juden, die grundlos verhaftet, aus ihren Häusern und Wohnungen verschleppt, deportiert und in den Konzentrationslagern vergast wurden. Die bekannten Namen der Familien, der bekannten und heute noch so heißenden Straßen zu hören – das machte sehr betroffen. Von 5.000 in Viehwaggons nach Treblinka transportierten Juden kamen nur 2.000 lebend dort an, halb verhungert, halb verrückt geworden durch die Qualen des unmenschlichen Transports. Aus den Gaskammern purzelten die Toten heraus wie Kartoffeln, beschrieb es ein Augenzeuge in einem nachgespielten Interview. Einer der Vergasten war Robert Salomon, acht Jahre alt. Schrecklich war auch der Anblick eines historischen Fotos von fünf jüdischen Frauen, einer Mutter mit ihren vier Töchtern, die vor ihrer Erschießung in die Kamera eines SS-Fotografen blickten. „Es sind ja nur ein paar Wochen“, täuschte sich ein deutsch-jüdisches Ehepaar gegenseitig über die notwendig gewordene „vorübergehende“ Trennung. Doch es sollten mehr als zehn Jahre vergehen, bis Juden in Deutschland wieder gefahrlos leben konnten. Wobei sich das mit der Gefahrlosigkeit in Grenzen hält: Zum Ende des Abends lasen die Bühnenakteure in schneller Folge Nachrichtenschlagzeilen aus allen Ländern der Erde vor, wo es Anschläge auf jüdische Einrichtungen und gegen die Unversehrtheit jüdischer Mitbürger gegeben hatte – allesamt in der heutigen Zeit.

Was ist der Mensch? Die Frage drängte sich immer wieder auf an diesem notwendigen Abend. Was macht Menschen zu solchen Tätern? Wie können Opfer solches Leid ertragen? Wie kann nach all‘ dem ein Zusammenleben funktionieren? Vielleicht gab das zum Schluss gespielte und gesungene Lied der 1944 im KZ Auschwitz umgebrachten jüdischen Schriftstellerin Ilse Weber eine Antwort auf diese Fragen. In ihrem „Emigrantenlied“ heißt es: „Denn alles wird gut, denn alles wird gut, ertrag geduldig das Warten. Vertraue der Zukunft, verlier nicht den Mut, die Welt wird wieder zum Garten! Dann endet die Zwietracht, der Hass und die Gier, und alles Leid hat ein Ende. Dann sagt dein Feind “Bruder Mensch„ zu dir und reicht beschämt dir die Hände.“