Ein großes Fest für die Jüdische Kultusgemeinde Koblenz
Erstmals seit mehr als 80 Jahren konnte eine neue Torarolle eingeführt werden
Koblenz. Was für ein großes Fest für die Jüdische Kultusgemeinde in Koblenz und ihre rund 950 Mitglieder. Erstmals seit mehr als 80 Jahren und somit auch erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg konnte wenige Tage vor dem Neujahrsfest feierlich eine neue Torarolle eingeführt werden.
Hierzu begrüßte Kantor Joseph Pasternak zahlreiche Gäste in der voll besetzten Synagoge. Unter ihnen der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde und zugleich Vorsitzender des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz Avadislav Avadiev, Oberbürgermeister Professor Dr. Joachim Hofmann-Göttig, Rabbiner Mordechai Pavlovsky von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) in Köln, Mitglieder des Zentralrates der Juden in Deutschland, Mitglieder des Landesverbandes der Juden Rheinland-Pfalz, Vorstandsmitglieder der Jüdischen Gemeinden Rheinland-Pfalz, Mitglieder des Vorstandes der Christlich-Jüdischen Gesellschaft Koblenz, Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Koblenz und viele Gäste.
„Heute hält etwas Neues Einzug in unsere Synagoge, das ist wie bei einer Hochzeit, wenn die Braut eingeführt wird“, erklärte Pasternak zu Beginn die Verwendung des Chuppa (Traubaldachins), der nur bei Hochzeiten und Toraeinweihungen genutzt wird.
Die Tora beinhaltet in ihrem Innern die Philosophie und Gesetze sowie die Geschichte des jüdischen Glaubens von der Erschaffung der Erde bis zum Tod Moses. Die erste Tora wurde von Moses selbst geschrieben. Eine Tora wird dabei bis heute aus einer Gansfeder geschrieben und ein Fachmann benötigt hierfür etwa ein Jahr. Sie ist der erste Teil der hebräischen Bibel und besteht aus fünf Büchern. Nicht mehr verwendete Torarollen (eine Tora ist zum Beispiel nicht mehr brauchbar, wenn Buchstaben kaputt sind) werden auf einem Friedhof beerdigt. In der Kristallnacht wurden Torarollen vernichtet und später beerdigt. Zu den bestehenden beiden Torarollen der Jüdischen Kultusgemeinde kam ein Buch von der Neuwieder Gemeinde, die es nicht mehr gibt.
Von Russland über Amerika und Israel nach Koblenz
Die neue Tora wurde in Russland geschrieben und kam über Amerika und Israel nach Koblenz. Der Dank galt dem Vorsitzenden Ovadya und seiner Frau, die die Kaufprozedur leiteten und nach Israel flogen, um die Torarolle dort abzuholen, der anwesenden Familie von Professor Dr. Steier für die finanzielle Unterstützung, Dr. Simonis für die Spendung des Silberschmucks und dem Beseder-Orchester für die Begleitung der Zeremonie. Zum Schluss bedankte sich Pasternak bei allen Koblenzern für das friedliche Zusammenleben in der Stadt - „Wir fühlen uns in Koblenz zu Hause.“
Weitere Grußworte folgten vom Vorsitzenden Avadislav Avadiev, der sich der Begrüßung des Kantors anschloss, von Oberbürgermeister Professor Dr. Joachim Hofmann-Göttig, von Rabbiner Mordechai Pavlovsky und von Michael Grünberg vom Zentralrat der Juden.
Planungen für neue Synagoge schreiten voran
Der Oberbürgermeister betonte die Weltoffenheit seiner Stadt mit 110.000 Einwohnern, darunter 30.000 Menschen mit Migrationshintergrund, in der es keine wahrnehmbare Verfolgung oder Diskriminierung gäbe. „Wir müssen auch den jungen Leuten klar machen, dass es so etwas in Deutschland nie mehr geben darf.“ Er bestätigte, dass mit dem Standort des alten Hallenbades wohl eine ideale Stelle für den Neubau einer Synagoge mitten in der Stadt gefunden sei. Nun sei das Finanzvolumen hierfür in Höhe von etwa sechs Millionen Euro zu stemmen. Das Land habe bereits Zuschüsse in Höhe von einem Drittel zugesagt und auch die Stadt werde in gleicher Höhe den Bau mittragen.
„Wir sind stolz auf die Vielfalt, die wir in unserer Stadt haben und dass sie sich mit einer neuen Synagoge nicht verstecken, sondern an zentralem Ort zeigen. Herzlich willkommen unseren jüdischen Mitbürgern, wir sind froh, dass Sie da sind.“
Freude und Tanz über die „Geburt“ einer neuen Torarolle
Rabbiner Mordechai Pavlovsky ging auf das anstehende Neujahrsfest ein. „Der Ewige bittet uns, wenigstens für eine kurze Zeitdauer die Masken abzunehmen und sich selber einzugestehen, wer wir tatsächlich sind. Das Hauptanliegen besteht aber darin, mit allen Kräften zu versuchen, die Situation zum Besseren zu wenden und all das wiederherzustellen, was zum aktuellen Zeitpunkt wiederhergestellt werden kann.“
In den letzten 25 Jahren habe sich das jüdische Leben in Deutschland um einiges geändert. Neue Gemeinden sind gegründet worden und es finden wieder Gottesdienste statt. An Orten, wo keine Juden leben, werden jüdische Museen eröffnet. An Orten, wo jüdisches Leben gedeiht, offenbart sich dieses im Erwerb neuer Torarollen. „Das heutige Ereignis stellt eine geradezu symbolische Verbesserung der Lage dar und dies Im Monat Elul, kurz vor dem neuen jüdischen Jahr.“ Darum sei die „Geburt“ einer neuen Rolle der heiligen Schrift vor dem Neujahrsfest nicht zu unterschätzen, trage sie doch ein hohes geistiges Potential für die gesamte Gemeinde in sich.
Sollte in einer Synagoge die Torarolle auf den Boden fallen, so ist für die Gemeinde ein dauerhaftes Fasten zum Ausdruck ihrer Trauer vorgeschrieben. Umgekehrt sei das Auftauchen einer neuen Schriftrolle Grund genug, um sich daran zu erfreuen und im Tanzen aufzugehen - „das jüdische Volk ist am Leben! Der Weg zu Gott ist der Weg des Lernens. Der Weg der Lehre - eine der Übersetzungen des Wortes Tora. Erst, wenn wir ihre Botschaft verstanden haben, können wir Gottes Partner werden. Die Tora hat keinen Preis - sie ist das Wertvollste, was der Ewige uns hätte schenken können. Er hat uns sich selber geschenkt.“ Auch für Michael Grünberg vom Zentralrat der Juden war der Tag etwas Besonderes, sei er ansonsten doch meistens zu Gedenkveranstaltungen eingeladen. „Die Tora ist über 3.500 Jahre alt und für die Ewigkeit, für die ganze Welt. Ohne Tora nutzt auch die neue Synagoge nichts“. Nach diesen Redebeiträgen wurde die neue Tora mit Musik durch das Orchester und viel Applaus und Jubel eingeführt und der Gemeinde vorgestellt. Im Anschluss folgten sieben Rundgänge mit Gebet und Musik durch die Synagoge, wobei alle jüdischen Gemeindemitglieder zum Tragen der neuen oder einer der bisherigen Torarollen eingeladen wurden, was ausgiebig gefeiert wurde. Nach dem gemeinsamen Mittagsgebet gab es für die Gemeinde und ihre Gäste leckere Erfrischungen.
Beitrag in „BLICK aktuell TV“
Einen aktuellen Beitrag zu diesem Thema finden Sie diese Woche auch unter www.blick-aktuell.tv.
Die Einführung war ein großes Fest für die Jüdische Kultusgemeinde Koblenz. Oberbürgermeister Professor Dr. Joachim Hofmann-Göttig. Feierlich wurde die neue Torarolle eingeführt und vorgestellt.Fotos: STUKO



