Neujahrsempfang der Mittelstandsvereinigung der CDU
Es muss sich finanziell lohnen, sich nicht für ein Studium entschieden zu haben
Professor Stefan Sell mahnte die heimischen Unternehmer, ihre Personalpolitik den aktuellen Gegebenheiten anzupassen
Marienthal. Skeptisch blickte Professor Stefan Sell in die Zukunft der mittelständischen Wirtschaft. Beim Neujahrsempfang der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU im Kloster Marienthal mahnte er die Unternehmer, ihre Personalpolitik die aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Insbesondere für kleine Betriebe könne es sonst ein böses Erwachen geben.
Er selbst gehöre der Babyboomer-Generation an, doch die Lebensentwürfe von damals gehörten heute der Vergangenheit an. „Seit Ende der 1990er Jahre dreht sich alles um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.“ Doch das sei mittlerweile nicht mehr das wichtigste, das Thema der Zukunft werde nach seiner Ansicht die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege sein. „Die Babyboomer gehen in zehn bis 15 Jahren in den Ruhestand, es gibt aber zu wenig junge Leute, die ihren Platz in den Betrieben einnehmen können.“ So seien im vergangenen Jahr in ganz Rheinland-Pfalz nur noch 30.000 Kinder geboren worden – 1965 waren es noch 64.000.
Zwei Drittel eines Jahrgangs besuchen die Universität
Diese Zahlen wirken sich auch auf die Unternehmen aus, prophezeite Sell. Zumal noch ein gravierendes Problem hinzukomme. Der Nachwuchsmangel bei den Handwerksberufen und bei den Facharbeitern habe seine Ursache nämlich nicht zuletzt darin, dass derzeit fast zwei Drittel eines Jahrgangs nach der Schule die Universitäten und Hochschulen besuchten. Das führe auch dort immer wieder zu Problemen, „ich sehe das jeden Tag in Remagen“, so Sell.
Er sehe nur einen Ausweg aus der Misere: „Die Berufsausbildung muss attraktiver gemacht werden, es muss sich finanziell in der Lehre und später auch im Job lohnen, sich nicht für ein Studium entschieden zu haben.“ Die Diskussion um Erhöhung des Mindestlohns um ein paar Cent konnte er überhaupt nicht verstehen und sagte den versammelten Unternehmern ganz deutlich: „Das ist doch Pillepalle, denn wenn sich beim Lohn nichts tut, wird sich das Problem der Berufswahl bei jungen Leuten nicht lösen“.
Kreis Ahrweiler einer der wirtschaftlich stärksten in ganz Rheinland-Pfalz
Und daher gab er den Wirtschaftsvertretern mit einem leichten Augenzwinkern schon mal vorsorglich den Rat: „Stellen sie sich gut mit ihren örtlichen Handwerkern, denn dann kommt er vielleicht noch mit 70 bei ihnen mit dem Rollator vorbei, um die Toilette zu reparieren.“ Der MIT-Kreisvorsitzende Elmar Lersch wollte das Ganze nicht so dramatisch sehen, denn zumindest im Kreis Ahrweiler laufe es eigentlich ganz gut: „Laut Bericht der Industrie- und Handelskammer zählt unser Kreis mit seinen mehr als 7.000 Unternehmen zu den wirtschaftlich stärksten in ganz Rheinland-Pfalz.“ Auch die Unternehmen im Kreis hätten die Zeichen der Zeit erkannt. Sie nehmen ihre Mitarbeiter bei anstehenden Innovationen mit, „weil sie wissen, dass die Zukunft der Betriebe und deren Modernisierung ganz entscheidend von den Mitarbeitern abhängt“.
Zu Beginn der Veranstaltung hatte der MIT-Landesvorsitzende Gereon Hausmann in seiner Rede die Christdemokraten dazu aufgefordert, die Grünen und die AfD zu bekämpfen. Davon hielt Sozialwissenschaftler Sell nicht viel. Im Gegenteil riet er den Christdemokraten mit Blick auf die Bundestagswahl 2021: „Bekämpfen sie die Grünen nicht, sondern bereiten sie sich auf eine gemeinsame Regierung vor.“ Sell streifte außerdem zahlreiche Themen wie Pflegenotstand und Ärztemangel auf dem Land und sah diese ebenso als gesellschaftspolitische Herausforderungen wie die Preisgestaltung des Öffentlichen Personennahverkehrs.
JOST
Bei der Podiumsdiskussion mit Gereon Hausmann (links) und Professor Stefan Sell (Dritter von links) wurden aktuelle Themen angesprochen. Foto: Volker Jost
