Stadtrat Neuwied tagte im Heimathaus

Koalition beschließt Steuererhöhung in der Corona-Krise

Haushalt 2021: Mehr Gestaltungspielraum für Kita`s und Gewerbegebiete

11.12.2020 - 13:59

Neuwied. Im Rahmen der Beschlussfassung über den Haushalt 2021 setzten CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FWG in der jüngsten Stadtratssitzung die Erhöhung der Grundsteuer B durch. Der Hebesatz steigt am 1. Januar von derzeit 420 auf 620 Prozent, dem höchsten Wert in ganz Rheinland-Pfalz. Die Mehrheitskoalition tritt damit in Vorleistung, um zukünftig von der ADD mehr Handlungsspielraum für Investitionen in den Bereichen Kindertagesstätten und neue Gewerbeflächen zu erhalten. Gegen die Mehrbelastung der Bürger sprachen sich alle anderen Fraktionen aus. Unter anderem vor dem Hintergrund der Coronapandemie, die bei etlichen Menschen zu finanziellen Einschnitten führt.

Eingangs der Debatte warb der Beigeordnete Ralf Seemann für den Haushaltsentwurf inklusive der Steuererhöhung. Hinsichtlich der 100 Mio. Euro Kassenkredite, zusätzlich zu den 50 Mio. Euro Investitionskrediten, sprach er von einem unkalkulierbaren Risiko für den Fall, dass die Zinsen wieder steigen. Dank der Niedrigzinsen liege die Belastung derzeit nur bei einem Prozent des Haushalts. „Wenn wir nichts tun, liegen wir im Jahr 2030 bei 180 Mio. Euro Liquiditätskrediten“, sagte Ralf Seemann. Die Steuererhöhung relativierte er: „Bei der Hälfte der 24.523 Objekte liegt die Erhöhung zwischen zwei und 15 Euro monatlich“. Diejenigen, die kein eigenes Grundstück besitzen, werden von den Vermietern über die Mietumlage zur Kasse gebeten. Mit der Erhöhung der Grundsteuer kommt die Stadt Neuwied einer langen Forderung der ADD nach. „Wir gewinnen dadurch dringend benötigten Handlungsspielraum für Investitionen zurück“, erklärte Ralf Seemann. Wie notwendig diese sind, machte er am Beispiel der 12 Grundschulen fest. Lediglich drei seien in Ordnung, alle anderen hätten Sanierungsbedarf. Hinzu müsse in die Ausstattung investiert werden und für mehr Räume gesorgt werden. Erheblicher Sanierungsbedarf bestünde ebenfalls bei den 12 Turnhallen. Auf die „für 66.000 Einwohner eher untypische und aufwändige Infrastruktur“ Neuwieds mit seinen 12 Stadtteilen wies Ralf Seemann hin. Dazu zählen unter anderem 17 Sportplätze, acht Gewerbegebiete, fünf Bürgerhäuser und acht Feuerwehrhäuser. Den Investitionsbedarf aufgrund rund 480 fehlender Kita-Plätzen in den 34 Kitas der Stadt sowie dem „Gute-Kita Gesetz“ bezifferte Ralf Seemann auf 800.000 Euro im Jahr 2021 und 15-20 Mio. Euro in den Folgejahren. Derzeit zahlt die Stadt 1,1 Mio. Euro an die GSG für die Miete von Kitas. Zukünftig möchte die Stadt die Kitas wieder selbst bauen und betreiben, um die Vermögenssituation zu verbessern. Ebenfalls mehr Geld wollen die Stadt und die Mehrheitskoalition für die Erschließung neuer Gewerbeflächen ausgeben. Langfristig zahle sich das durch höhere Einnahmen aus der Gewerbesteuer und der Einkommensteuer aus. Gerade dieser Bereich ist es, der im nächsten Jahr die größten Sorgen macht. Nach Schätzung der Kämmerei brechen die Steuereinnahmen durch die Corona Pandemie um 4,85 Mio. Euro ein. Die Erhöhung der Grundsteuer wird dadurch nahezu komplett aufgezehrt. Ralf Seemann verwies auf den langfristigen Effekt. Insgesamt sieht der Haushaltsplan für 2021 Ausgaben in Höhe von 158 Mio. Euro vor. Die Erträge liegen bei 150 Mio. Euro, was zu einem Defizit von acht Mio. Euro führt.


Lob von den Grünen


Die Kritiker der Steuererhöhung und deren Bemühen, das Bemühen des Kämmerers als Raubrittertum abzutun, erinnerte Regine Wilke an die Eltern, die auf einen Kitaplatz warten und die Schüler/innen, die kein schnelles Internet haben. „Ist es nicht sozial, auch an diese Bedürfnisse zu denken“, fragte die Grüne. In Sachen Verschuldung erinnerte sie an die Verpflichtung gegenüber den Nachkommen. Regine Wilke lobte den Haushalt und sprach von einem zukunftsweisenden Entwurf, wie es ihn noch nie gab. Die Ratsfrau hob die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der ADD hervor. Ganz anders als in früheren Jahren, mit dem negativen Höhepunkt der Haushaltsgenehmigung für 2020, die erst im September diesen Jahres erfolgte. Wegen der chronischen Unterfinanzierung der Stadt lehnte Tobias Härtling (Die Linken) den Haushalt ab. 11 der 20 am höchsten verschuldeten Städte in Deutschland kommen aus Rheinland-Pfalz. Und das, obwohl das Verfassungsgericht 2012 schon entschieden hatte, dass die Kommunen mehr Mittel bedürfen. Tobias Härtling fordert ein neues Finanzierungsmodell, das sich am tatsächlichen Bedarf der Kommunen richtet. Hinsichtlich der Steuererhöhung stellte der Linke fest, dass seine Partei keinem Haushalt zustimmen werde, der Schwache mehr belastet als Reiche.


180° Wende sorgt für Unverständnis


Dennis Mohr (FDP) äußerte wenig Verständnis für die urplötzliche 180° Wende der Mehrheitskoalition. Kurz vor der Corona-Krise sei sich der Stadtrat einig gewesen, dass eine derartige Erhöhung nicht tragbar ist. Zwar bezeichnete der Liberale die Investitionen in Kitas und Gewerbegebiete als richtig, stellte aber eine Reihe anderer Investitionen für dieses schwierige Ausnahmejahr in Frage. Dennis Mohr kritisierte, dass die Steuererhöhung völlig unabhängig vom Einkommen ist und verwies auf Menschen, die ihr Eigenheim abbezahlen müssen oder für die selbst zwei Euro im Monat viel sind. Dass der Stadtrat ausgerechnet sechs Tage vor einem erneuten, für die Gemeinden voraussichtlich positiven, Gerichtsurteil zum kommunalen Finanzausgleich die Steuern erhöht, erschließe sich der FDP nicht. Eine Minderung werde die ADD niemals wieder gestatten. Vergeblich wendete sich Dennis Mohr mit dem Appell von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier an CDU, Grüne und FWG: „Jegliche Steuererhöhung wäre Gift in der Krise“. Bemerkenswert ist die Wendung von Karl-Josef Heinrichs (FWG). Seit Jahrzehnten fordert er vehement vom Land das Konnexitätsprinzip ein: „Wer bestellt, zahlt“. Noch im April wies der Irlicher die Forderung der ADD nach einer Erhöhung der Grundsteuer vehement zurück. Zwar gestand er ein, der Zeitpunkt der Steuererhöhung sei nicht ganz günstig und unterstrich, dass die FWG ihre grundsätzliche Position nicht aufgibt, dennoch sei die Erhöhung richtig. „Wir werden vom Deckel der Neuverschuldung befreit“, argumentierte Karl-Josef Heinrichs. Statt der üblichen Konfrontation mit der ADD habe es dieses Mal einen Dialog gegeben.


„Unsinnig und unsozial“


Scharf ging SPD-Chef Sven Lefkowitz die Mehrheitskoalition an. Die Steuerhöhung, die Neuwied an die Spitze von Rheinland-Pfalz katapultiere, komme zum absurdesten Zeitpunkt, sei unsinnig und unsozial. Wohnraum, von dem es ohnehin zu wenig bezahlbaren gibt, werde noch teurer und die Stadt Neuwied unattraktiver.

„Während Bund und Land auch unter Inkaufnahme von Verschuldung den Menschen helfen, ist in Neuwied die Antwort der Papaya-Koalition auf die aktuellen Herausforderungen und die Sorgen der Menschen eine Steuererhöhung um 45 Prozent“, schimpfte er. Stattdessen forderte der Sozialdemokrat, endlich die Strukturreform anzugehen und formulierte die Erwartung, dass endlich die Projekte angegangen werden, für die bereits Mittel im Haushalt zur Verfügung stehen sowie sich an den 90 Prozent Förderprogramm von Bund und Land zu beteiligen.

Auch in Sachen Zukunftsgestaltung durch den ÖPNV sei von der Mehrheitskoalition nichts zu vernehmen und überhaupt sei die Bilanz des Dreierbündnisses, vor allem hinsichtlich der angekündigten Haushaltskonsolidierung, enttäuschend. Das mochte Martin Hahn (CDU) nicht auf sich sitzen lassen und konterte, dass die Koalition in einem Jahr nicht richten könne, was die SPD in fünf Jahrzehnten in Neuwied versäumt hat. Dafür musste sich der CDU-Chef von Sigurd Remy gefallen lassen, dass die CDU, selbst in Zeiten der absoluten SPD-Mehrheit, stets im Stadtvorstand vertreten war.


„Tickende Zeitbombe“


Die Schuldensituation der Stadt bezeichnete Martin Hahn als tickende Zeitbombe. Mit dem „Handschlagvertrag“ stünde man nicht mehr unter dem Ausgabediktat der ADD und gewinne die Handlungsfähigkeit nach 20 Jahren zurück. Der CDU-Fraktionsvorsitzende versicherte, die Zusage der ADD einzufordern.

Die Stadt habe den ersten Schritt getan, nun müssen ADD und das Land mitgehen. Die Notwendigkeit der Steuererhöhung unterstrich Martin Hahn mit Beispielen. Die Steuereinnahmen seien von 2006 bis 2019 lediglich von 33,4 Mio. auf 35,6 Mio. gestiegen. Und das bei steigenden Ausgaben und wachsendem Schuldenberg. Die Steuerkraft liege in Neuwied mit 521 Euro nur bei einem Drittel vergleichbarer Städte, was wiederum dazu führe, dass die Stadt jährlich 120 Euro pro Bürger investiert. 425 Euro sind es in vergleichbaren Städten. Auch die Bürgerliste „Ich tu´s“ und die AfD verweigerten dem Haushalt ihre Zustimmung. Kurz vor dem Urteil des Verfassungsgerichts in Vorleistung treten möchte Dr. Jutta Etscheidt nicht. Ohnehin sei es nicht richtig, auf dem Buckel der Bürger an den Symptomen der von der Landesregierung verursachten Strukturpolitik herumzudoktern. Inhaltlich meldete sie Bedenken an der Schaffung weiterer Gewerbeflächen zulasten von Natur und Umwelt an.

AfD Sprecher Hans-Dieter Funk begrüßte die geplanten Investitionen und den neuen Umgang mit der ADD. Über den Schuldenstand zeigte er sich indes besorgt.

Die Erhöhung der Grundsteuer lehnte er ab, zumal sie vom erwarteten Steuerausfall 2021 komplett kompensiert wird. Außerdem werden die Bürger bereits durch die Erhöhung der GEZ-Gebühren und die CO2 Bepreisung belastet. Hans-Dieter Funk sieht durchaus Einsparpotentiale im städtischen Haushalt. Etwa beim Klimaschutzmanager, der besser beim Kreis angesiedelt sein sollte. FF

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