Ausstellung im Bahnhof Rolandseck

„Andere Wirklichkeiten“ in Malerei, Zeichnung und Skulptur

„Andere Wirklichkeiten“ in Malerei, Zeichnung und Skulptur

Gruppenbild mit Künstlern. HG

„Andere Wirklichkeiten“ in Malerei, Zeichnung und Skulptur

Die Gruppe der Lebenshilfe Sinzig ist in Roalndseck eingetroffen.

„Andere Wirklichkeiten“ in Malerei, Zeichnung und Skulptur

Wie alle Ansprachen wurde die Rede von Dr. Thomas Griese, Staatssekretär im Umweltministerium Rheinland-Pfalz, in Gebärdensprache übersetzt.

Rolandseck. „Schön, dass Sie den Logenplatz eingenommen haben“, rief Dr. Oliver Kornhoff, Direktor des Arp Museums Bahnhof Rolandseck, erfreut den vielen Gästen zu, die im Richard-Meier-Bau bis zur zweiten Treppe saßen und standen. „Andere Wirklichkeiten“ wurden eröffnet. So heißt die Ausstellung mit Kunstwerken von 51 Künstlern aus sechs Ateliers der Lebenshilfen in Rheinland-Pfalz und dem Kloster Ebernach in Cochem, die in der Ausstellungsetage des Bahnhofs Station macht. Der gemeinnützige Verein Lebenshilfe unterstützt Menschen mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen. Er will sie auch durch künstlerische Schulung und Kunsttherapie in ihrer kreativen Entfaltung zu fördern.

Die Resultate sind jetzt im Bahnhof zu sehen. Sie entstanden in den beteiligten Ateliers Molemol aus Speyer, atelierblau aus Worms, Mal-Werkstatt aus Bad Dürkheim, Augenschmaus aus Wörth, Atelier Perspektivenwechsel aus Sinzig, Die Freitags-Künstler aus Altenkirchen und Kreativwerkstatt Ausdruck des Klosters Ebernach in Cochem. Schon in den Ausstellungen „Modellstück“ 2009 und „Von Türmen und Menschen“ 2013 hat das Arp Museum Arbeiten von Künstlern mit Handicaps gezeigt. Außerdem realisierte es Literaturprojekte mit der Zeitschrift „Ohrenkuss“ von Menschen mit Down-Syndrom. Darauf machte Kornhoff aufmerksam.

Jenseits des Etablierten

Die Ausstellung „Andere Wirklichkeiten“ gerade im Dada-Jubiläumsjahr 2016 umzusetzen, das macht Sinn. Denn die Dadaisten brachten nicht nur die Kunstsparten zusammen, sie zeigten auch ein Interesse für Masken und afrikanische Kunst, Kunstäußerungen also, die außerhalb ihrer Wirklichkeit und jenseits der etablierten europäischen Strukturen des Kunstsystems lagen. In den Gesellschaftssystemen, denen sie entstammten, waren sie übrigens sehr wohl in überlieferten Traditionen verankert. Hans Arp, der seine Ausbildung abbrach, ließ sich indes inspirieren durch das 1922 erschienene Buch „Bildnerei der Geisteskranken“, in dem der Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn wahre „Wunderwelten“ aus Farbe, Linie, Form und Schrift versammelte, die als Ausdruck der inneren Wirklichkeit seiner Patienten entstanden waren. In der Rolandsecker Ausstellung, deren Start mit einem bunten Museumsfest begangen wurde, geht es nicht um Patienten, sondern um Potenzial. Sie will die schöpferische Kraft der Künstler herausstellen.

Daher begrüßte Kurt Donarski, Vorstandsmitglied des Landesverbands der Lebenshilfe Rheinland-Pfalz, die erstmalige Kooperation seines Verbands mit dem Arp Museum ausdrücklich: „Ziel der Lebenshilfe Rheinland-Pfalz ist es, die Wahrnehmung für die Kunst von Menschen mit Behinderung zu schärfen und in renommierten Kunstmuseen zugänglich zu machen. Diese Künstler gehören mit ihrer Kunst in die Mitte der Gesellschaft.“ Er nannte die Zusammenarbeit mit dem Museum einen „besonderen Glücksgriff“: „Es ist nicht selbstverständlich so viel Aufgeschlossenheit und Engagement gegenüber dem Thema Inklusion vorzufinden. Die lange Vorbereitungszeit und die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten ob mit oder ohne Behinderung macht diese Ausstellung zu einem Vorzeigeprojekt.“

„Das Verschiedene ist das Normale“

Von herausragender „inklusiver Kulturarbeit“ sprach Dr. Thomas Griese, Staatssekretär im Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten Rheinland-Pfalz. Es gelte, sie weiter zu entwickeln, „denn das Verschiedene ist das Normale, nicht das Immer-Gleiche“.

Und wer es noch nicht wusste, erfuhr von ihm: „Das Arp Museum ist anerkannt und zertifiziert als barrierefreies Museum Klasse zwei.“ Griese lenkte das Augenmerk auf die Ausstellung, den Katalog und das umfangreiche Begleitprogramm, Angebote, die Menschen mit und ohne Einschränkung entgegenkommen. Nicht nur der Katalog enthält eine Zusammenfassung in leichter Sprache, auch Saalblätter, Flyer und viele Führungen gibt es in leichter Sprache. Von diesen reduzierten Äußerungen profitieren alle Zeitgenossen. Es kann geradezu eine Erholung von der zuweilen überdrehten Kunstkommunikation sein. Außerdem vergibt der Lebenshilfe-Landesverband am 22. Oktober im Arp Museum erstmalig einen Kunstpreis an einen der präsentierten Künstler und an das mit ihm oder ihr verbundene Atelier. Zur Preisverleihung wird zudem das inklusive Performance-Spiel „Sacre – eine wahre Geschichte“ von Wolfgang Sautermeister (Malwerkstatt, Bad Dürkheim) aufgeführt.

Bemerkenswerte Kunst

Die beteiligten Atelier-Künstler im Publikum verfolgten wach die Eröffnungsreden.

Als Kuratorin Jutta Mattern ans Mikrofon trat, rührte sich freudige Unruhe. Mattern hatte alle sieben Ausstellungsateliers besucht, Künstler und Atelierleiter kennengelernt und dabei „einen neuen und ungewohnten Zugang zu einem gestalterischen Spektrum (gewonnen), das mit seinen ästhetischen Ausprägungen ebenso überraschend wie bemerkenswert war und welches ich bisher nur aus der Distanz und im Sinne der Art Brut kannte“. Freiwillig, gezielt und gerne suchten die Künstler die Ateliers auf, so Mattern. Mit den verfügbaren Materialien werde frei gearbeitet. Dabei offenbare sich die „Gestaltungskraft in den buntesten Farben, Formen, Linien, dreidimensionalen Gebilden und Texten“. Der Schaffensprozess gehe mit großer Konzentration einher und münde häufig in Selbstversunkenheit. Körperliche und emotionale Anstrengungen werden investiert, Schöpfung und Erschöpfung folgen aufeinander. Alle künstlerische Verausgabung scheine den Künstlern „gutzutun“.

Verblüffende Bildfindungen

Von der Verausgabung profitiert desgleichen der Betrachter. In der Ausstellung bieten ihm Themenblöcke Orientierung, wie „Ich und die Anderen“, „Religion“, „Mann/Frau/Sexualität“, „Die freie gestische Form“, „Architektur/Behausungen“. Verlassen und düster wirkt da ein „Gruseliges Häuschen“ aus Keramik von Jutta Fröhlich, Anni Hühnerfauth und Gisela Hierschbiel, spannungsvoll der bandagierte „Doppelkopf“ von Ute Becher und wunderschön die Kreationen aus verholzten Pflanzenmaterialien von Michael Dinges.

Dietmar Grafe beherrscht die Kunst der Linie und zaubert elegant fließende Konturengebilde, ob auf lila Grund eine „Urmutter mit Kind“ oder in Pink gebettet „John Lennon und Yoko Ono in New York“. Daniel Schoa zeichnet dagegen geduldig und dicht einen detailreichen Kosmos und mitten darin sich selbst mit gelassener Miene und Segelschiff auf dem Kopf. Auch so erstaunliche Objektkunst wie „Der Demokrat“, ein Hocker mit Deckel, zeigt seine verwunschene zeichnerische Handschrift. „Wilde Blumen“ von Monika Hürter (Lebenshilfe Sinzig) erobern Raum im Chaos. Hubert Lucht, ein großes Talent, das mit mehreren verblüffenden Bildfindungen vertreten ist, kam zum Eröffnungstag mit einem weiteren Gemälde, ein Pferd vorstellend, unterm Arm. Gerne ließ er sich damit fotografieren. Stolz auf das Geschaffene zeigte sich ebenso Malerin Heidrun Hartmann vor einem ihrer ausgestellten Bilder.

Wo man auch hinschaut, ist festzustellen: Es steckt eine Fülle an Erfindungsgeist, gelungener Gestaltung und Ästhetik in dieser beglückenden Ausstellung. Zu sehen ist sie bis 22. Januar 2017 dienstags bis sonntags und feiertags von 11 bis 18 Uhr. Unter http://arpmuseum.org gibt es Inforamtionenund Begleitprogramm.